Zur in Frankreich geplante Neuauflage der antisemitischen Schriften Célines

Neuauflage des Judenhasses

Seite 2 – Eine Affäre, die Fragen aufwirft

 

Gerade um das Ausmaß des Judenhasses von Céline bekannt zu machen, wäre es sinnvoll, eine kritisch kommentierte neue Ausgabe der Pamphlete herauszugeben. Genau das etwa hatte der französische Premierminister Édouard Phillipe als Kompromiss angeregt – eine Idee, für die auch Weitzmann empfänglich ist. Die entscheidende Frage dieser Debatte sieht er genau darin: »Warum, wenn Gallimard die Pamphlete neu veröffentlichen will, stellt das Haus nicht selbst das Editionsteam dafür auf, das dazu nötig wäre?« In der Tat ist Gallimards Vorgehen fragwürdig: Den blanken Text lediglich mit neuem Vor- und Nachwort zu versehen, erscheint hier nicht ausreichend. Auch wenn Kritiker wie Serge Klarsfeld »erleichtert« darauf reagiert haben, dass der Verlag sein Vorhaben begraben hat, wirft diese Affäre Fragen auf.

Denn Céline war in der französischen Literatur beileibe kein Einzelfall. Hierzulande denkt man beim Thema Antisemitismus und Literatur in Frankreich zumeist an Émile Zolas beherzten Einsatz im Kontext der Affäre Dreyfus, doch es gab eben auch die andere Seite, die »Anti-Dreyfusards«, eingefleischte Antisemiten. Ihre Abneigung und ihre Vorurteile haben Tradition in jenem Land, das den Juden im Zuge der Französischen Revolution schon 1791 die vollen Bürgerrechte verlieh.

Schon im Mittelalter gab es eine gewisse Ambivalenz im Verhalten gegenüber der jüdischen Bevölkerung. 1182 hatte es ein große Vertreibungswelle gegeben, im Zuge derer sich viele Emigranten in Mainz oder Frankfurt ansiedelten, wo mehr Toleranz herrschte. In der Folge war Frankreich praktisch »judenfrei« – ein Zustand, den der dafür verantwortliche König Philipp II. schnell änderte, als ihm klar wurde, dass er das Geld der jüdischen Händler, Bankiers und Pfandleiher gut gebrauchen konnte. Ähnlich war es 1306, als die Juden ein zweites Mal aus dem Land geworfen wurden, um ein Jahrzehnt später erneut zurückgerufen zu werden.

Heute ist Frankreich nach Israel und den USA das Land mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil der Erde. Der Antisemitismus in seiner urtümlichsten, nämlich diffus-emotionalen Form, war und ist dennoch stark verwurzelt – auch in der französischen Literatur.

Deren Geschichte wimmelt geradezu vor of­fenen oder insgeheimen Judenhassern – man denke etwa an den ­Ultranationalisten Maurice Barrès – über den André Breton, damals noch Mitglied der Pariser Dada-Gruppe, ein Scheintribunal abhielt –, den Begründer des modernen Antisemitismus, Alphonse Toussenel, ebenso wie den Romantiker Théophile Gautier, der vor Freunden ankündigte, seinen jüdischen Schwiegersohn zusammenzuschlagen. Aber auch große Autoren, von denen man es ­nicht annehmen würde, frönten antijüdischen Stereotypen, wenn sie sich privat äußerten, zum Beispiel in Briefen oder Tagebüchern.

Gustave Flaubert etwa spricht wiederholt recht abfällig über Juden, in einem Schreiben an seinen Bruder heißt es zum Prozess gegen seinen Roman »Madame Bovary«: »Aber die guten Verwaltungsbeamten sind solche Esel, dass sie jene Religion, als deren Verteidiger sie auftreten, vollkommen ignorieren; mein Untersuchungsrichter, M. Treilhard, ist ein Jude, und er ist es, der mich verfolgt!« Auch wird er nicht müde, seinem Verleger, der ebenfalls Jude ist, typische Klischees anzudichten, wie in einem Brief an George Sand von 1872: »Er soll sein Geld behalten!« Wiederholt weist Flaubert den Gelderwerb seines Verlegers als eine »Rasseeigenschaft« von ihm aus. Ganz generell urteilt er, wieder an Sand: »Ich habe mir wenig Illusionen über die Juden gemacht.«
Noch deutlicher wurden Edmond und Jules de Goncourt in ihren Tagebüchern, die 2013 erstmalig ins Deutsche übersetzt erschienen.

Sie strotzen nur so von antisemitischer Häme und denunziatorischen Zerrbildern. Die Goncourts, deren Romane Thomas Manns »Buddenbrooks« beeinflussten und die Namenspatronen des wichtigsten französischen Literaturpreises sind, waren Mitbegründer des Naturalismus. In der französischen Literatur war das eine Strömung, die ihre Protagonisten streng nach Einfluss des Milieus, des zeitlichen Kontextes und der Rasse zu definieren suchte. Der Rassegedanke schlug sich in den Tagebüchern nur zu deutlich nieder: »Haben wir jemals bemerkt, dass ein alter Jude nie schön ist? Es gibt keine edlen Greise in dieser Rasse. Das Werk schmutziger Leidenschaften, der Habgier, tötet in den Gesichtern der jungen Männer die Schönheit.«

Der Mythos, »der Jude« sei manisch auf das Geld fixiert, ist hier allgegenwärtig. Verschwörungstheorien und Schubladendenken findet man, wohin man schaut. Die Stigmatisierung der Juden in der französischen Hochkultur relativ fest verankert, man könnte sie womöglich gar als einen »Erinnerungsort« im Sinne des Historikers Pierre Nora verstehen, also als einen Anknüpfungspunkt im kollektiven Bewusstsein. Mag es da noch verwundern, dass es inzwischen immer mehr Friedhofsschändungen und auch brachiale Gewaltakte gibt, in denen sich die Ressentiments Bahn brechen?

Schon 2015 hat der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufgrund verschiedener antisemitisch motivierter Attentate europäische Juden zur Emigration nach Israel aufgerufen. Man kann nur zu gut verstehen, dass eine wachsende Zahl jüdischer Franzosen dieser Aufforderung nachkommt.