Kritische Astrologie - Das Telefonat und seine Macht über unser Leben

Please hold for the President

Kolumne Von

Es muss einem längst nicht mehr peinlich sein, ungern zu telefonieren. Chat- und Mailanwendungen machen es glücklicherweise nahezu überflüssig, die Stimme direkt ans Gegenüber zu richten. Whatsapp ist auch für die ältere Generation leicht zu bedienen; gerade die Silver Surfer spielen meisterhaft auf der Klaviatur der Emojis. Telefonieren ist überdies nicht nur technisch überholt, sondern auch soziologisch: Wo alle permanent ihr

Wohlgefühl und Glücklichsein über die sozialen Medien verströmen, könnte bei einem Anruf leicht der traurige Klang der eigenen Stimme die wahre Seelenlage offenbaren, und Trauer geht gesellschaftlich gar nicht mehr, sorry. Umso interessanter, dass das Politikertelefonat derzeit wieder eine Renaissance erlebt. Gerade in der Russlandkrise glühten die Drähte wie seinerzeit nur das rote Telefon unter Kennedy und Chruschtschow. Sogar die SMS-Kanzlerin Merkel ließ die Tippdaumen ruhen und sprach mit Trump, selbst ein passionierter Telefonierer, eine gute halbe Stunde über dieses und manches. Es liegt eine große Schönheit in dem Wissen, dass die wichtigsten Leute zu den wichtigen Anlässen gerade zu den veraltetsten Medien greifen. Vor dem Zeitalter von Twitter hat man ja manchmal sogar Telegramme bekommen, die das Eintreffen einer bestellten Waschmaschine ankündigten!

Auch ein Ruch von Verschwörung, von Geheimnis und Intimität liegt über dem Politikertelefonat. Werden da Witze auf unsere Kosten gerissen? Verstehen sich scheinbare Gegner in Wahrheit blendend? Kommt es gar, wenn Übersetzer und protokollarischer Apparat abgeschaltet haben, zu feurigem Telefonsex? Stets schwingt auch die Beruhigung mit, dass inmitten allmächtiger Institutionen am Ende doch zwei Menschen normal miteinander sprechen, dass nicht alles von der WHO in kilometerlangen Verträgen ausgeheckt wird. Es muss eigentlich alles noch viel retroer werden! Politiker sollten wieder anfangen, sich parfümierte Briefe zu schreiben oder einfach mal zusammen in Urlaub fahren: Es würde die öffentliche Meinung sehr beruhigen, ja vielleicht sogar gänzlich zum Schweigen bringen. Das wäre schön.