Die neue rechte Regierungskoalition in Österreich erfährt kaum Gegenwehr

Schwarzblau ist die Haselnuss

Die neue österreichische Regierungskoalition aus konservativer ÖVP und rechtsextremer FPÖ trifft, anders als diejenige vor 17 Jahren, innenpolitisch und international bislang kaum auf Widerstand.

Wer an einem Sonntagvormittag ein österreichisches Dorf besucht, kann den politischen Rechtsruck besichtigen. Die Kirchen sind wieder voll, hin und wieder predigen Pfarrer gegen Homosexualität und fordern, dass nur essen solle, wer auch arbeite, und wenn die Messe vorbei ist, verlassen lauter in Tracht gewandete Menschen die Gotteshäuser und dackeln mit ihren Fami­lien zum Parkplatz, wo sich ein SUV an den anderen reiht. Das sind keine ­armen Leute. Trachtenmode ist teuer, SUVs sind es auch und die großen Zweifamilienhäuser, zu denen die Kirchenbesucher in den SUVs zurückfahren, erst recht.

Die weniger Begüterten und weniger Katholischen gehen statt zur Kirche ins Dorfwirtshaus. In den Gaststuben hocken missmutige Männer, jeder zweite ein potentieller Kandidat für »Bauer sucht Frau«, über ihren Bieren.

 

Es findet sich niemand mehr, der widerspricht

Leben kommt in diese depressiven Runden nur, wenn einer von einer neuen Untat berichtet, die ein »Ausländer« im benachbarten Tal oder im fernen Wien verübt haben soll. Die gerade noch phlegmatischen Dörfler erwachen zum Leben und malen sich aus, was sie mit »denen da oben« gerne ­anstellen würden, wer alles vergewaltigt, eingesperrt oder am besten gleich vergast gehöre. Anders als noch vor ein paar Jahren findet sich meist niemand mehr, der widerspricht. Wer anders denkt oder anders ist, vor allem weiblich und gut gebildet, verlässt die Provinz und zieht in die Großstadt. Diese Sorte Dorfkultur spiegelt sich in den Ergebnissen der jüngsten Nationalratswahl wieder: Wäre nur in den Land­gemeinden gewählt worden, hätten FPÖ und ÖVP zusammen eine satte Zweidrittelmehrheit im Parlament.

 

Monatelang zogen im Jahr 2000 jeden Donnerstag teils beachtlich große ­Demonstrationszüge durch Wien. Die Europäische Union beschloss, ihre ­Beziehungen zur österreichischen Regierung einzuschränken.

 

Als im Jahr 2000 die ÖVP erstmals eine Koalition mit der FPÖ bildete, mussten die Mitglieder dieser Regierung aus Angst vor Demonstrantinnen und Demonstranten einen unter­irdischen Gang benutzen, um vom Bundeskanzleramt zur Präsidentschaftskanzlei zu gelangen, wo die Angelobung der Minister stattfand. Auf dem Wiener Heldenplatz, der direkt an das Regierungsviertel angrenzt, versammelten sich am 19. Februar jenes Jahres fast 300 000 Menschen, um gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ zu ­protestieren. Monatelang zogen jeden Donnerstag teils beachtlich große ­Demonstrationszüge durch Wien. Die Europäische Union beschloss, ihre ­Beziehungen zur österreichischen Regierung einzuschränken.

17 Jahre später ist eine mächtige Großdemonstration gegen die neue ÖVP/FPÖ-Regierung so wenig vorstellbar, wie es symbolische Maßnahmen der EU sind. Im Jahr 2000 ließ sich der ÖVP-Vorsitzende Wolfgang Schüssel, dessen Partei bei den Wahlen nur Dritte geworden war, von der FPÖ zum Bundeskanzler machen. Große Teile der Bevölkerung hatten den Eindruck, diese Koalition widerspreche dem Wählerwillen, waren die Sozialdemokraten doch stärkste Partei geworden. Der damalige Bundespräsident Thomas Klestil, ein Konservativer, machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die FPÖ und vor allem deren Vorsitzenden Jörg Haider. Der Österreichische Gewerkschaftsbund, der sich den Protesten anschloss, besaß einen der größten Streikfonds der Welt und war wenigstens theoretisch bestens auf eventuelle Kampfmaßnahmen vorbereitet. In etwa der Hälfte aller EU-Staaten regierten Sozialdemokraten oder Liberale. Russland war mit sich selbst beschäftigt und hatte nicht die Ressourcen, Parteien im Westen zu unterstützen.

Diesmal können ÖVP und FPÖ aus dem Wahlergebnis einen klaren Regierungsauftrag ableiten, die Gewerkschaften sind seit dem Verlust ihrer Hausbank im Jahr 2006 nahezu pleite, nurmehr drei EU-Staaten werden nicht von Konservativen oder Rechten regiert und die Oppositionsparteien sind sehr geschwächt. Die Sozialdemokratie leistete sich einen bizarren Wahlkampf, dessen Tiefpunkt erreicht war, als der Bundesparteiobmann der SPÖ, Christian Kern, in einer Fernsehdiskussion dem FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache bescheinigte, dieser wolle »doch auch nur das Beste für Österreich«. Nun ist die SPÖ manövrierunfähig wie ein havarierter Tanker. Nicht hilfreich für eine Oppositionsarbeit von links dürfte auch sein, dass ­einige der von FPÖ und ÖVP geplanten Sozialabbaumaßnahmen bereits von der SPÖ begonnen oder angekündigt worden waren. Die Grünen flogen aus dem Parlament und die grüne Abspaltung »Liste Pilz« ist nach Vorwürfen von sexueller Belästigung gegen den namensgebenden Peter Pilz vorerst diskreditiert. Nicht zuletzt wirkt die neue Regierung international nicht mehr wie ein Ausnahmefall, sondern eher wie die Regel.

Aus linker oder auch nur halbwegs menschenfreundlicher Sicht böte das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ mehr als genug Anlass zum Widerstand. Asylsuchende sollen nicht mehr in privaten Unterkünften leben dürfen, sondern nur noch in Sammellagern. Das Taschengeld von 40 Euro im Monat soll ihnen gestrichen werden, wenn sie einen Asylantrag stellen, sollen ihnen Bargeld und Mobiltelefone abgenommen werden. Kinder von Asylsuchenden sollen nicht mehr mit österreichischen Kindern eingeschult werden, sondern separat in den Lagern. Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention kommen im Regierungsprogramm kaum vor, stattdessen wird ausschließlich von »Migration« gesprochen, die es zu bekämpfen gelte. Sozialleistungen für Ausländer, auch EU-Bürgerinnen, will die neue Regierung stark kürzen. Die Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten sollen ausgeweitet werden. Mit Innenminister Herbert Kickel und Verteidigungsminister Mario Kunasek haben zwei stramm rechte FPÖ-­Politiker von nun an die Kontrolle über sämtliche bewaffnete Organe und Geheimdienste. Wie ein roter Faden zieht sich durch das Regierungsprogramm ein obsessives Misstrauen gegen ökonomisch Benachteiligte. Bereits im Wahlkampf war häufig die ­Parole »Leistung muss sich wieder lohnen« zu hören, passend dazu soll eine österreichische Variante von Hartz IV eingeführt werden. Die medizinischen Akten von Kranken und Menschen mit Behinderung, die um eine Invalidenrente ansuchen, sollen direkt an die Polizei weiterge­geben werden. Die Inklusion von Menschen mit Behinderung, in Österreich ohnehin kaum realisiert, will man rückgängig machen.

 

Die österreichische Israelpolitik: notgedrungen pragmatisch

So wenig Widerstand die neue Regierung in Österreich zu befürchten hat, so dringend wollen ÖVP und FPÖ eine Unbedenklichkeitserklärung aus Israel. Die Parteien ließen den ÖVP-Abgeordneten Martin Engelberg in der israelischen Tageszeitung Haaretz einen ­bizarren Gastkommentar veröffentlichen. »Als erster aktiver jüdischer ­Abgeordneter der Nachkriegszeit unterstütze ich Sebastian Kurz’ Koalition mit der Freiheitlichen Partei, die ungeachtet ihrer nationalsozialistischen Wurzeln längst zu einer einwanderungsfeindlichen, populistischen Bewegung geworden ist«, so Engelberg, der zudem schrieb, »die wahre antisemitische Gefahr« in Österreich drohe derzeit von Muslimen, nicht von Nazis. Bislang weigert sich die israelische Regierung aber, die rechte Wiener Koalition für unbedenklich zu erklären. Sie will bis auf weiteres mit Ministerien, die von der FPÖ geführt werden, nur auf Beamten­ebene verkehren.

Die israelische Außenpolitik ist notgedrungen pragmatisch und nur selten moralisch motiviert. Israel weiß aber auch, dass die FPÖ keine gewöhnliche rechtspopulistische Partei ist und dass »nationalsozialistische Wurzeln« nicht über Nacht verschwinden, vor allem dann nicht, wenn sie bis in die jüngere Vergangenheit reichten. Im Gegensatz zu österreichischen oder auch deutschen Kommentatoren kennt man in Israel den Unterschied zwischen dem Rechtspopulismus eines Donald Trump und einem Rechtsextremismus, der sich vom vernichtungsantisemitischen Nationalsozialismus herleitet. Man hat nicht vergessen, dass etwa der neue FPÖ-Clubobmann im Parlament, ­Johann Gudenus, im Jahr 2002 einen Vortrag des Neonazis und antisemitischen Verschwörungstheoretikers Richard Melisch wie folgt bewarb: »Es wird Zeit, dass die Öffentlichkeit über den seitens der Israelis geführten Staatsterrorismus aufgeklärt wird.« Auch dass hochrangige FPÖ-Mitglieder wie die neue Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller in der rechts­extremen Zeitschrift Aula publizieren, in der man vor zwei Jahren KZ-Über­lebende als »Landplage« und »Massenmörder« verleumdete, hat man in ­Israel registriert.

In Frankreich ist mittlerweile unter der Ägide von Beate und Serge Klarsfeld eine Initiative entstanden, die in ­einem offenen Brief in der Tageszeitung Le Monde die EU dazu aufrief, »die Erben des Nationalsozialismus« zu boykottieren. In Österreich tut man derweil so, als sei das unverständlich, während man ganz ge­lassen den immer dreister werdenden Forderungen der FPÖ zuhört. Die Freiheitliche Partei als rechtspopulistisch einzuordnen, wie es gerade deutsche Medien gerne tun, könnte eine schwere Fehleinschätzung sein. Deutschnationale Burschenschafter mit einem rechtsextremen Weltbild stellen 20 von 51 FPÖ-Abgeordneten. Mehrere dieser Parlamen­tarier gehören der Burschenschaft »Olympia« an, die dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands zufolge als rechtsextrem und antisemitisch einzustufen und in den organisierten Neonazismus verstrickt ist.