In Chile kämpft eine Ökogruppe für die Einrichtung eines Parks im Cabritería-Tal

Beliebter grüner Fleck

Im chilenischen Valparaíso setzt sich eine Bürgerinitiative für die Einrichtung des ersten offiziellen Park der Stadt im Cabritería-Tal ein. Es gibt für die Gegend jedoch auch Pläne für eine Zufahrtsstraße und den Hafenausbau.
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Vor drei Jahren fielen Ximena Paz Ugalde Díaz und Claudio Venegas Vergara zwei Männer auf, die die kleine Treppe direkt hinter ihrem Garten in die Schlucht hinabgingen. Sie waren in Anzug und Krawatte unterwegs – ein seltsames Bild auf dem beschaulichen Hügel Placeres mit seinen vielen Straßenhunden, bescheidenen Wohnhäuschen und dem einen oder anderen Minimarkt. Sie sprachen die beiden Männer an. Es handelte sich um den Besitzer eines Grundstücks weiter unten in der Schlucht, die direkt hinter dem Garten in sattem Grün abfällt, und seinen Anwalt. Diese erzählten dem Paar vom ­geplanten Bau einer Autobahn und sagten, dass es sinnvoller sei, das Grundstück jetzt zu verkaufen, als auf die Enteignung zu warten, die den Grundstückeigentümern bevorstehe, wenn das Projekt unabwendbar geworden sei.

 

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Umweltschutz mit Spaß. Im Viertel Juan Pablo II bietet die Ökogruppe Workshops für die Kinder der Gegend an

Bild:
Linda Schnepel

 

Ugalde und Venegas blieben überrumpelt und ein wenig sprachlos zurück. Eine Autobahn durch das arten­reiche Tal mit dem kleinen Flüsschen? Es ist einer der wenigen Orte der Stadt, an denen man die Vögel zwitschern hört und wo die vom Aussterben bedrohte chilenische Palme wild wächst. »Wir haben uns entschieden, hier zu leben und Kinder großzuziehen. Das hier zu schützen, ist unsere Möglichkeit, etwas auf dieser Welt weiterzugeben«, sagt Ugalde. Es war der Moment, in dem die beiden entschieden, aktiv zu ­werden.

Sie recherchierten und stießen auf eine kleine Bewegung namens »Cabritería vive«, die gegen den Bau einer ­Zufahrtsstraße durch das Tal ist. Sie schlossen sich der Bewegung an, nahmen an einigen Aktionen teil und entschieden schnell, dass sie eine eigene Gruppe gründen wollten, um mehr selbst organisieren zu können. Mit der Mindestanzahl von 15 Personen meldeten sie ihren Verein, die »Ecoagrupación social y ambiental estero Cabritería«, kurze Zeit später bei der Stadt an. »Wir haben mit diesem Verein viel über so­ziale Organisationen gelernt«, sagt Ugalde. Sie ist Ingenieurin – ihr Mann geht demselben Beruf nach –, also fachfremd im Sozialen und in der Ökologie. Der Aufwand, eine soziale Gruppe ­aktiv zu halten, ist groß. Nach einigen Müllsammelaktionen und einem nicht erhaltenen Zuschuss trat die Gruppe ein Jahr lang kaum in Erscheinung.

 

Eine Bewegung entsteht

Währenddessen entwickelte sich in Valparaíso eine politische Bewegung, die schließlich auch die Ökogruppe wiederbeleben sollte. »Valparaíso ist die Stadt mit den meisten sozialen Organisationen in Chile«, sagt Ugalde. Aus diesen Organisationen hatte sich eine Bewegung formiert, die für die Bürger­meisterwahl 2016 einen Kandidaten im bis dahin vom Zweiparteiensystem ­geprägten Valparaíso aufstellte. Im Wahlkampf dachten alle, der 31jährige, politisch unerfahrene Rechtsanwalt Jorge Sharp hätte keine Chance. Zu Talkshows wurde er gar nicht erst eingeladen. »Es war, als existiere er nicht«, sagt Ugalde. Doch Sharp gewann und ermöglichte ein hohes Maß an Bürgerbeteiligung in der Stadtverwaltung möglich.

»Die Anwohner könnten die zukünftigen Verwalter dieses Parks sein, als Wärter arbeiten, Rundtouren für Touristen anbieten«, so Ximena Paz Ugalde Díaz. Sie sollen erkennen, wie wertvoll das Stück Land vor ihrer Tür ist. Und dass es in Gefahr ist.

Bei einer Wahlkampfveranstaltung erzählte Ugalde von ihrer Idee, das Tal Cabritería könne ein Wanderweg von der Küste bis auf die Hügel werden. ­Vicente Gallardo, der spätere Leiter der Umweltabteilung, bekannte sich ebenfalls als Liebhaber dieses grünen Fleckchens in Valparaíso und erzählte von seinem Traum, Cabritería zu einem Park zu machen. So bekam das Grünflächenprojekt mit dem Einzug der neuen Stadtverwaltung prominente Unterstützer und die Ökogruppe neuen Auftrieb.

 

Valparaíso, 3

Große Ausbeute. Müllsammelaktion im oberen Teil von Cabritería

Bild:
Linda Schnepel

 

Vicente Gallardo lud Ugalde und ­Venegas zu einer Besichtigung des potentiellen Parks ein. »Ich lebe seit elf Jahren in unserem Viertel und wusste nicht, dass weiter oben eine große Grünfläche existiert. Kaum jemand in Valparaíso weiß das«, erinnert sich Ugalde. Zwar wohnen dort oben, am Eingang zum Tal, viele Menschen. Aber Juan Pablo II, so der Name des Viertels, ist ein etwas vergessener Teil der kulturellen Metropole Chiles, die auf anderen Hügeln in der Nähe des Zentrums mit schnuckligen Gassen, künstlerischen Graffiti, trendigen Laden­lokalen und Kunsthandwerk Touristen und Studierende aus Europa und Nordamerika anzieht. In Juan Pablo II dagegen stehen die Wohntürme von ­Sozialsiedlungen. Wie in ganz Valparaíso fehlt auch hier vielen Menschen ein Bewusstsein für ihre Umwelt. Abfall wird achtlos auf offensichtlich ungenutzten Grünflächen gekippt.

Mit neuem Elan und Verstärkung aus der Stadtverwaltung organisiert die Ökogruppe seit 2017 im oberen Teil der Schlucht Müllsammelaktionen. Matratzen, Sofas und ein in Folie gewickelter Hundekadaver waren nur einige der Fundstücke bei diesen Aktivitäten, mit denen die Gruppe die Menschen aus dem Viertel auf das Tal Cabritería aufmerksam machen möchte. Zu den Aktionen kommen bis zu 30 freiwillige Helferinnen und Helfer, unter ihnen der Leiter der Umweltabteilung, und einige Kinder aus dem Viertel, die ­zufällig auf die Aktion aufmerksam geworden sind. Lkw-Ladungen an Müll werden an einem einzigen Tag abtransportiert. Man ahnt, dass es in ­einigen Wochen wieder genauso viel abzuholen geben wird. Es ist eine langwierige Arbeit, die nicht nur Fläche von Müll befreien, sondern auch die Menschen für ihre Umwelt sensibili­sieren will. Denn eines ist den Umweltschützern klar: Wenn die Anwohner sich nicht mit dem Park identifizieren, dann erfüllt das Projekt seinen Zweck nicht. »Die Anwohner könnten die zukünftigen Verwalter dieses Parks sein, als Wärter arbeiten, Rundtouren für Touristen anbieten«, so Ugalde. Sie sollen erkennen, wie wertvoll das Stück Land vor ihrer Tür ist. Und dass es in Gefahr ist.