Bei der Bürgermeisterwahl im thüringischen Altenburg hofft die Neue Rechte auf einen »Paukenschlag«

Skatstadt vor dem Stechen

Am Sonntag wird im thüringischen Altenburg ein neuer Bürgermeister gewählt. CDU und SPD werben für eine »offene Stadt«, die Neue Rechte träumt von einem »Paukenschlag« – ein Ortstermin in der ostdeutschen Provinz.

Jeden Mittwoch ist im ostthüringischen Altenburg Markttag. Es gibt knackiges Obst und Gemüse, Unterwäsche in allen Größen, von Hand gewendete Bratwürste und – aus aktuellem Anlass – Zukunftsvisionen aus regionalem ­Anbau. Denn am Sonntag wird in der 30 000-Einwohner-Stadt gewählt. Von dem »politischen Erdbeben«, das die Lokalpresse heraufbeschworen hat, ist in der historischen Altstadt zunächst ­wenig zu spüren. Das Angebot der Kandidierenden hört sich zunächst so an, wie Lokalpolitik eben klingt: Mal soll Altenburg eine »attraktive Wohnstadt«, mal der »Mittelstand gestärkt« werden, mal ein neues »Naherholungsgebiet« oder »Zwischennutzungsangebot« entstehen. Am Stand des »Bürgerforums Altenburger Land« werden dagegen andere Töne angeschlagen: »Wir brauchen eine Willkommenskultur für einheimische Kinder statt für Gäste auf Lebenszeit.«

Der Mann, der diesen Satz sagt, heißt Frank Schütze. Über seinem gewaltigern Nacken spannt sich ein kariertes Hemd. Der 54jährige war mal Weltmeister im Bankdrücken, jetzt will er ins Rathaus. Was Aussagen zu seinem Programm angeht, ist er zurückhaltend bis vorsichtig. Zu oft schon sei er »als Nazi verunglimpft und diffamiert« worden, »nur weil ich im Internet vor einer schwarz-weiß-roten Fahne zu ­sehen war«. Und dann waren da noch ein paar von Schütze auf Facebook mit »Gefällt mir« markierte NPD-Gruppen. Alles Ausrutscher. Wie ein kurzer Blick in das soziale Netzwerk zeigt, macht er inzwischen nur noch »patriotische« Häkchen bei Pegida, der Identitären Bewegung und Marine Le Pen. Très chic.

Um Kreuzchen auf dem Stimmzettel wirbt Schütze »nicht wie die Altparteien« mit einem »Allerweltsprogramm großer Versprechungen«. Vielmehr ­garantiert er »aufzudecken, wie viel Haushaltsgelder der Stadt für Flücht­linge ausgegeben werden«, um dafür zu sorgen, dass »alle Mittel, die keine Pflichtausgaben darstellen, künftig für die eigene Jugend genutzt werden«. Als »einfach schwachsinnig« bezeichnet die SPD-Kandidatin Katharina Schenk diesen Vorschlag. Es gebe nichts aufzudecken. »Das Budget der Stadtver­waltung ist online nachzulesen«, sagt André Neumann, der für die CDU ­antritt. »Die einzige relevante Ausgabe des Landkreises ist das Gehalt der ­Integrationsbeauftragten.« Und die Kandidatin der Linkspartei? Es gibt keine – nach internen Streitigkeiten zu Jahresbeginn hat die Partei niemanden nominiert.

Umso leichter fällt es dem neurechten »Bürgerforum«, sich als Kummer­kasten der kleinen Leute zu inszenieren, die auf dem Wochenmarkt von ihrer »schmalen Rente«, Angst vor Altersarmut, Langzeitarbeitslosigkeit oder ­Sorgen über die berufliche Zukunft ihrer Kinder erzählen. Viele machen die »etablierten Parteien« für eine Reihe von Fehlentscheidungen mitverantwortlich, die zum wirtschaftlichen Niedergang der Stadt geführt hätten. »Das fing 1990 an, bei der Entscheidung, die Altenburger Bindung an Leipzig aufzugeben«, beschwert sich ein Rentner, dessen Frau gerade Blumen kauft. Damals, nach der Auflösung der DDR-Bezirke, stimmten 54 Prozent der Einwohner dafür, sich dem Bundesland Sachsen anzuschließen. In geheimer Abstimmung votierte der Kreistag dennoch für Thüringen.

Fortan fristete Altenburg ein Randdasein, fernab der Landeshauptstadt ­Erfurt. Einen Autobahnanschluss? Gibt es bis heute nicht. Der einst von der ­Sowjetunion unterhaltene Militärflughafen? Konnte sich trotz millionenschwerer Investitionen nie als ziviler Standort durchsetzen. Die Fluggesellschaft Ryanair strich für ihr versprochenes Flugdrehkreuz zwar hohe öffent­liche Beihilfen ein, siedelte schließlich aber doch nach Leipzig um. Auch die nahegelegenen sächsischen Städte Zwickau und Meerane stehen heutzutage vergleichsweise gut da. Zulieferbetriebe haben sich angesiedelt und große ­Gewerbegebiete sind entstanden – gute Stiche, von denen die Skatstadt Altenburg, in der das Kartenspiel einst erfunden wurde, nur träumen kann.

 

 

 

Der CDU-Kandidat Neumann kennt diese Geschichten, er hört sie oft gleich früh am Morgen in einer Bäckerei ­neben dem Rathaus. Dort hat der 40jährige Prokurist sein inoffizielles Wahlkampfbüro. Bei einer Tasse Tee benennt er den Hauptgrund dafür, dass Altenburg bereits in den neunziger Jahren eine der höchsten Arbeitslosenquoten Deutschlands hatte und seit damals mehr als 20 000 Einwohner verloren hat. Die Wismut, ein sowjetisch-deutsches Bergbauunternehmen, habe in der Region bis zur sogenannten Wende Uran abgebaut und sei der größte ­Arbeitgeber gewesen. »Zudem entstanden zahlreiche Produktionsbetriebe«, sagt Neumann. So wuchs Altenburg über Jahrzehnte recht schnell und ­erlebte den industriellen Niedergang dann umso intensiver.

Eine Frau am Nebentisch stellt sich als Melanie vor. »Ins Klassenzimmer meines Sohnes regnet es seit langem rein«, beschwert sich die Mittdreißigerin. Die beiden wohnen im Platten­bauviertel Altenburg Nord, dem ärmsten Teil der Stadt, in dem »angesichts der derzeitigen Haushaltssituation manche Sanierungen leider noch Jahrzehnte dauern werden«, so Neumann. Doch die Frau ist noch nicht fertig. »Und in der Zwischenzeit? Da werden un­sere Kinder durch Zuwanderer vertrieben! Von den Spielplätzen! Und im ­Unterricht? Da stören sie nur!« »Einer ist so assi, der macht nix«, wirft ihr 13jähriger Spross ein. »Eh, so nicht!« mahnt sie und fügt hinzu: »Naja, die ­Abneigung ist da, die Grenze erreicht. Mehr geht nicht!« Verantwortlich für das »Chaos der Kulturen« sei die »beratungsresistente« Landrätin Michaele Sojka von der Linkspartei.

»Damals, 2015, als voll beladene Busse mit weinenden Kindern vor dem Landratsamt hielten, musste Frau Sojka doch eine Unterbringung sicher­stellen«, versucht Neumann die Wutbürgerin zu beschwichtigen. Und er räumt ein: »Die jetzige Verteilung verträgt die Stadt nicht gut.« Die räumliche Konzentration von 1 400 Geflüchteten im 5 000 Einwohner zählenden Stadtteil Nord habe vor allem der scheidende Bürgermeister Michael Wolf (SPD) zu verantworten, »der damals wenig kooperativ bei der Suche nach Wohnraum war«, so Neumann.

»Dass die CDU seinerzeit die stärkste Fraktion im Stadtrat stellte, erwähnt er nicht«, kontert die SPD-Kandidatin Katharina Schenk. Die 29jährige ist die »Neue« in Altenburg, aus Leipzig zu­gezogen, erst vor ein paar Monaten. Sie hat noch keine Stammbäckerei, dafür aber eine Stelle in der Stadtverwaltung, eine schöne Wohnung und eine Zukunftsvision, die sie gerade selbst vorlebt. »Meine Familie und ich haben nach einem neuen Lebensmittelpunkt gesucht. Nicht zu weit weg von Leipzig, mein Mann ist Pendler.« In die Stadt hätten sie sich gleich verliebt, denn Altenburg habe einiges zu bieten: Theater, Musikschule, Schwimmbad, Museen. Kurzum: gute Infrastruktur, günstige Mieten. Das gebe es so sonst nicht im Leipziger Speckgürtel. »Deshalb hat die Stadt durchaus Chancen, wieder zu wachsen, nicht als reine Schlafstadt, sondern als attraktive Kleinstadt mit S-Bahn-Anbindung«, glaubt die Sozialdemokratin.

Dass Schenk überhaupt kandidiert, liege auch an dem überraschenden Rückzug des Bürgermeisters Wolf. »Klar, eine optimale Wahlkampfvorbereitung ist anders«, sagt sie. Falls sie nicht gewinne, werde sie trotzdem weiter im Rathaus arbeiten, »mit einem frischen Blick von außen, ohne das ewige ›hätte, hätte, Fahrradkette‹ – und mit einer klaren Grenze zu rechter Hetze«.

Denn selbst wenn das neurechte »Bürgerforum« am Sonntag den Kampf ums Rathaus nicht gewinnt, werden alte und neue Rechte in Altenburg nicht einfach verschwinden. Die örtliche Naziszene ist gut organisiert, früher im Thüringer Heimatschutz (THS), aus dem sich die nazistische Terrororga­nisation NSU entwickelte, heutzutage in rechtsextremen Kameradschaften und der »Reichsbürger«-Bewegung. Im Dezember 2015 verübten zwei Männer aus Altenburg Nord einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Kandidat Schütze »lehnt zwar jede Art von Gewalt grundsätzlich ab«, aber ­eigentlich würden ohnehin »die meisten Asylantenheime von Asylanten selbst angezündet«. Mit solchen und ähnlichen »Fakten« versucht das ­neurechte ­»Bürgerforum« auch bei der gleichzeitig stattfindenden Landratswahl zu punkten.

Unterstützt wird es dabei von der AfD und Jürgen Elsässer, dem Chefredakteur des neurechten Magazins Compact, der 2016, angeblich auf der Flucht vor Ausländern und Antifa aus dem »links-versifften Leizpig«, für einige Monate in der »Oase Altenburg« Asyl suchte. Auf einer Wahlkampfveranstaltung des »Bürgerforums« im März sagte Elsässer, ein »Paukenschlag für Deutschland« müsse hier nun stattfinden, und wenn nicht dieses, dann nächstes Jahr. 2019 wird in Thüringen ein neuer Landtag und in Altenburg ein neuer Stadtrat gewählt.