Catherine Deneuve, »Me Too« und der Feminismus

Das Ende der Viktimisierung

Seite 2 – Antifeministischer Diskurs

 

Einige Kommentatorinnen, etwa Agnès Poirier in der New York Times (»Catherine Deneuve and the French Feminist Difference«), sehen in diesem Brief den Ausdruck eines spezifisch französischen Feminismus, der Frauen als auf allen Ebenen gleichwertige Individuen sieht, die sich auch souverän selbst zu wehren wüssten. Es scheint, dass sie Frauen permanent beweisen müssten, dass sie in der Lage sind, ungewollte Avancen abzuwehren – dies beweise Stärke.

Eine der Unterzeichnerinnen des Textes ist Catherine Deneuve. Die Schauspielerin mag sich in der privilegierten Position befinden, dem Mann, der ihr die »Hand aufs Knie« legt, den Martini ins Gesicht zu schütten. Für jede Frau wie Deneuve gibt es allerdings Tausende andere, die sich in Abhängigkeitsverhältnissen befinden und nie gelernt haben, sich zu verteidigen und oft an der permanenten Bedrohung durch das Patriarchat zerbrechen. Bis zum Beginn der »Me Too«-Kampagne hat man all dies schweigend hingenommen.

Die Autorinnen und Unterzeichnerinnen begehen den unverzeihlichen Fehler, zu glauben, dass das Thematisieren dieser Verhältnisse Frauen darauf reduziere, »hilflose Beute männlicher chauvinistischer Dämonen« zu sein. Catherine Millet betonte in einem Interview mit der FAZ noch einmal, dass Frauen aus der Opferrolle herausholen wolle.

Doch genau das ist die Intention von »Me too« und dem französischen ­Ableger, »Balance ton porc« (Verpfeife dein Schwein). Millet nahm diesen ­Namen übrigens in dem Interview zum Anlass, eine Parallelen zu antisemitischer Verfolgung zu erkennen.

Männliche Gewalttäter haben sich über Jahrhunderte darauf verlassen können, dass die Betroffenen aus Angst, für die erfahrene Gewalt verurteilt zu werden, schweigen. Das kollektive und solidarische Sprechen über das Erlebte ist also der längst überfällige Bruch mit der inzwischen zur zweiten Natur gewordenen männlichen Herrschaft über den weiblichen Sexus. Dank »Me Too« müssen sich Frauen nicht mehr dafür schämen, dass ihr »Nein« ignoriert wurde oder dass sie gar nicht erst in der Position gewesen sind, »Nein« sagen zu können. Opfer sexueller Gewalt, seien es Männer oder Frauen, haben endlich die Möglichkeit, über das zu sprechen, was man ihnen angetan hatte, sich ihrer Ohnmacht zu entledigen, Täter zu benennen und teilweise Dinge zu verändern.

Das kollektive und solidarische Sprechen über das Erlebte ist also der längst überfällige Bruch mit der inzwischen zur zweiten Natur gewordenen männlichen Herrschaft über den weiblichen Sexus.

Dies hat nichts mit dem attestierten »Männerhass« zu tun, sondern könnte tatsächlich der Stein sein, der eine La­wine ins Rollen bringt, auf dass sexuelle Gewalt endlich die Beachtung erfährt, die sie verdient hat. Dies ist nichts anderes als der Ausstieg aus der Viktimisierung, doch die Autorinnen dieses realitätsfremden Manifests verkennen das und befinden sich auf dem Niveau des Vaters, der seiner von einer Gewalt­erfahrung traumatisierten Tochter rät, sie solle doch Pfefferspray mitnehmen, wenn sie das nächste Mal zu einem Date geht.

Sexualität, so die Verfasserinnen, sei von Natur aus etwas »Offensives und Primitives«. Vielmehr ist es jedoch so, dass Sexualität von den Verhältnissen geprägt wird. Auch »offensive« Bedürfnisse können und müssen im Konsens ausgelebt werden, und selbst Männer scheinen dazu in der Lage zu sein, wenn sie sich auch nur ein wenig kritisch mit ihrer eigenen Geschlechts­sozialisation befassen.

Catherine Millet und ihre Koautorinnen argumentieren zugunsten eines antifeministischen Diskurses, der immer lauter wurde, als die »Me Too«-Kampagne eine immer größere Resonanz erfuhr. All jenen Männern, die bewusst oder unbewusst Angst haben, sich das eigene potentielle Tätersein vor Augen halten zu müssen, und deswegen mit Abwehr auf »Me Too« reagieren, lieferte Le Monde nun endlich die Bestätigung – von Frauen –, dass es dabei um nichts anderes gehe als um eine schändliche »Denunziationskampagne«. Von vermeintlichen Ideologiekritikern bis hin zur AfD fühlt man sich darin bestätigt, dass die Alternative zum »Recht zu belästigen« nur der »religiöse Extremismus« und die »Lustfeindlichkeit« sein können.

Im Nachspiel der Debatte entschuldige sich Catherine Deneuve: »Geschwisterliche Grüße an alle Opfer von abscheulichen Taten, die sich durch den Artikel in Le Monde beleidigt gefühlt haben können, ihnen allein biete ich meine Entschuldigung an«, schrieb sie in einem Brief in der Tageszeitung Libération. Es ist zu bezweifeln, dass viele von Ihnen diese Entschuldigung annehmen.