Viele Unternehmen sehen durch die Datenschutzverordnung der EU ihre Geschäftsmodelle bedroht

Schlacht um die Daten

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Anbieter von Kommunikationsdiensten sollen dann Daten über staatliche ­Zugriffe festhalten und auf Anfrage an die zuständigen Datenschutzbehörden übermitteln. Das Parlament nahm den verbraucherfreundlichen Vorschlag des Ausschusses im Oktober an. Um die Verordnung in Kraft zu setzen, müsste zunächst der Rat der EU zustimmen. Im Rat sitzen die Fachminister der Mitgliedsstaaten – sie haben die Beratungen zu dem Thema auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben. Danach muss noch der sogenannte ­Trilog aus Vertretern von Rat, Parlament und Kommission über die Verordnung entscheiden. Wann dies in diesem Jahr passieren wird, ist nicht bekannt. ­Ursprünglich sollte die E-Privacy-Verordnung am 28. Mai in Kraft treten. Die Pressestelle der EU-Kommission teilte der Jungle World mit, dass der ­Termin nicht eingehalten werden kann.
Befürwortern der neuen Regelung dauert das zu lange. Ende März wandten sich 20 europäische Bürgerrecht-NGOs, darunter die Digitale Gesellschaft aus Deutschland, in einem offenen Brief an die Regierungen der Mitgliedsstaaten. Sie fürchten, der Lobbyismus der Daten- und Werbeunternehmen könnte sich beim Trilog durchsetzen und den Vorschlag des Parlaments aufweichen. »Trotz der klaren und dringenden Notwendigkeit, die Privatsphäre und den Schutz elektronischer Kommunikation zu stärken, kommen die Verhandlungen im Rat nicht zu einem Ergebnis«, heißt es in dem Brief. »Einige Mitgliedsstaaten scheinen gewillt, die engstirnigen ­Geschäftsinteressen einer kleinen Zahl großer Internetkonzerne höher zu ­gewichten als die Grundrechte und das Vertrauen in die gesamte europäische Online-Wirtschaft.«

Die NGOs berufen sich in ihrem Brief auf die öffentliche Meinung innerhalb der EU. Einer Umfrage von 2016 zufolge, die von der Kommission in Auftrag gegeben wurde, sind knapp 90 Prozent der EU-Bürger für datenschutzfreundliche Voreinstellungen, einfacheren Schutz vor Tracking und für das Recht auf verschlüsselte Kommunikation. 71 Prozent waren dagegen, dass Unternehmen individuelle Daten ohne ­Zustimmung für Werbezwecke nutzen.

Doch die Lobbyarbeit der Digitalwirtschaft scheint zumindest in Teilen erfolgreich gewesen zu sein. Der aktuelle »Kompromissvorschlag« des Rats sieht vor, dass bei Cookie-Anfragen auf Websites ein einmaliger Zustimmungs-klick für die Weitergabe von Daten an Dritte genügen soll.
Aus Sicht der Kommunikationsbranche sind die Datenschutzanliegen des EU-Parlaments hinderlich für die Gewinnmaximierung – und für den Einsatz von Big Data. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) argumentiert, Reichweitenmessungen würden mit der neuen Regulierung unmöglich. »Ehemals kostenfreie Internet­angebote werden kostenpflichtig oder mangels Finanzierungsgrundlage ganz verschwinden«, so Thomas Duhr, Vizepräsident des BVDW.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger befürchtet, dass Pressehäuser künftig gezwungen werden könnten, den Nutzerinnen und Nutzern ihre Dienste zur Verfügung zu stellen, »auch wenn diese nicht in die zur Erstellung und Finanzierung der Angebote notwendige Datenverarbeitung einwilligten«. Sollte sich Deutschland auf ­EU-Ebene nicht für eine andere Regelung einsetzen, drohten »irreversible Schäden für die Zukunft der freien Presse«, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands.

Der Einsatz Deutschlands erfolgte zumindest in Form einer Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium vergangenen Dezember veröffentlicht hat; Urheber ist die hauseigene Beratungsagentur WIK. In dem Papier ­werden die wirtschaftlichen Auswirkungen einer auf Datenschutz basierenden E-Privacy-Verordnung diskutiert. Es sei zu vermuten, dass »deutlich weniger Verbraucher in die Durchleitung zielgerichteter Werbung mit Hilfe von Cookies einwilligen werden«. Deshalb sei von »einer Reduktion des gesamten digitalen Werbebudgets von etwa ­einem Drittel auszugehen«, so die Prognose. Für die Studie wurden ausschließlich Wirtschaftsvertreter aus der ­Werbe- und Medienbranche befragt – was die Bundesdatenschutzbeauf­tragte Andrea Voßhoff kritisiert. »Leider wurde die Chance vertan, im Rahmen der Studie beispielsweise auch neue Geschäftsmodelle mit datenschutzfreundlichem Tracking des Nutzerverhaltens zu beleuchten. Das in der Studie skizzierte düstere Szenario dürfte ­daher niemanden überraschen, greift aber zu kurz«, so Voßhoff.

Ob dieses düstere Szenario Realität wird, ist fraglich. Tatsache ist, dass die auf datenbasierte Werbung angewiesene Internetwirtschaft es immer schwerer hat, auf dem Anzeigenmarkt Geld zu verdienen. Die Erlöse sinken – und die User nutzen Adblocker, um störende Reklame fernzuhalten. Wie die Zukunft für Webunternehmen aussehen könnte, hat Florian Glatzner von der Verbrauchschutzzentrale Bundesverband im ­Gespräch mit Netzpolitik.org skizziert: »In Zukunft wird es einen Mix aus personenbezogener Werbung auf Basis einer Einwilligung, nichtpersonen­bezogener Werbung, Freemium- und Abomodellen sowie anderen Finan­zierungsweisen geben müssen.«