Ein rechtsextremer Karnevalsblock durfte beim Zug in São Paulo nicht mitlaufen

Am Ascher­mitt­woch ist nichts vorbei

In São Paulo hätte beinahe ein Block am Karneval teilgenommen, der Folterer der Diktatur ehren wollte. Die politische Rechte in Brasilien bleibt stark.

»Heute ist ein Tag, an dem Brasilien am eigenen Leib erfährt, was Zensur bedeutet. Freiheit für wen?« titelte eine politische Gruppe aus São Paulo am Samstag auf einer Fanpage in einem sozialen Netzwerk. Denn die Stadtverwaltung hatte einem politischen Karnevalsblock die Erlaubnis entzogen, am Straßenumzug teilzunehmen. Von »Totalitarismus« war die Rede und »der falschen Vorstellung, in einer Demokratie zu leben«. Man sollte denken, dass sich ein solches Verbot gegen ein linkes Vorhaben gerichtet hätte, schließlich hat die Rechte seit der umstrittenen Absetzung der Mitte-links-Regierung im Jahr 2016 und der politisch interessierten Verurteilung von Luiz Inácio Lula da Silva  Oberwasser. Doch das Verbot, gegen das die ­soziale Bewegung wetterte, traf weder einen Pappmaché-Marx noch eine Landlosenparade oder eine Che Guevara ehrende Motorradgang, sondern ­einen Karnevalsblock zu Ehren zweier Folterer der Militärdiktatur (1964–1985).

 

Aufgerufen zu »Brasiliens größter antikommunistischer Blockparty« hatte die rechtsextreme Bewegung Direita São Paulo. Auch wenn erst die jüngste Provokation sie international bekannt gemacht hat, warnen linke brasilianische Blogs wie ­Anarcomiguxos bereits seit langem vor der wachsenden Enthemmung der Rechten.

 

Aufgerufen zu »Brasiliens größter antikommunistischer Blockparty« mit »Bier, Unterdrückung und Fleisch« hatte die Direita São Paulo (DSP, Rechte São Paulo), die als rechtsextreme Bewegung einzustufen ist. Sie formierte sich wie ähnliche Gruppen Ende 2014 während der Proteste gegen die damals frisch wiedergewählte Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT). Allein die DSP besitzt heute bei Facebook über 200 000 Follower. Auch wenn erst die jüngste Provokation sie international bekannt gemacht hat, warnen linke brasilianische Blogs wie ­Anarcomiguxos bereits seit langem vor der wachsenden Enthemmung der Rechten. Da ist der gepflegte Revisionismus, mit dem ihre überwiegend männlichen Mitglieder, die sich in Memes selbst als »weiß, christlich und kapitalistisch« anpreisen, die Jahre der Diktatur als »Revolution« feiern. Seit vergangenem Jahr sind auch gewaltsame Übergriffen auf Migrantinnen und ­Migranten dokumentiert.

Bei all dieser offenen politischen Hetze und Aggression verwundert es, dass der Karnevalsauftritt der Rechtsextremen erst im zweiten Anlauf untersagt werden konnte. Denn die Rich­terin Daniela Pazzeti sah zunächst das »Recht auf Meinungsfreiheit verletzt«. Die Organisation Tortura Nunca Mais (Nie mehr Folter), die seit langem für eine Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur kämpft, sprach zu Recht von einem beispiellosen Affront. Der Paradewagen der DSP sollte unter dem Namen »Keller des DOPS« rollen. In den Räumen des Departamento de Ordem Polí­tica e Social (Abteilung für politische und gesellschaftliche Ordnung) hatte die Geheimpolizei gefolterte. Mit dem Konterfei des Leiters des DOPS während der Militärdiktatur, Sérgio Fleury, hatte die DSP bereits Anfang Februar für eine Podiumsdiskussion geworben, daneben mit dem Konterfei des Obersts Carlos Alberto Brilhante Ustra.

Beide wurden von Überlebenden der Folter bezichtigt, beide standen unter dem Verdacht, Todesschwadrone gegen Oppo­sitionelle geführt zu haben. Fleury starb bereits 1979, noch vor dem Ende der Militärdiktatur. Ustra wurde 2008 zwar der Entführung und Folter für schuldig befunden, aber nie zu einer Haftstrafe verurteilt.

Fleury und Ustra stehen bis heute für zwei Arten der Repression während der Diktatur. Der DOPS-Leiter Fleury war bereits vor seinem Eintritt in die Geheimpolizei bekannt für seine brutalen Ermittlungen gegen gewöhnliche Kriminelle, die er später auf politische Gefangene ausweitete.

 

Aufstandsbekämpfung: »Operation Condor«

 

Das ist ein willkommener Anknüpfungspunkt für alle, die eine repressive Sicherheitspolitik als Lösung sozialer Probleme propagieren. Ustra wurde Ende der fünfziger Jahre von französischen und US-amerikanischen Armeeangehörigen in der Aufstandsbekämpfung ausgebildet und steht für antikommunistische Putsche. Die internen Operationszentren des Militärs (DOI-CODI), die Ustra ab 1970 für vier Jahre leitete, waren an der »Operation Condor« beteiligt, die die Verfolgung linker Oppositioneller in mehrerern südamerikanischen Ländern zum Ziel hatte, und standen Pate für den Aufbau von Repressionsapparaten in diversen südamerikanischen Staaten .

Teil solcher Aufstandsbekämpfung war neben Mord und Folter die Unterdrückung künstlerischer Proteste und der freien Meinungsäußerung. Der jährliche Karneval bietet eine Bühne für politische und gesellschaftliche Kritik. Bereits drei Jahrzehnte vor dem Putsch von 1964 versuchte daher der autoritäre Reformpräsident Getúlio Vargas mit den faschistischen Integralisten, die Karnevalsmusik von »lasterhaften und urbanen Motiven« zu befreien. Ab 1938 gab es sogar gesetzliche Regelungen, die eine glorifizierende Bearbeitung der brasilianischen Geschichte und Naturreichtümer forderten und internationale Bezüge verboten. Um ein Exempel zu statuieren, wurde ein Jahr später die Sambaschule Vizinha Faladeira mit ­ihrem Motivwagen zu »Schneewittchen und die sieben Zwerge« disqualifiziert.

Der Zwang zum Patriotismus war bereits Ende der fünfziger Jahre von einigen Sambaschulen mit sozialkri­tischen Themen erfolgreich aufgeweicht worden, zum Beispiel mit der Darstellung eines Sklavenschiffs – wie es auch dieses Jahr wieder auf Umzügen zu ­sehen war. Während der Diktatur ging die Geheimpolizei umso rigider vor, überwachte die Proben vieler Produktionen und zensierte beispielsweise 1969 ein Wort in »Helden der Freiheit«, einem Lied der Sambaschule Império Serrano aus Rio de Janeiro. Die ursprüngliche Zeile lautete: »Diese Flamme, die der Hass nicht aus dem Universum schafft, ist die Revolution aus legitimem Grund.« Der Begriff Revolution musste auf Druck des DOPS in »Evolution« ­geändert werden. Doch 1980 schaffte es ein Vers des Liedes »Sonho de um Sonho« (Traum eines Traums) der Sambaschule Vila Isabel – inspiriert vom gleichnamigen Gedicht Carlos Drummond de Andrades – an der Zensur vorbei auf die Straße: »Gefängnis ohne Folter, glückliche Unschuld. Oh mein Gott, ein falscher Traum, den ich träumte.«

Der Albtraum, den die DSP dieses Jahr in São Paulo inszenieren wollte, ist zwar abgesagt worden.

Dennoch gibt die Rechte gesellschaftlich weiter den Ton an. In Rio de Janeiro kürzte der evangelikale Bürgermeister Marcelo Crivella den Sambaschulen die finanzielle Unterstützung und begab sich nicht zum Tanzen ins Sambódromo, sondern »um zu kontrollieren, ob ­alles seinen Gang geht«. Das böse Erwachen kommt ohnehin erst nach dem Aschermittwoch. Sollte der Präsidentschaftskandidat des PT, Lula da Silva, mit seiner Klage vor dem Verfassungsgericht scheitern und die Präsidentschaftswahlen im Oktober tatsächlich aus einer Gefängniszelle verfolgen, wäre der Weg womöglich frei für den ultrarechten evangelikalen Hard­liner Jair Bolsonaro. Der widmete seine Stimme 2016 beim Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff übrigens niemand anderem als dem Folterer Ustra – wohl wissend, dass dieser Rousseff, die damals einer linken Guerillagruppe angehörte, persönlich misshandelt hatte.

Doch neben dem Streit über den Block der DSP und nostalgischen Tand bot der Karneval dieses Jahr auch Raum für progressive politische Forderungen. Auf den Straßen waren Blöcke unterwegs, die das »Recht auf Stadt« einforderten, sexuelle Vielfalt feierten oder Gesänge gegen sexuelle Belästigung anstimmten – im dichten Gedränge des Straßenkarnevals immer ein Problem.