Ohne Abdullah Öcalan geht es bei den türkischen Kurden nicht

Kurden in der Klemme

In der Türkei gab es kaum Proteste gegen den Einmarschs in die syrisch-kurdische Enklave Afrin. Eine sonderbare Rolle spielt dabei der ehemalige PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan.

In Diyarbakır schien zum kurdischen Neujahrsfest Newroz die Welt noch in Ordnung. Hunderttausende versammelte sich zur Feier im Newroz-Park, die kurdischen Farben Rot, Grün und Gelb dominierten. Um die Ordnungskräfte nicht zu provozieren, waren die Girlanden auch mit violetten Streifen durchzogen; als Besucher Parolen zur Unterstützung des gefangenen PKK-Anführers Abdullah Öcalan riefen, stellten die Veranstalter von der Tribüne aus die Musik lauter. Die Polizei begnügte sich damit, zwei Lokalreporter mit auf dem Rücken gefesselten Händen abzuführen. Ganz ohne Repressalien geht es im Erdoğan-Staat nun mal nicht.

 

Kampflos räumten die kurdischen Verteidiger Afrin – drei Tage vor Newroz und dazu noch am Jahrestag des türkischen Sieges in der Schlacht von Gallipoli im Ersten Weltkrieg. Das ist auffällig.

 

Die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) kann noch immer Massen mobilisieren, aber sie steckt politisch in einer Sackgasse. Anders als während des Kampfs um Kobanê kam es nicht zu größeren Protestaktionen gegen den Einmarsch der türkischen Armee und ihrer syrischen Hilfstruppen in Afrin. Die Proteste, die es gab, waren meist klein und offensichtlich spontan. An Istanbuls Bosporus-Universität stellte sich beispielsweise eine kleine Gruppe linker Studierender den Nationalisten entgegen, die anlässlich des Sieges in Afrin kleine Stücke der Süßspeise Lokum verteilten. Fünf Studierende wurden daraufhin festgenommen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ es sich nicht nehmen, den Vorfall persönlich zu kommentieren. Vor Anhängern in der Schwarzmeerstadt Samsun bezeichnete er die Festgenommenen als »jene Kommunisten, jene Vaterlandsverräter, jene Terroristen«. Sie hätten kein Recht, in der Türkei zu studieren, schallte die Stimme des Präsidenten über den Platz. Er wisse aber, dass der Rektor sehr verständig sei und das Richtige tun werde. Damit kann Erdoğan rechnen, da er per Dekret die Rektoratswahlen abgeschafft hat und seither sämtliche Rektorinnen und Rektoren selbst ernennt. Zwei Tage nach der Rede Erdoğans durchsuchte die Polizei in den Morgenstunden die Wohnheime und die Bibliothek der Universität und nahm zwei weitere Studierende fest.

Der Ausnahmezustand, der nach dem Putschversuch von 2016 ausgerufen wurde und seitdem ununterbrochen in Kraft ist, hat dazu beigetragen, dass Erdoğans Einfluss auf Medien, Justiz, Schulen und Universitäten enorm gestiegen ist. Das Internet ist vom Ort rascher Kommunikation zum Ort ständiger Überwachung geworden.

Doch Repression und Propaganda sind nicht alles. Anders als im Fall der Belagerung Kobanês, als die Türkei die Truppen des »Islamischen Staats« (IS)nur indirekt unterstützte, sind in Afrin auch türkische Soldaten an der Front. Das hat nationalistische Reflexe auch bei Teilen der Opposition ausgelöst. Diesmal ist die kurdische Opposition wirklich isoliert.

Nicht zuletzt hat die kurdische Bewegung ihre Anziehungskraft in der Türkei weitgehend verloren. Im Frühjahr 2015 hatte Erdoğan erkannt, dass ihm die Verhandlungen mit dem auf der Insel İmralı inhaftierten ehemaligen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan keine Wählerstimmen bringen. Bis dahin hatte Öcalan gute Dienste geleistet, denn er sorgte nicht nur für einen unbefristeten Waffenstillstand der PKK, sondern wirkte auch immer dann mäßigend auf die kurdische Bewegung ein, wenn es für Erdoğan schwierig wurde. So hielten sich die Kurdinnen und Kurden bei den Gezi-Protesten von Ausnahmen abgesehen zurück. Nach den Korruptionsskandalen im Umfeld der AKP-Führung 2013 zogen sich die kurdischen Abgeordneten unter einem Vorwand aus dem Untersuchungsausschuss zurück, was eine gerichtliche Aufarbeitung verhinderte. Ein letztes Mal griff Öcalan ein, als es anlässlich der Belagerung Kobanês zwischen September und Oktober 2014 zu Protesten kam, und sorgte für relative Ruhe.

Indessen tat Erdoğan, was er konnte, um zu verhindern, dass die Verhandlungen zu Ergebnissen führen. Es wurden sogenannte Räte mit mehr oder weniger prominenten Personen gebildet, darunter viele Schauspielerinnen und Schauspieler. Sie arbeiteten Lösungsvorschläge aus, die dann wieder verworfen wurden. Kurdische Politiker merkten, dass Erdoğan sie an der Nase herumführte, doch sie konnten nichts dagegen tun, weil Öcalan mitspielte. Obwohl man aus Regierungskreisen durchblicken ließ, dass man es mit den Verhandlungen nicht ernst meine, wandten sich wegen der Gespräche manche nationalistische Türken von Erdoğan ab, während der Einfluss der prokurdischen HDP wuchs.