Das neue Buch von Robert Pfaller ist nicht besonders erwachsen

Von wegen erwachsen

Der Philosoph und bekannte Kritiker der »political correctness«, Robert Pfaller, hat ein Buch über das Verschwinden der Erwachsenensprache aus Politik und Kultur geschrieben. Seine Schlussfolgerungen haben allerdings einen faden Beigeschmack.

Der Kommunismus ist der Wunsch der Menschheit, erwachsen zu ­werden, so formulierte es der Dichter Peter Hacks einmal. Nicht ein Dasein als Anhängsel der Kapitalverwertung zu fristen, sondern sich aus der Unmündigkeit zu befreien – das ist der aufklärerische Sinn der Rede vom Erwachsenwerden. Erwachsensein heißt aber zunächst, die Realität anzuerkennen, als Grenze des eigenen Wünschens und Begehrens, als Quelle von Leid und Lust. Erwachsen zu sein ist eine ambivalente Angelegenheit. Die Unschuld des Wunsches gibt es nicht mehr, nur noch die prosaische Vermittlung mit der Wirklichkeit, das Suchen nach mehr oder minder hinnehmbaren Kompromissen. Anzuerkennen ist auch die letzte Konsequenz allen Lebens, der Tod. Dieser lässt sich nicht vermeiden – und das Leben, das sich vor ihm in jeglicher Hinsicht zu schützen versuchte, würde allenfalls Angleichung an den Tod betreiben, wenn es ihn nicht als letzte Konsequenz begriffe.

 

Begriffslos verweist Pfaller auf ein abstraktes gemeinsames Interesse von »political correctness« und Neoliberalismus. Doch wie der Zusammenhang zwischen neoliberaler Psychopolitik und Identitäts­politik tatsächlich beschaffen ist, bleibt im Dunkeln.

 

Der Wiener Philosoph Robert Pfaller fordert in seinem neuesten Buch »Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und ­Kultur« deswegen eine Politik, die die Subjekte nicht als schwach und schutzbedürftig begreift und somit deren Todesangst verstärkt, sondern eine Politik, die vor dem Tod ein Leben verspricht. Lernend, die vermeidbaren von unvermeidlichen Übeln zu unterscheiden, ziehen die Menschen als »unermüdliche Lustsucher« (Sigmund Freud) durch die Welt. Sie treffen auf Widersprüche, und deren Bewältigung bildet ihr Reservoir an Lebenserfahrung. Das klingt ein wenig nach bürgerlichem Bildungsroman – und diese Tonlage ist nicht ganz zufällig, geht es Pfaller doch auch um die Würdigung der höchsten Tugend von citoyenneté, der Fähigkeit, eine bürgerliche Öffentlichkeit herzustellen, in der sich Gleiche mit Gleichen tummeln und die jeweilige Identität und individuellen Beschränkungen für den Moment keine Rolle spielen. Nur ist das laut Pfaller heute nahezu unmöglich und zudem ersetzt durch einen infantilen Kult der Empfindsamkeiten.

Nun ist die These von der Entbürgerlichung der bürgerlichen Gesellschaft und der dazugehörigen Öffentlichkeit nicht neu – angesichts der ­gesellschaftlichen Entwicklungen aber auch keineswegs widerlegt. Das Problem ist vor allem, dass dieser Idee von Öffentlichkeit ihre historische Basis abhanden gekommen ist, sie sich quasi substanzlos weiter erhält, weil nichts ihr Erbe antreten konnte; die proletarische Öffentlichkeit, die Oskar Negt und Alexander Kluge Anfang der siebziger Jahre noch eine Analyse wert war, ist über den Umweg des Subkulturellen und der counter culture letztlich doch wieder im Schoß der Kulturindustrie gelandet.

 

Bürgerliche Öffentlichkeit vs. political correctness

 

Derzeit sieht Pfaller das Ideal von citoyenneté vor allem durch political correctness bedroht, die für ihn die sprachsensible, zartfühlende Begleitung einer brutalen Politik der Entsolidarisierung ist. Die Zerstörung der Öffentlichkeit und der Gesellschaft als einem Zusammenhang, der einer anderen Logik als nur der der Kapitalverwertung folgen würde, korrespondiere mit der Empfindsamkeit als unveräußerbarer Luxusware ­gehobener, akademisch gebildeter Milieus. Pfaller untersucht in den in dem Band gesammelten Aufsätzen, warum es für Erwachsene Warnungen vor so genannter »adult language« gibt, wie die nachbürgerliche, postmoderne Kultur zum Ressentiment steht, inwieweit sich »Kulturen des Opferseins« von denen der Ehre und der Würde unterscheiden und wie Lust an der Ambivalenz im ­Humor, die an sich selbst beobachtete Differenz von Über-Ich und Ich, als Kulturtechnik zunehmend verschwindet.

In seiner Freud und Lacan, Nietzsche und Althusser zitierenden Lesart begreift Pfaller die Veränderung der individuellen Affekte als Niederschlag der Kultur. Je stärker der gesellschaftliche Druck auf den Einzelnen lastet, desto mehr führt das zu paradoxen Reaktionen zwischen Rebellion und Anpassung, die in der Folge dazu führen können, die sozialen Ursachen für diese Paradoxie ­sogar noch zu verstärken, anstatt sie zu überwinden. Der Zerfall der ­Gesellschaft korrespondiere mit der Aufreibung des Subjekts und dem Versuch seiner verzweifelten Selbstbehauptung.

 

Das grundlegende Problem des Buches ist, dass es die gesellschaftliche Produktion der von Pfaller kritisierten Ich-Schwäche und der Infantilität gar nicht begreift. Ebenso begriffslos verweist er wiederkehrend auf ein abstraktes gemeinsames Interesse von political correctness und Neo­liberalismus. Doch wie der Zusammenhang zwischen neoliberaler ­Psychopolitik und Identitätspolitik tatsächlich beschaffen ist, bleibt im Dunkeln.

 

Gerade an der Sexualität, dem scheinbar Authentischsten – weil Intimsten – könne man das sehen, ­argumentiert Pfaller. Denn die Abgrenzung des eigenen Ichs ist in der Sexualität besonders schwierig, kommen doch hier zahlreiche ichfremde Anteile – Trieb und Kultur – auf durchaus nicht immer harmonische Weise zusammen. Diese Grenze des Narzissmus in der ­Sexualität war noch in der Lesart Adornos ein utopischer Moment, der unter dem Druck der Gesellschaft auch desto weiter ins Tabuisierte abrutschte, je strikter der Identitätszwang im Sexuellen wurde.

Aber gerade an dem Punkt, wo es bei Pfaller gesellschaftsgeschichtlich interessant werden könnte, nämlich bei der Frage, warum die Rede von der sexuellen Befreiung in den sechziger ­Jahren sich so schnell in die von der sexuellen Gewalt und der Post­sexualität verwandelte, wird der Gedanke nicht ausgeführt – und dieser Eindruck stellt sich bei der Lektüre des öfteren ein. Dabei wären die auf­tretenden Widersprüche ja durchaus von Interesse und auch die queere Theoriebildung reagierte auf bestimmte Probleme, die Gleichheits- und Differenzpolitik mit sich brachten. Indem Pfaller das, was er political correctness nennt, allzu schnell als Ursache, aber nicht Symptom eines Dilemmas begreift, ­verzichtet er auf die analytische Tiefe, die man von einem Buch in diesem Umfang von einem Autor mit dieser Reputation erwarten könnte.

Geradezu peinlich ist es dann, wenn Pfaller die Kritik am sogenannten »Man­splaining«, eine Wortneuschöpfung aus man und explaining zur Beschreibung einer Redesituation, die auf einem eingebildeten Vorsprung an Wissen des männlichen Parts basiert, mit der Dynamik einer Verführungssituation zu entkräften meint. Damit wird aber unterschlagen, dass es dabei um die Herstellung der Glaubwürdigkeit beim Sprechen geht, vor allem in der Wissenschaft – und nicht nur bei nächt­lichen Gesprächen am Tresen. Hier wird Pfaller dem kritisierten Gegenstand nicht gerecht, da er ihn missversteht.

Das grundlegende Problem des Buches ist, dass es die gesellschaftliche Produktion der von Pfaller kritisierten Ich-Schwäche und der Infantilität gar nicht begreift. Ebenso begriffslos verweist er wiederkehrend auf ein abstraktes gemeinsames Interesse von political correctness und Neo­liberalismus. Doch wie der Zusammenhang zwischen neoliberaler ­Psychopolitik und Identitätspolitik tatsächlich beschaffen ist, bleibt im Dunkeln.

Die Konsequenzen solcherlei Begriffslosigkeit zeigen sich besonders dann, wenn Pfaller sich im Feld der Politik versucht. Die poli­tical correctness wird ihm dann zur »US-Propaganda«, die zur Kolonia­lisierung diene – was eine völlig falsche Interpretation dessen ist, wie sich die Identitätspolitik aus den Widersprüchen linker Politik entwickelt hat, das eine oder andere transatlantische Missverständnis eingeschlossen. Mehrfach findet sich der Hinweis, dass man endlich die pseudolinke Symbolpolitik kritisieren müsse – um dann als deutsche Repräsentanten einer solchen Kritik gerade Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Daniele Ganser anzuführen, die von »den strammen Opportunisten der pseudoprogressiven politischen Mitte ­sofort mit dem vernichtenden ›Quer­front‹-Vorwurf bedeckt« würden. Solch politische Unbedarftheit offenbart vor allem das eine oder andere Ressentiment des Autors. So ist das Buch in zweierlei Hinsicht misslungen: In der Analyse der Phänomene bleibt es für deren gesellschaftliche Genese blind, in der angedeuteten politischen Konsequenz ist es, wenn nicht naiv, schlicht einfältig und borniert. So bleibt kaum mehr als kulturkritisches Gezeter übrig. Besonders erwachsen ist das nicht.

 

Robert Pfaller: Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. Fischer, Frankfurt am Main 2017, 256 Seiten, 14,99 Euro