Eine Ausstellung über die Revolutionen in Deutschland

You say you want a revolution?

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1968 steht im Zeichen der Teach-ins, Streiks und Demonstrationen und lässt sich vor allem als kulturelle Revolution begreifen: Der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann ist in der Ausstellung nicht nur mit dem von ihm im März-Verlag herausgegebenen Buch »Acid« vertreten, das Texte von Andy Warhol, William S. Burroughs, Charles Bukowski sowie Brinkmanns Aufsatz »Der Film in Worten« enthält. Am Rande eines Happenings in Köln ist der Schriftsteller mit Megaphon zu sehen. Die Gruppe XScreen hatte Filme des ­später wegen Missbrauchs verurteilten Aktionskünstlers Otto Muehl ­gezeigt, die wegen der Darstellung »unzüchtiger Handlungen« beschlagnahmt wurden.

Brinkmann protestierte dagegen. Das protokollierte Gespräch zwischen ihm und dem Kölner Polizeipräsidenten Hochstein ist ein Dokument des Nicht­dialogs und der totalen Verweigerung.
Die Ausstellung beschränkt sich darauf, Bilder, Reliquien und kurze Texte zu präsentieren – eine tiefer­gehende Beschäftigung findet nicht statt. In seinen zwischen 1844 und 1849 entstandenen Texten rechnet Karl Marx mit dem Politischen im Allgemeinen und mit der Realpolitik seiner Zeit im Besonderen ab: Das »Manifest der Kommunistischen Partei« oder die Schrift »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« entstanden ebenso in dieser Zeit wie jene Textfragmente, die später unter dem Titel »Die Deutsche Ideologie« erschienen. Gerade letztere verdeutlicht, weshalb Revolten gerade in Deutschland auf tragische Weise scheitern und mitunter ins Autoritäre umschlagen: »Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht«.

Der Publizist Sebastian Haffner knüpfte im Jahr 1968 an diesen Gedanken an und versuchte, eine Tra­ditionslinie des Widerstands aufzuzeigen: »Die Sache der Demokratie ist heute bereits wieder, kaum weniger als 1848 und 1918, eine revolu­tionäre Sache.« Der Satz stand in einer Rezension zum Aufsatz »Transformation der Demokratie«, mit dem Johannes Agnoli eine radikale Kritik der (Real-)Politik vorlegte. Agnoli lässt keinen Zweifel daran, dass die »Utopie der ›Gesellschaft der Freien und Gleichen‹ (Marx)«, nicht als »Gesetzesvorlage weder oppositioneller noch regierender Fraktionen in den Bundestag eingebracht werden« könne. Letztlich haben »weißer Terror« oder »Programm und Technik des sozialen Friedens« noch jegliche Widerstandsbewegung besiegt und integriert.
»Auch wenn alle drei Aufstandsbewegungen für sich gescheitert sein mögen, haben sie doch alle Spuren hinterlassen und unsere Gesellschaft in der Form, wie sie heute existiert, erst hervorgebracht«, sagt Christian Liedtke. Die 1848 eingeführte Verfassung in Preußen bedeutete das Ende des Feudalabsolutismus, die Revolution von 1918 führte zur ersten Republik auf deutschem Boden und 1968 brachte vor allem eine (vorübergehende) Liberalisierung der Gesellschaft mit sich. »Auch Heinrich Heine wurde als politischer, demokratischer oder wenn man so will: revolutionärer Autor erst nach 1968 entdeckt«, sagt Christian Liedtke. Davor sei die Heine-Rezeption eher eine »eine biedermeierlich-unpoli­tische« gewesen.

Allein die Tatsache, dass es eine unabhängige Opposition gab, sorgt auch dann noch für Unbehagen, wenn diese Revolten längst historisiert sind: Die Protagonisten des Vormärz – egal ob bürgerlich oder sozialistisch – wurden auch dann noch verfolgt, als sich das Kaiserreich längst konstituiert hatte. Die Vertreter und Verteidiger der Weimarer Republik waren in den Augen der Reaktion »vaterlandslose Ge­sellen«, als sie längst den Pakt mit der alten, herrschenden Klasse geschlossen hatten. Und die Achtundsechziger gelten auch 50 Jahre nach der antiautoritären Revolte noch als Zerstörer der alten Werte – obwohl sie längst ihren Frieden mit der Republik gemacht haben.

Waren die Revolten von 1848, 1918 und 1968 also doch nichts anderes als Pausen von der permanenten Konterrevolution? Die Ausstellung versucht ein optimistisches Bild der geschichtlichen Umbrüche zu vermitteln, ohne die Niederlagen zu ignorieren.

 

¿Revolution! – 1848, 1918, 1968. Heinrich-Heine-Institut. Bis 20. Mai.