Dem linken Zentrum »Havanna 8« in Marburg droht die Schließung

Letzte Zigarre fürs Kollektiv

Dem »Havanna 8« in Marburg droht das Aus – es ist ein Beispiel dafür, dass linke Zentren durch Gentrifizierungsprozesse gefährdet sind.

Fünf Gehminuten entfernt von der Zentralmensa der Philipps-Universität Marburg treffen sich heutzutage wie schon vor über 30 Jahren Mitglieder von antifaschistischen Organisationen, Fachschaften und Gewerkschaftsgruppen in einer schummrigen Kneipe ­namens »Havanna 8«. Die Schichten stemmen neun Ehrenamtliche des »Vereins zur Förderung interkultureller Kommunikation e. V.«. Sie schenken von neun Uhr abends bis spät in der Nacht an Studierende, Arbeitslose und Obdachlose mit das billigste Bier in Marburg aus: Die 0,5-Liter-Flasche für 2,10 Euro oder 0,4 Liter Fassbier für 2,70 Euro. Die 50 Cent, die andere Marburger Kneipen draufschlagen, bilden dort fast den gesamten Reingewinn, auf den das Kollektiv hier im Interesse der wenig zahlungskräftigen Stammkundschaft verzichtet.

Allerdings leidet auch das Kollektiv unter steigendem ökonomischem Druck. »Wenn ich von meinen Eltern nicht finanziell unterstützt würde, könnte ich mir die ehrenamtliche Arbeit nicht leisten«, sagt Clara, die Sozial­wissenschaften studiert und neben dem Thekendienst noch in anderen sozialen Projekten mitarbeitet. Durch die Studienreform sind die meisten Studierenden gezwungen, möglichst schnell zum Abschluss zu gelangen.

 

Während einige linke Projekte wie die Rote Flora in Hamburg gegen konkrete politische Gegner aus CDU, FDP und AfD kämpfen, haben sie bei ökonomisch vermittelten Prozessen wie Gentrifizierung nur abstrakte Gegner.

 

An traditionsreichen linken Einrichtungen wie dem Havanna 8 werden ­Erfahrungen, Organisationsfähigkeit und Spezialwissen weitergegeben, aber auch Material wie Transparente oder Archive gelagert. Weil es für eine Expansion nie reichte, sind solche ­linken Strukturen in Marburg überschaubar geblieben: Gesellschafts­kritische Studierende wohnen im »Bettenhaus« oder in einer der vielen WGs, tagsüber gehen sie ins »Café am Grün«, abends ins Havanna 8 und für Disko, Vorträge oder anderswo selten zu sehende Filme ins »Café Trauma«. Mit dem Havanna 8 droht nun der wichtigste Teil dieser Infrastruktur wegzubrechen.

Ein Investor, die »Sciolla Investment GmbH & Co. KG«, hat kürzlich den ­gesamten Wohnblock am Rudolphsplatz gekauft, in dem sich auch das Havanna 8 befindet. Der Geschäftsführer der Firma, Matteo Sciolla, will statt der ­gemeinnützigen Kneipe bessere Möglichkeiten des Geschäftemachens: Ein Glücksspielautomat soll her, 24 Stunden Öffnungszeit seien ideal. Die Getränkekeller und Lagerräume könnten in Weinverkostungsräume umgestaltet werden, während die gute Lüftungs­anlage für eine Shisha-Lounge spräche. Sciolla forderte im Februar 2 500 Euro Kaltmiete – fast das Doppelte der bisherigen Miete und für das Kneipen­kollektiv keine Verhandlungsgrundlage. Das Havanna 8 legte Widerspruch ein, woraufhin der Vermieter dem Kollektiv zum Ende der Vertragslaufzeit, dem 30. April 2019, kündigte.

Der Investor gibt sich zwar selbst im Kündigungsschreiben verhandlungsbereit: »Ich stehe weiterhin für Gespräche zur Verfügung, damit auch weiterhin ein friedliches Mietverhältnis beibehalten wird.« Sein Interesse besteht aber darin, Nutzungsdauer und -weise der Immobilie so profitabel wie möglich zu gestalten. Damit dürfte er sich zumindest teilweise verrechnen: Selbst eine kommerziell betriebene Kneipe im Zentrum Marburgs ist auf ein Stammpublikum angewiesen. In den Semesterferien verwaist die Stadt, ­deren Bevölkerung zu fast einem Drittel aus Studierenden besteht, über Monate; in der teuren Oberstadt kann sich kaum ein Laden über mehrere Jahre halten. Nur weil die Bourgeoisie genug Kapital auf der hohen Kante hat, um sich ein Zweitloft in der Marburger Oberstadt zu leisten, bedeutet das nicht, dass sie zwischen Hauptverkehrsader und Unterführung und mit Ausblick auf die düsteren Wände der alten ­Universität am Glücksspielautomaten teuren Wein verkosten und dabei ­Shisha rauchen wird.

Und dennoch: Obwohl Studierende immer weniger Geld für Kneipengänge haben, dürfte eine gut geplante Kneipe im Zentrum rentabler sein als das gemeinnützige Havanna 8. Der stickige und laute Marburger Talkessel mit seiner abgewirtschafteten Bebauung hat nicht ohne Grund eine hohe Rendite­erwartung. Wer denkmalschutzgerecht renoviert oder neu baut, kann im ­Luxussegment vermieten – aber noch mehr Profit ist möglich, wenn man ­unrenovierte, jahrhundertealte Häuser mit immer kleiner zugeschnittenen Zimmern an WGs vermietet, die sich über hohe Nebenkosten nicht beschweren.

Die Stadtpolitik ist an dieser Misere mitschuldig, weil sie die zur Schaffung von Wohnraum benötigte Arbeit und den Gewinn – Risiko gab es kaum – weitgehend Investoren überlassen hat. ­Dieser Rückzug des Staates hat Konsequenzen: Ghettoisierung der Rand­gebiete am Richtsberg und im Waldtal, starke Gentrifizierung in der Kernstadt und im Speckgürtel. So läuft die Stadtentwicklung zwangsläufig auf ­einen Verteilungskampf hinaus. Während einige linke Projekte wie die Rote Flora in Hamburg gegen konkrete politische Gegner aus CDU, FDP und AfD kämpfen, haben sie bei ökonomisch vermittelten Prozessen wie Gentrifizierung nur abstrakte Gegner. Manche linken Projekte und WGs sind über das Mietshäusersyndikat, eine kooperative ­Beteiligungsgesellschaft, frühzeitig zum Selbstkauf übergegangen – was eine gewisse Zahlungsfähigkeit voraussetzt und vielen Linken auf Jahre hinaus die Zeit raubt, politisch aktiv zu werden. Für das Havanna 8 hingegen ist der Kauf einer Immobilie im teuersten Bereich Marburgs ohne Gewinnerzielungsabsicht kaum zu leisten. Die Strategie gegen Gentrifizierung dürfte ­daher für viele linke Projekte darin bestehen, den Spagat zwischen System­kritik und gemeinnütziger Staatsantifa hinzubekommen, wobei Hausbesetzungen weiterhin eine wichtige Strategie sein dürften, um Druck zu er­zeugen. Früher wurden linke Projekte in Marburg häufig mit Hausbesetzungen verteidigt, bevor sie in Verhandlungen umgesiedelt wurden und Kompensation erhielten. Schließlich hat die Räumung des »Biegenecks« und seine Umwandlung in ein konfuses ­Nebeneinander von Multiplex-Kino, Banken, Cocktailbars und Leiharbeitsfirmen in der Amtszeit des Bürgermeisters Hanno Drechsler (SPD) rückblickend nur hartgesottene FDP-Wähler überzeugen können.

Ohne die linke Subkultur wäre Marburg rasch wieder das spießige, un­bedeutende Nest an der Lahn, über das selbst die Gebrüder Grimm lachten und das vor allem durch Bücherverbrennungen von sich reden machte. An manchen Abenden ziehen heutzutage wieder Nazis aus den Burschenschaftsvillen vor das Havanna 8, um sich mit Steinwürfen und Hitler­grüßen für die durch effektiven Widerstand bewirkte Einstellung des von ­extrem rechten Burschenschaftlern geprägten Marktfrühschoppens zu ­rächen. Sie wissen, dass es nicht der Verfassungsschutz war, sondern das ­Publikum des Havanna 8, das die ­Demokratie in Marburg verteidigte. Es sind die Gäste des Havanna 8, die überdurchschnittlich häufig prekäre soziale Arbeit mit Behinderten und ­Geflüchteten leisten. Praktisch das gesamte Kulturleben außerhalb der für Millionen renovierten Stadthalle wird von Linken getragen. Da wäre der Verlust des Havanna 8 nicht nur desaströs für die linke Szene in Marburg, sondern auch für die städtische Demokratie in dem mittelhessischen Ort.