Kerem Schamberger, Kommunikationswissenschaftler und prokurdischer Aktivist, im Gespräch über verbotene kurdische Symbole, die Politik von Facebook und die deutsche Justiz

»Facebook blockt«

Mitte November durchsuchte die Polizei die Wohnung von Kerem Schamberger in München. Ihm wurde vorgeworfen, YPJ-, YPG- sowie PYD-Fahnen auf Facebook gepostet zu haben.
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Auf seiner Facebook-Seite informiert Schamberger, der derzeit in München über kurdischen Journalismus promoviert, über die Zustände in der Türkei. Seit Wochen verliert die Seite dramatisch Follower. Der Aktivist wirft Facebook vor, die Reichweite seiner Seite absichtlich zu begrenzen, Facebook wehrt sich gegen den Vorwurf der Zensur und hat den Fall um den Follower-Schwund inzwischen für beendet erklärt.

 

Als bekannter Rojava-Aktivist hatten Sie einige Schwierigkeiten mit Facebook und sogar der Münchner Staatsanwaltschaft. Was war da los?
Ich setze mich nicht nur für Rojava ein, sondern für die Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens, und da spielen die Kurden eine wichtige Rolle – aber nicht nur die. In Deutschland kann, wer sich mit der kurdischen Freiheitsbewegung in ihrer Breite und Vielfalt auf die eine oder andere Form solidarisiert, schnell Probleme mit den staatlichen Repressionsbehörden bekommen. In Bayern, diesem Hort der Reaktion, geht der Staat noch rigider gegen Linke im Allgemeinen und insbesondere die Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung vor. In diesem Zusammenhang gab es am 13. November eine Hausdurchsuchung bei mir, weil ich im Rahmen meiner Online-Aktivitäten Fahnen und Symbole der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) gepostet hatte.

Diese Parteien sind in Deutschland aber nicht verboten, oder?
Das ist eine rechtliche Grauzone. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel mal wieder neben Erdoğans Thron Platz genommen hat, gab es Anfang März 2017 einen Erlass des Bundesinnenministeriums, der besagt, dass das Zeigen dieser Symbole dem von PKK-Symbolen gleichkommt. Daraufhin gab es eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag, was das bedeute. Bedeutet es, dass die Organisationen, die dahinterstehen, verboten sind? Die Bundesregierung antwortete mit einem »Nein«. Die Organisationen selbst seien nicht verboten, allerdings seien die Symbole in gewissen Kontexten gleichzusetzen mit PKK-Symbolen. Die rechtliche Frage dreht sich nun um eben diese Kontexte: Wann ist ein PKK-Bezug gegeben und wann nicht?

Facebook hat ein Interesse daran, dass die Türkei weiterhin als Markt erhalten bleibt. Die Türkei hat 70 Millionen Einwohner, 40 Millionen davon sind bei Facebook

Wie kam es zu dieser Hausdurchsuchung? Liegt es an der Sonderrolle Bayerns als, wie Sie sagen, »Hort der Reaktion«?
Was zunächst bayerische Besonderheiten sind, wird hier häufig getestet, um dann, wenn sie durchführbar und akzeptiert sind, auch auf Bundesebene angewandt zu werden. Die Staatsanwaltschaft München ist besonders fleißig bei der Verfolgung dieser politischen Symbole. Es gibt Aussagen von Betroffenen in Norddeutschland, dass die Staatsanwaltschaft München gegen 190 Personen Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, weil sie Posts, auf denen YPG-Symbole zu sehen waren, von meiner Facebook-Seite geteilt haben. Jetzt laufen Ermittlungsverfahren und Vorladungen, damit diese Personen Aussagen zu den Beschuldigungen machen.

Es sind Ihnen auf Facebook eine große Anzahl Abonennten abhandengekommen. Was ist da passiert?
Es ist auffällig, dass seit Anfang September, die Abonenntenzahl und Freundeszahl auf meiner Facebook-Seite signifikant zurückgegangen ist. Mittlerweile sind das etwa 5 000 Personen weniger, 25 Prozent der Gesamtabonnentenzahl. Das betrifft übrigens nicht nur mich. Viele türkeikritische, prokurdische Seiten haben ähnliche Erfahrungen machen müssen. Auch ihnen sind Abonnenten abhandengekommen. Und zwar gegen den Willen der Abonnenten. Bei mir haben sich mittlerweile rund 50 Personen gemeldet, die gesagt haben, sie seinen »entfreundet« oder »entfollowed« worden, ohne dass sie dazu etwas getan hätten – ihre Accounts existieren aber noch auf Facebook. Das Unternehmen hat sich vorvergangene Woche dazu geäußert und sagte, es handle sich bei diesen 5 000 Fällen zum größten Teil um Profile, die gegen die Richtlinien von Facebook verstoßen hätten und deswegen gelöscht worden seien. Was das bedeutet, sagt der Konzern nicht. Er geht auch nicht wirklich auf die Leute ein, die sich gemeldet haben und sagen: »Hey, wir sind immer noch da und unsere Verbindung wurde gekappt.« Da heißt es nur, es sei aus den Facebook vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich, dass die Verbindung gekappt worden sei. Das ist schon eine ziemliche Unverschämtheit. Facebook hat ein Interesse, dass diese Diskussion aufhört, weil es der ganzen PR-Strategie des Konzerns widerspricht.

Das klingt ganz schön intransparent. Wie erklären Sie sich das?
Es gibt für mich zwei Erklärungsansätze, die zu diesem Zeitpunkt nur Vermutungen sind, weil Facebook nicht wirklich kommuniziert, sondern blockt. Facebook hat ein Interesse daran, dass die Türkei weiterhin als Markt erhalten bleibt. Die Türkei hat 70 Millionen Einwohner, 40 Millionen davon sind bei Facebook – also ein riesiger Markt. Die Türkei hat immer wieder Druck auf den Konzern ausgeübt, besonders kritische Inhalte und nicht zuletzt prokurdische Inhalte zu löschen. Das ist in der Vergangenheit immer wieder passiert und es hat wiederholt Proteste von Kurden gegen die Politik von Facebook gegeben, zum Beispiel letztes Jahr vor der Facebook-Zentrale in London. Der türkische Staat könnte Einfluss genommen und Facebook zu verstehen gegeben haben: »Entweder ihr sorgt dafür, dass diese Inhalte verschwinden, oder wir sorgen dafür, dass Facebook für ein oder zwei Tage landesweit gesperrt bleibt.« Das ist in der Vergangenheit auch immer wieder vorgekommen.

Und die zweite Erklärung?
Vor der Bundestagswahl haben das Justizministerium unter Heiko Maas und Vertreter von Facebook einen gemeinsamen Plan zum Kampf gegen fake news entwickelt. Es haben sich inzwischen die Inhaber von Profilen gemeldet, die einfach nur kritische, linke Inhalte verbreiten, nicht unbedingt nur mit Türkeibezug, und ebenfalls unter einem Abonnentenschwund leiden. Ich kann mir vorstellen, dass alles, was nicht dem Medien-Mainstream, wie etwa Taz, Spiegel oder Tagesschau entspricht, in seiner Reichweite und Aufmerksamkeit eingeschränkt wird. Diese Maßnahme könnte den Rückgang von Abonnenten bewirken und wäre ein Werkzeug, Meldungen jenseits des Mainstreams zu drosseln.

Wen trifft das ?
Unter denen, die sich bei mir gemeldet haben, sind vor allem Leute, die prokurdische Inhalte gepostet oder geteilt haben – sei es YPG oder PKK, seien es Abbildungen von Abdullah Öcalan. Es gibt die Seite »Rojava News« auf Facebook, sie hat 130 000 Abonnenten und auch große Verluste von mehreren Tausend Followern in den vergangenen Monaten vermeldet. Bei diesen prokurdischen Themen treffen zwei Dinge zusammen – es gehört nicht zum Mainstream und es schwebt über denen immer das Damoklesschwert des Terrorvorwurfs. Letzeres erleichtert Facebook die Argumentation für Eingriffe enorm.

Was ist die Motivation für Ihr Engagement? Wie ist Ihr Verhältnis zur PKK?
Meine Annäherung an das Thema folgt aus meiner Position als Kommunist. Bei mir kommt hinzu, dass ein Teil meiner Familie aus der Türkei kommt und ich deshalb zu den Geschehnissen dort eine besondere Beziehung habe. Ich sehe mich zunächst einmal solidarisch mit den Kurdinnen und Kurden. Das geht aber über diese einfache Solidarität hinaus, da sie aus meiner Sicht einen Lösungsvorschlag für den Nahen und Mittleren Osten präsentieren, den ich für den praktikabelsten und besten halte. Dazu gehört die Analyse, dass das nach dem Ersten Weltkrieg erstellte nationalstaatliche System, das in der Region installiert wurde, einer der Gründe für die heutigen Probleme ist. Die PKK sagt heute: Wir wollen als Kurden keinen eigenen Staat gründen, sondern diese nationalstaatliche Idee überwinden und eine neue Form des Zusammenlebens jenseits nationalstaatlicher Grenzen ausprobieren. Das nennt sie »demokratischen Konföderalismus«. Auch wegen der vielen verschiedenen Ethnien, Sprachgruppen und Religionen, deren Angehörige in der Region so dicht beieinander wohnen, kommt es bei Nationenbildung dort schnell zu Ausschlüssen.

Diese Idee des demokratischen Konföderalismus, die ja auch von den Ideen des amerikanischen Ökoanarchisten Murray Bookchin inspiriert ist, hat bei Linken weltweit viel Interesse für Rojava geweckt. Doch auch die alten autoritären Strukturen in der PKK existieren weiter.
Das war damals ein schmutziger Krieg zwischen dem türkischen Staat und der PKK. Es kam zu Verbrechen seitens der PKK gegen Zivilisten, unbewaffnete Soldaten sowie Abweichler und echte oder vermeintliche Verräter aus den eigenen Reihen. Aber die PKK hat sich seit der Festnahme ihres Vorsitzenden Abdullah Öcalan im Jahr 1999 stark verändert. Es ist ein breiter Diskussionsprozess zustandegekommen und es wird auch ganz anders mit Kritik umgegangen. Das finde ich bemerkenswert. Viele vergleichbare Bewegungen in anderen Teilen der Welt schaffen das aus eigenem Antrieb nicht. Wenn man mit PKK-Kadern diskutiert, sehen sie ihre damalige Rolle sehr kritisch.