Der Fall Kristina Hänel und das Werbeverbot für Abtreibungen bringt auch die Debatte über den Paragraphen 218 wieder in Gang

Entmündigendes Tabu

Der Paragraph 219a erschwert es Frauen, sich über die Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren – im Einklang mit der restriktiven Regelung im Paragraphen 218. Dagegen regt sich nun Protest.

Eine Leuchtreklame, ein Lockangebot (»Wenn Sie hier abtreiben, bekommen Sie die Spirale billiger!«), wenigstens aber eine Aufforderung, die Dienstleistung in Anspruch zu nehmen – so würde man sich Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch vorstellen. Daher mutet es zunächst skurril an, dass die Ärztin Kristina Hänel für diesen Tatbestand am 24. November vom Amtsgericht Gießen zu einer Zahlung von 6 000 Euro verurteilt wurde. Denn als »Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft« gilt dem Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs zufolge auch, mit kommerzieller Absicht »Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung« anzubieten, anzukündigen oder anzupreisen. Dazu sagte die Berliner Gynäkologin Ute Kling-Mondon der Jungle World: »Im Rahmen einer öffentlichen Information über das An­gebot, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, sollte eine Ärztin tunlichst vermeiden, den Eindruck zu erwecken, sie würde mit ihrer Arbeit Geld verdienen.«

Ein Verweis auf solche Informationen fand sich auf Hänels Website, was ihr bereits zum dritten Mal seit 2006 eine Anzeige von »Nie wieder e. V.« eingebracht hat, einer Gruppe christlicher Fundamentalisten, die mit Holocaust-Relativierung gegen Abtreibung agitiert . 2015 und 2016 war die jährliche Zahl der Ermittlungsverfahren nach Paragraph 219a mehr als doppelt so hoch wie in den Jahren 2010 bis 2014. »Eindeutig zu kritisieren ist die missbräuchliche Ausnutzung dieser Strafvorschrift durch verschiedene Initiativen von Abtreibungsgegnern«, schreibt der Berufsverband der Frauenärzte in einer am 5. Dezember veröffentlichten Stellungnahme.

Nun könnte Hänels Verurteilung ­allerdings zur Abschaffung des Paragraphen beitragen. Denn die Ärztin verweigert die Zahlung der Geldstrafe und ist entschlossen, durch die Instanzen bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Der Deutsche Juristinnenbund (DJB) ist auf ihrer Seite und fordert gemeinsam mit dem Berufsverband der Ärzte die Abschaffung des Paragraphen. »Wir sehen im Kontext des aktuellen Falles schon einen verfassungswidrigen Eingriff in die Berufsfreiheit«, sagte die DJB-Präsidentin Maria Wersig der Jungle World, »denn die ist natürlich berührt, wenn die Ärztinnen und Ärzte nicht über ihre Leistungen informieren dürfen. Das betrifft die Berufsfreiheit, das Recht auf freie Arztwahl und die Informationsfreiheit.«

Wenn es um den Schutz von Frauen gehen soll, wäre es sinnvoll, dass die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs von den Krankenkassen übernommen würden. Es wäre sinnvoll, dass sie Verhütungsmittel kostenlos erhalten, zudem sollte die Last der Verhütung nicht alleine auf ihren Schultern liegen. Es wäre sinnvoll, Menschen mit Behinderungen gesellschaftlich anzuerkennen und besser finanziell zu sichern.

Petition für die Abschaffung des Paragraphen 219a

Hänel überreichte am 12. Dezember eine Petition mit 150 434 Unterschriften an Bundestagsabgeordnete der SPD, FDP, der Linkspartei und der Grünen. Linkspartei und Grüne erhoffen sich gemeinsam mit der SPD eine fraktionsübergreifende Mehrheit für die Abschaffung des Paragraphen. Die FDP befürwortet eine »moderate Änderung«, nicht aber eine Streichung. Dennoch hofft die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl auf eine »überfraktionelle Initiative« zu einer Lösung, »mit der die Rechtsunsicherheit für Ärztinnen und Ärzte beseitigt und das Recht auf sachliche Information über Schwangerschaftsabbrüche gewährleistet wird«. Solche Informationen sind in anderen westeuropäischen Ländern wie Frankreich und den Niederlanden über Websites der Regierung öffentlich zugänglich.

Auch selbsternannte Lebensschützer waren bei der Übergabe der Petition anwesend und scharten sich um ein Transparent mit der Aufschrift »Paragraph 219a schützt Frauen«. Wovor sollen sie geschützt werden? Die juristische Begründung für den Paragraphen 219a lautet, der Schwangerschaftsabbruch, der in Deutschland in der ­Regel nur straffrei, aber dennoch rechtswidrig ist- dürfe nicht »normalisiert oder kommerzialisiert« werden.

Doch die »Kommerzialisierung« einer ärzt­lichen Leistung untersagt die Berufsordnung für Ärzte, nach Paragraph 27 darf diese nicht reißerisch beworben werden. »Mit dieser Argumentation geht es auch bei der Paragraph-219a-Debatte wieder einmal um Geld«, sagt Kling-Mondon, »wohl kaum um das Wohl und den Willen der verzweifelten, weil ungewollt schwangeren Frau«.

Frauen müssen also nicht durch ein Gesetz davor geschützt werden, dass ärztliche Leistungen, die sie in Anspruch nehmen wollen, kommerzialisiert würden. Wenn es um den Schutz von Frauen gehen soll, wäre es sinnvoll, dass die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs von den Krankenkassen übernommen würden. Es wäre sinnvoll, dass sie Verhütungsmittel kostenlos erhalten, zudem sollte die Last der Verhütung nicht alleine auf ihren Schultern liegen. Es wäre sinnvoll, Menschen mit Behinderungen gesellschaftlich anzuerkennen und besser finanziell zu sichern. Denn die einzige Art, in der Abtreibungen im eigentlichen, kommerziellen Sinne »beworben« werden können, ist es, sie Frauen nahezulegen, die mit einem eigentlich gewünschten, aber möglicherweise nicht gesunden Kind schwanger sind.

Um all das geht es jedoch im Paragraphen 219a nicht. Vielmehr sollen Frauen davon abgebracht werden, auf die Idee zu kommen, sie dürften auch nach dem »Sündenfall« einer versehentlichen Schwangerschaft noch frei entscheiden. Das ist entmündigend. Der Abbruch soll, darauf beharrt der Gesetzgeber, tabuisiert bleiben.
Das passt zu den Bedingungen, die nach Paragraph 218 die Straffreiheit nach einem Schwangerschaftsabbruch ermöglichen: Eine Beratung wird zwangsverordnet, gefolgt von einer Bedenkfrist von drei Tagen, die der Idee folgt, es müsse Gelegenheit zu Umkehr geben. Hinzu kommt, dass nicht die beratende Ärztin, die das Vertrauen der Patientin hat, den Eingriff vornehmen darf – sie muss an einen anderen Arzt verweisen. Auch hier soll wieder einer Vorteilsnahme vorgebeugt werden.

Die Unionsparteien halten am »Werbeverbot« fest. Man wolle, so die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, kein »Geschäftsmodell« fördern, das »auf der Tötung ungeborenen Lebens« beruht. »Wir sind eben nicht so säkular, wie wir denken«, kommentiert Kling-Mondon.

 

1968 forderte die Frauenbewegungdie komplette Streichung des Paragraphen 218

Tatsächlich ist das deutsche Abtreibungsrecht im internationalen Vergleich nicht gerade fortschrittlich. Somit ist die Forderung nach Abschaffung des Paragraphen 219a mehr als bescheiden. Eine der Hauptforderungen der Frauenbewegung im Jahre 1968 war nicht weniger als die komplette Streichung des Paragraphen 218. Doch dafür mangelte es an Unterstützung. In einer berühmten Rede vor dem SDS sagte Helke Sander vom Aktionsrat zur Befreiung der Frauen, dass die Weigerung der Männer, die ins Privatleben verbannten Probleme der Frauen anzuerkennen, deren politisches Handeln unmöglich mache. Die führenden Männer des SDS zeigten sich uneinsichtig und weigerten sich, ­Sanders Vortrag auch nur zu diskutieren, was ihnen den berühmten Tomatenwurf der Studentin Sigrid Damm-Rüger einbrachte. Wütend schrieb Ulrike Meinhof damals in Konkret: »Die Reaktion der Männer auf der Delegiertenkonferenz und die auch der immer noch wohlwollenden Berichterstatter zeigte, dass noch erst ganze Güterzüge von Tomaten verfeuert werden müssen, bis da etwas dämmert.«

Es dämmerte nicht. Zwar gelang es Alice Schwarzer und anderen Frauen 1971, durch die aus Frankreich importierte Kampagne »Wir haben abgetrieben!« im Stern breite öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Das legendäre Titelblatt zitierte die Taz aus Solidarität mit Kristina Hänel. 27 Ärztinnen und Ärzte bekannten: »Wir machen Schwangerschaftsabbrüche!« Eine legale Fristenlösung wurde in Deutschland wie in Frankreich 1975 beschlossen – aber in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht gekippt. 1976 wurde eine Indikationslösung beschlossen, 1993 die Mischform aus Fristen- und Indikationslösung, die weiterhin gilt. Von der Forderung nach Abschaffung oder auch nur Reform des Paragraphen 219a wird diese Regelung nicht berührt. »Trotzdem ist es gut, dass wir damit eine gesellschaftliche Debatte anstoßen können«, sagt die DJB-Prä­sidentin Maria Wersig. »Auch über den Paragrafen 218.«