Ein neuerlicher Suizid in Abschiebehaft heizt die Diskussion über Haftbedingungen an

Tod statt Abschiebung

In der vergangenen Woche tötete sich im nordrhein-westfälischen Büren ein Mann in Abschiebehaft. Die Haftbedingungen nicht nur in dieser Einrichtung werden seit langem kritisiert.

Am 7. Juni sollte er abgeschoben werden. Dazu kam es nicht mehr. Der Bezirks­regierung Detmold zufolge war der 41jährige am 29. Mai auf richterlichen Beschluss hin in Deutschlands größte Abschiebehaftanstalt gebracht worden, die »Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige« (UfA) in Büren. Zwischen zwei vorgeschriebenen Kont­rollen durch das Personal, die im 15-Minuten-Takt erfolgten, erhängte sich der Mann am 4. Juni.

Nach Angaben der Landesregierung erfolgten die Kontrollen, weil der ­georgische Staatsbürger wegen eines »psychischen Krankheitsbilds« Medikamente einnehmen musste. Ein Facharzt hatte dem Mann im Zuge des ­gescheiterten Asylprozesses bereits vor der Haft attestiert, nicht ausreisefähig zu sein. Ein später bestellter Amtsarzt hatte hingegen bescheinigt, eine ­Abschiebung sei möglich. Auch der Anstaltsarzt, ein Allgemeinmediziner, hatte den Angaben der Bezirksregierung zufolge den gesundheitlichen Zustand des Mannes überprüft.

»Unser Mitgefühl gilt den Familienangehörigen und Freunden des verstorbenen Mannes«, sagte Frank Gockel, der Sprecher des lokalen Vereins »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft«, nach Bekanntwerden des Todesfalls. Der Unterstützerverein hielt am Freitag eine Mahnwache ab, um des Verstorbenen zu gedenken. Bislang war nach Angaben der Landesregierung keine Kontakt­aufnahme zur Mutter und Schwester des Toten möglich. Der Unterstützerverein wirft der Gefängnisleitung vor, »den Vorfall möglichst geheimzu­halten«. Zudem hätten die Verantwortlichen den Verein nicht kontaktiert, ­anders als in einem Suizidfall in der Vergangenheit. »Wir befürchten, dass der Verstorbene in einem anonymen Armengrab und ohne religiöse Bestattung endet«, so Gockel.

Informationen des Vereins zufolge soll sich der Mann zum Zeitpunkt des Suizids in einer speziellen Abteilung befunden haben: In die sogenannte »1B Neu« kommen demnach Inhaftierte, von denen das Personal oder die Ausländerbehörde eine Gefahr erwartet, und psychisch erkrankte Häftlinge. Wer in dieser Abteilung einsitzt und auf die Abschiebung wartet, habe keinen Kontakt zu Mitinhaftierten und in manchen Zellen auch keinen Privatbesitz, also weder Fernseher noch pri­vate Dinge, so Gockel.

Der Unterstützerverein spricht von Isolierhaft. Andreas Bothe (FDP), Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, wies diese Wortwahl auf der Sitzung des Integrationsausschusses im Landtag in Düsseldorf am Mittwoch vergangener Woche ­zurück. Es handele sich nicht um Strafvollzug, Einzelzimmer entsprächen ­höheren Standards. »Die Regierung spricht nicht von Zellen, sondern von Zimmern, nicht von Haft, sondern von Unterbringung«, so Gockel. Der fehlende Kontakt und die fehlende Möglichkeit zur Freizeitbeschäftigung ­seien aber nichts anderes als Isolation. »Wir müssen mit ansehen, wie sich der Zustand der Menschen auf der Abteilung zusehends verschlechtert«, so der Sprecher des Vereins.

In 25 Jahren dokumentierte die Antirassistische Initiative 79 Suizide und 743 Selbstverletzungen von Flüchtlingen in Gefangenschaft, vor allem in Abschiebehaft.

Auch das Fehlen festangestellter Psychologinnen und Psychologen in der Einrichtung hat Gockel zufolge Konsequenzen, wenn etwa die Haftfähigkeit an Ort und Stelle nochmals überprüft werden müsse. »Gerade Menschen, die suizidal sind und unter medizinische Beobachtung gestellt werden müssen, gehören in ein Krankenhaus und nicht in ein Gefängnis.« Auf An­frage der Jungle World gab die Bezirksregierung an, dass derzeit eine Stelle für eine Psychologin oder einen Psychologen ausgeschrieben sei, erstmals seit der Aufnahme des Betriebs im Jahr 2015.

 

Anfang Mai hatte der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) dem Spiegel zufolge angesichts der anhaltenden Diskussion über die Zustände in der UfA eingeräumt, dass die Behörden nach einem Psychologen für die 140 Inhaftierten suchten. Berivan Aymaz, die Sprecherin der Grünen im Integrationsausschuss des Landes, ist eine der Oppositionsabgeordneten, die zuvor eine bessere ­psychologische Betreuung gefordert hatten. Nach dem Suizid bleibt sie ­dabei: »Es müssen mehr Sozialarbeiter, mehr Psychologen und mehr gut geschulte Landesbedienstete eingesetzt werden statt privater Sicherheitsdienste. Es zeigt sich, dass der restriktive Kurs der Landesregierung mit langen Einschlusszeiten und Isolation von Menschen die Situation in der Einrichtung nicht entschärft.«

Elke Schmidt von der Dokumentationsstelle der Antirassistischen Initiative Berlin berichtet von etlichen ähnlichen Fällen wie dem in Büren. Sie ereigneten sich ihren Angaben zufolge in den vergangenen 20 Jahren bundesweit. So weist Schmid auf den Suizid eines 17jährigen in der Justizvollzugsanstalt Halle Ende 1998 hin. Mehrfach habe sich der junge Inder selbst schwere Schnittwunden zugefügt. Dreimal habe ihn ein Anstaltspsychologe besucht, allerdings ohne Dolmetscher. Schließlich habe sich der junge ­Gefangene erhängt. In der Pressemitteilung habe das Justizministerium Sachsen-Anhalt am Tag nach seinem Tod geschrieben, es habe keine Anzeichen für eine Suizidgefahr gegeben, sagt Schmidt. Auch in den vergangenen Jahren gab es Suizide in Abschiebehaft. So erhängte sich ein pakistanischer Flüchtling im Juli 2015 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Zwickau, im Februar 2016 ein Mann aus Guinea-Bissau in der JVA Hahn­höfersand in Hamburg und im Juni 2017 ein Iraner in der JVA Stadelheim in München.

Der jüngste Suizid in Nordrhein-Westfalen ist also kein Einzelfall. In 25 Jahren dokumentierte die Antirassistische Initiative 79 Suizide und 743 Selbst­verletzungen von Flüchtlingen in Gefangenschaft, vor allem in Abschiebehaft. Die Dunkelziffer liegt der Organisation zufolge wesentlich höher. Die ­Initiative sei auf Meldungen von Flüchtlingshelfern, Anfragen in Landtagen und die Erhebung der Daten in den Bundesländern angewiesen, die ­lückenhaft seien oder gar nicht veröffentlicht würden, so Schmidt. Sie verweist auf die Datenbank der Initiative unter www.ari-dok.org, die die Recherche zu einzelnen Fällen ermöglicht.

»Die Selbsttötung ist das extremste und konsequenteste Mittel eines Menschen, aus einer verzweifelten und ­ausweglosen Situation herauszukommen«, sagt Schmidt. Die gesetzlich ­vorgeschriebenen Bedingungen wie das Leben in Massenunterkünften, Arbeits- und Ausbildungsverbote, fehlender ­Familiennachzug und vor allem die Drohung mit der Abschiebung zermürbe die Menschen. »Fest steht für uns: Es würden sich mit Sicherheit wesentlich weniger Flüchtlinge etwas antun, wenn sie die Chance auf eine positive Lebensperspektive hätten und hier in Sicherheit leben könnten«, so Schmidt.

Staatssekretär Bothe zufolge arbeitet die Landesregierung im Zuge der Novellierung des nordrhein-westfälischen Abschiebungshaftvollzugsgesetzes daran, die Bedingungen in der UfA Büren zu verbessern. So sollen die gesundheitlichen Bedürfnisse der Inhaftierten in der ersten Woche des Aufenthalts in der UfA festgestellt werden, es soll ihnen »somit Rechnung getragen werden«. Für Gockel vom Flüchtlingshilfeverein ist das Schönfärberei: »Zeigt man sich in Zukunft in dieser ersten Woche nicht kooperativ, endet man mit vielleicht nur einer Stunde Hofgang pro Tag, keinem Handy und keinem Besuch. Es geht tatsächlich eher um die Unterscheidung zwischen guten und bösen Gefangenen.«