Die Arbeit der kurdischen Fotografin Leyla Rojin Oğurlu

Jenseits der Wand

Die kurdische Fotografin Leyla Rojin Oğurlu hat die Kämpfe im Südosten der Türkei jahrelang begleitet. Jetzt hat sie in Deutschland Asyl beantragt.

Eine bunte Stoffpuppe liegt auf einem Trümmerhaufen in der verwüsteten Altstadt von Diyarbakır im Südosten der Türkei. Ein kleines, zerlumptes Mädchen steht vor seinem zerstörten Zuhause und lacht in die Kamera. Beide Bilder stammen von der Fotografin Leyla Rojin Oğurlu, die ihre Arbeiten zumeist auf der Plattform »Jenseits der Wand« publiziert hat – anonym, denn der derzeit in der Türkei häufig gegen unbequeme Journalisten erhobene Vorwurf der Terrorpropaganda könnte auch ihr eine Haftstrafe einbringen.

Unbequem für die Regierung ist ihre Arbeit zweifellos: Zweieinhalb Jahre lang arbeitete sie für die Stadtverwaltung von Diyarbakır, die von der prokurdischen Demokratiepartei des Volkes (HDP) geleitet wird. Seit 2013 dokumentierte sie Restaurationsarbeiten an Kirchen in der Altstadt und der antiken historischen Stadtmauer, die die Stadtverwaltung der HDP in Auftrag gegeben hatte, um Bewusstsein für das multikulturelle Erbe der Stadt Diyarbakır zu schaffen, die von der kurdischen Bevölkerung der Türkei als Hauptstadt angesehen wird.

Leyla Rojin Oğurlu wurde 1987 in Nusaybin 160 Kilometer östlich von Diyarbakır an der syrischen Grenze geboren. Weil ihre Eltern in den Neunzigern vor den dort tobenden Kämpfen fliehen mussten, wuchs sie in Izmir an der Ägäisküste auf. Der Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung ermunterte sie zur Rückkehr in ihre Herkunftsregion. Als sich die regierende Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) durch die Wahlerfolge der HDP bedroht sah, beendete sie den Friedensprozess. Der Südosten der Türkei versank erneut in Gewalt und Zerstörung.

Leyla Rojin Oğurlus Bilder zerstörter Städte erzählen eindrucksvoll von den Auswirkungen des kriegerischen Konfliktes.

Bei Arbeiten zu einem Dokumentarfilm traf ich Oğurlu 2015 in Diyarba­kır. »Die Polizeikontrollen, der Lärm von Hubschraubereinsätzen und die Feuergefechte aus Vierteln in unmittelbarer Nähe sind unser Alltag«, erzählte sie. Oğurlu riskierte bei Filmarbeiten in der Region oft ihr Leben. Der Straßenkampf zwischen der PKK und den türkischen Streitkräften wurde 2015 und 2016  erbittert geführt. Oğurlu fotografierte vor allem die Auswirkungen der Zerstörungen auf die Zivilbevölkerung. Ausländischen Pressevertretern wurde zu ­bestimmten Regionen der Zutritt verwehrt; ohnehin trauten sich die ­wenigsten dort hinzufahren. Staatliche Repression vor allem gegen ­Lokalpolitiker, die trotz oder gerade aufgrund ihrer Popularität in der ­Bevölkerung als angebliche PKK-Anhänger kriminalisiert und verhaftet wurden, lösten Unruhen aus. »Den Bürgermeister in der Altstadt haben sie abgesetzt und kommissarisch durch einen AKP-Mann ersetzt«, berichtete Oğurlu damals, als die daraufhin einsetzenden Proteste in der Stadt in Straßenkämpfe zwischen ­Jugendlichen und schwerbewaffneten Sondereinheiten der Polizei mündeten. Die Jugendlichen hoben Gräben aus und warfen mit Steinen, die ­Polizei schoss mit scharfer Munition, erließ Ausgangssperren und tötete auch immer wieder Zivilisten. Der Konflikt breitete sich auf Städte in der gesamten Region aus; auch Oğur­lus Geburtsstadt Nusaybin war betroffen.

Ganze Stadtviertel wurden von Armee und Polizei erst ent­völkert und dann unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung zerstört. Trotz politischer Initiativen setzte die türkische Regierung nicht auf Entspannungspolitik. Die Parteispitze der HDP wurde stattdessen wegen angeblicher Unterstützung des Terrors verhaftet.

Im August 2016, kurz nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei, traf ich Oğurlu erneut in der Altstadt von Diyarbakır. Sie sprach mutig und offen über die sich verschärfenden Arbeitsbedingungen von Journalisten. Ich bebilderte dieses Gespräch in einem Film für das ZDF mit ihren Aufnahmen. Die ­Zusammenarbeit ausländischer Journalisten mit türkischen und kurdischen Kollegen ist für diese riskant geworden.

 

Der Krieg in Bildern

 

Oğurlus Bilder zerstörter Städte erzählen eindrucksvoll von den Auswirkungen des kriegerischen Konflikts. Auch die Journalistin und ­Malerin Zehra Doğan beschäftigt sich mit dem Thema. Mit ihr hat ­Leyla Rojin Oğurlu in Nusaybin zusammengearbeitet. Oğurlu foto­grafierte, Doğan zeichnete die Zerstörungen und ihre Folgen während der Ausgangssperre im Sommer 2016. Für ihre düsteren Bilder von gepanzerten Metallkraken in Tarn­farben, aus denen bewaffnete dunkle Gestalten strömen und in ein mit türkischen Fahnen behängtes kurdisches Viertel laufen, wurde die in ­einem Gefängnis in Diyarbakır einsitzende Künstlerin in der Schweiz mit einem Preis für Zivilcourage ausgezeichnet.

 

Diyarbakir

Leyla Rojin Oğurlu in einem Café in der Altstadt von Diyarbakır

Bild:
Sabine Küper-Büsch

 

Auch Oğurlu befürchtete, verhaftet zu werden. Im November 2016 entließ die mittlerweile von der AKP dominierte Stadtverwaltung die ­Fotografin. Seit dem gescheiterten Militärputsch von 2016 verloren über 20 000 Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes ihre Arbeit. Fast alle oppositionellen Medien wurden verboten. Darunter auch die prokurdische Nachrichtenagentur Diha, für die Oğurlu manchmal arbeitete. Fast die gesamte Redaktion sitzt in Untersuchungshaft. Die ­Fotografin begann zu reisen, weil sie Angst vor einer Festnahme hatte. Viele ihrer Freunde und Kollegen ­sitzen im Gefängnis und leiden unter den Haftbedingungen.

Leyla Rojin Oğurlu nutzte Ende 2017 eine Einladung nach Europa, um sich nach Deutschland abzusetzen und einen Asylantrag zu stellen. Momentan macht sie sich Sorgen, ob die Behörden nachvollziehen können, was sich in den Land, aus dem sie geflohen ist, abspielt.

Der Schriftsteller Murat Saat starb kurz vor Neujahr an den Folgen ­eines Herzanfalls im Sicherheitstrakt von Bandırma. Sein Zellengenosse Ertan Tan übermittelte über seine Anwälte einen Brief, in dem er ausführte, dass der 41jährige Autor hätte überleben können, wenn er recht­zeitig in ein Krankenhaus gebracht worden wäre. Angehörige von poli­tischen Gefangenen, die im vergangenen Jahr nach einem Dekret des Präsidenten als angebliche Unterstützer von Terrororganisationen festgenommen wurden, klagen über Schikanen. Der Ehefrau des Journalisten Kadri Gürsel wurde immer wieder verwehrt, ihrem Mann warme Kleidung zu bringen, etwa weil die Farbe eines mitgebrachten Mantels gegen die Bestimmungen im Gefängnis verstoße. Die Anwälte des Investigativjournalisten Ahmet Şık beklagten nach seiner Verhaftung im ­vergangenen Frühjahr, dass ihrem Mandanten drei Tage lang kein Trinkwasser zur Verfügung gestanden habe.

Leyla Rojin Oğurlu nutzte Ende 2017 eine Einladung nach Europa, um sich nach Deutschland abzusetzen und einen Asylantrag zu stellen. Momentan macht sie sich Sorgen, ob die Behörden nachvollziehen können, was sich in den Land, aus dem sie geflohen ist, abspielt. »In der ­Türkei«, erklärte sie, »habe ich immer nur noch gehört, ich solle auf mich aufpassen. Aber die Sicherheit hängt dort nicht von eigenen Vorsichtsmaßnahmen ab. Bei der Arbeit war ich zuletzt in Todesgefahr. Wir wurden bedroht, sicher gefühlt habe ich mich nicht mehr. Uns allen ist das Lachen gehörig vergangen. Ein Ende dieser Phase ist nicht in Sicht.«