Beim Versandunternehmen Amazon gab es bundesweit Streiks und Proteste

Da vorne steht ’ne Ampel

In Leipzig und anderen Städten riefen vergangene Woche die Gewerkschaft Verdi, die Basisgewerkschaft FAU und linke Organisationen zu Streiks und Blockaden gegen das Versandunternehmen Amazon auf.

250 Streikende und 150 Unterstützer zogen am Freitag vergangener Woche vor das Leizpiger FC des Versandhändlers Amazon. FC – das ist kein Fußballclub, sondern ein sogenanntes »Fulfillment Center«, wie das Unternehmen es nennt; ein Warenlager, von dem aus Kunden beliefert werden. Doch die 400 Menschen, die sich dort versammelten, hatten etwas dagegen – sie waren gekommen, um zu streiken und das FC zu blockieren. Ampelstreik nannten sie das. Denn vor dem Werkstor steht eine Fußgängerampel, mit deren Hilfe der Warenausgang verzögert werden sollte.

Basierend auf der Überlegung, dass Amazon nichts produziert außer dem Versprechen an die Kunden, Waren zu einem bestimmten Termin zu liefern, zielte der Streik auf Öffentlichkeit und die Verzögerung der Liefertermine. Er war Teil einer bundesweiten Kampagne unter dem Motto »Make Amazon Pay«. Nach Angaben der Organisatorinnen und Organisatoren soll der Ampelstreik in Leipzig zur Verlangsamung des Liefertaktes geführt haben. Der Konzern bestreitet, dass es zu Verzögerungen gekommen ist.

Solidarität kam nicht nur von Studierenden und nicht nur aus Deutschland. Auch in Piacenza und Poznań gab es Proteste.

An anderen Amazon-Standorten gab es zur gleichen Zeit ähnliche Aktionen. In Berlin blockierten etwa 400 Menschen vorübergehend das innerstädtische Verteilerzentrum am Kurfürstendamm. An der Aktion beteiligten sich das  Bündnis »Ums Ganze«, Mitglieder des Redaktionskollektivs Capulcu, die sich als »technologiekritische Aktivisten und Hacktivisten« verstehen, und die Berliner Erwerbsloseninitiative »Basta«. Jobcenter und Amazon arbeiteten »Hand in Hand bei der Durchsetzung prekärer Arbeitsbedingungen«, begründete »Basta« die Teilnahme an der Aktionswoche auf seiner Website.

Die Logistik des Kapitals sei blockierbar, sagt Maria Reschka, eine Sprecherin der Kampagne und Mitglied von »Ums Ganze«. Amazon setze neue Standards der Prekarisierung und Logistifizierung. Beeindruckt sei sie von den Streikenden, die über einen so langen Zeitraum Gegenwehr leisteten. Seit 2013 ist es immer wieder zu Streikaktionen bei dem Unternehmen gekommen. Amazon sei ein Laboratorium des »Streiks 4.0«, sagt Reschka. Sie habe selbst bereits Arbeitskampferfahrung gesammelt – in ihrem studentischen Nebenjob in der ambulanten Lebenshilfe. Gerade hier, im Care-Sektor, zeige sich, dass die technische Erneuerung auch eine Geschlechterdimension habe. Da sie nicht nach Bedürfnissen von Menschen, sondern im Interesse des Kapitals organisiert sei, werde Technik nur in einigen profitablen Sektoren entwickelt. Ginge es um die Bedürfnisse der Menschen, wäre es »ohne weiteres möglich, technische Mittel zur Erleichterung der Pflege zu entwickeln« und nicht wie bei Amazon als »Zukunftsvision, die auf Kontrolle und Unterdrückung« basiere.

Petra Beck*, die sich als Amazon-Beschäftigte und Mitglied der Gewerkschaft Verdi am Streik in Leipzig beteiligt, spricht sarkastisch über ihren Arbeitsalltag: »Einstechen, acht Stunden alles über mich ergehen lassen, ausstechen.« Dennoch konstatiert sie, dass die Streiks der vergangenen vier Jahre für Verbesserungen der Löhne und Arbeitsbedingungen gesorgt hätten. Verdi will nun vor allem einen Tarifvertrag mit Amazon erreichen. Gespräche darüber verweigert das Unternehmen, das bundesweit mehr als 12 000 festangestellte Mitarbeiter beschäftigt, seit Jahren.

Beck arbeitet im Warenausgang. Ihr Arbeitstag wird zu einem großen Teil bestimmt durch Richtungspfeile auf einem digitalen Gerät, das sie durch das Warenlager dirigiert. Aus einem europaweiten Netzwerk wird sie über das Gerät angewählt und zu Waren in Bewegung gesetzt. Da das digitale Fließband Amazons ohne die Bewegung von Arbeiterinnen und Arbeitern wie Beck nicht fließt, werden sie motiviert, angetrieben, gefeedbackt, notfalls abgemahnt.

Aus den Lautsprecherboxen des Streikzelts ertönt die Stimme eines Streikenden: Es herrsche Panik bei der Konzernleitung. Amazon halte Informationen zurück, intern reagiere das Unternehmen mit Polarisierung. Später sagt ein Mitglied des »Streiksolibündnisses Amazon«, das sich an dem Aktionstag in Leipzig beteiligt: »Amazon verbreitet das Gerücht, dass wir etwas kaputt machen wollen. Im Gegenteil, wir wollen etwas aufbauen: eine solidarische Bewegung von allen, die vom Kapitalismus an einem guten Leben gehindert werden.«

Viele der Unterstützerinnen und Unterstützer sind Studierende, so wie Anton Kramer*. Er muss neben dem Studium arbeiten, »als wissenschaftliche Hilfskraft, 9,70 Euro pro Stunde, Vertragslaufzeit sechs Monate«, erzählt Kramer. Doch das Engagement und die Kämpfe basisorientierter Gruppen und kleinerer Gewerkschaften wie der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) in Jena machten ihm Mut. An der dortigen Universität hat die FAU auf dem Rechtsweg durchgesetzt, dass wissenschaftliche Hilfskräfte in der Universitätsbibliothek künftig nach dem Tarifvertrag bezahlt werden.
Solidarität gab es an diesem Tag nicht nur von Studierenden wie Kramer und nicht nur in Deutschland. Bundesweit streikten Beschäftigte an insgesamt sechs Amazon-Standorten. Zudem beteiligten sich erstmals auch Mitarbeiter im italienischen Piacenza. Im polnischen Poznań rief die anarchistische Basisgewerkschaft »Arbeiterinitiative« zum Dienst nach Vorschrift auf, um den Betrieb zu verlangsamen. »Niemand will ein Rädchen im Getriebe sein«, hieß esdazu auf der Website der Gewerkschaft.


* Name von der Redaktion geändert.