Die AfD propagiert Politik gegen Behinderte

Exklusion um jeden Preis

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Die sogenannte Lebensschutzbewegung, die sich sonst gerne und lautstark als Fürsprecher von Menschen mit Behinderungen darstellt, hat hingegen bislang nicht reagiert: nichts von der sonst so kommentarfreudigen »Aktion Lebensrecht für alle«, nichts von der Dachorganisation »Bundesverband Lebensrecht« (BVL), und auch die evangelikale Medienagentur Idea schweigt. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Bewegung der »Lebensschützer« und die organisierten rechten Christen ihr Verhältnis zu der Partei noch nicht geklärt haben und sich weiterhin alle Möglichkeiten offenhalten wollen. In der katholischen Wochenzeitung Die Tagespost darf der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Volker Münz, jedoch den Antrag verteidigen und die Kritik als »grob unwahr« und »absurd« zurückweisen. Die Redaktion scheint sich entschieden zu haben.

Das Thema bewegt nicht nur die Bundestagsfraktion der AfD. Im saarlän­dischen Landtag sprach sich der AfD-Fraktionsvorsitzende Josef Dörr Mitte April in einer Debatte zu Förderschulen gegen den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung aus. Seine Begründung war vielsagend: Er verglich die Beschulung behinderter Kinder mit dem Umgang von Krankenhäusern mit Patienten mit infektiösen Erkrankungen. »Was aber unter keinen Umständen geht, ist, dass in dem gleichen Krankenhaus oder der gleichen Abteilung dann auch Menschen sind mit übertragbaren Krankheiten, schweren ansteckenden Krankheiten. Das ist ein Bild. Aber in der Schule haben wir die gleiche Situation«, sagte Dörr. An Inklusionsschulen würden Kinder mit Down-Syndrom mit »anderen Kindern, die ganz normal, gesund sind«, unterrichtet. Sozial­verbände, Behindertenorganisationen und die anderen Parteien wiesen auch diese Äußerung scharf zurück.
Was die AfD in der Behindertenpo­litik vorhat, zeichnet sich nach den jüngsten Äußerungen ab. Bisher hatte sie sich in diesem Politikfeld kaum ­geäußert. So ist die Ablehnung von »Inklusion um jeden Preis« die einzige behindertenpolitische Position im 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm der Partei. Dass Dörr seinen Kranken­haus­vergleich als »Bild« bezeichnete und damit gegen Kri­tik abzuschirmen versuchte, zeigt – ebenso wie das Zitieren einer deutsch-türkischen Autorin einer links­liberalen Zeitung in der Kleinen Anfrage –, wie kalkuliert die AfD die Grenze des Sagbaren weiter nach rechts rückt.

Die Kritik der Sozial- und Behindertenverbände ließ die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst nicht unbeantwortet: Sie forderte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 29. April, die Vergabe von Bundesmitteln an die Sozialverbände zu überprüfen, da diese »ihre Mitglieder« beziehungsweise die »Interessen der Behinderten« nicht »ordentlich« verträten, sondern »Lobbyarbeit für die Regierungsparteien« betrieben. Sich nach einer behindertenfeindlichen und rassistischen Kleinen Anfrage als Vertreterin der Interessen von Menschen mit Behinderung zu empfehlen – auch das gehört zum Kalkül der AfD.