Hinter dem verheerenden ­Terroranschlag in Somalia steckt vermutlich die ­islamistische Miliz al-Shabaab

Inferno auf der Kreuzung

In Somalia ist der bislang schwerste Anschlag in der Geschichte des Landes verübt worden. Vermutet wird, dass sich damit die jihadistische Miliz al-Shabaab zurückgemeldet hat.

Die etwa zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner von Mogadischu sind Katastrophen gewöhnt. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991, der sich zunächst der Sowjetunion und später dem Westen angenähert hatte, wird Somalia von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen verwüstet. Jihadistische Gruppen, deren wichtigste die mit dem Netzwerk al-Qaida verbundene Miliz al-Shabaab ist, setzten sich im Zuge der Entwicklung in vielen Teilen des Landes fest.

Doch die Brutalität des Anschlags, der am Samstag an der »Kilometer 5« genannten belebten Straßenkreuzung im Stadtbezirk Hodan verübt wurde, ist auch für Somalia ungewöhnlich. Das Attentat, bei dem zwei Sprengsätze ­gezündet wurden, stellt alle bisherigen in dem nordostafrikanischen Land in den Schatten. Bislang ertrug man die fast im Wochenrhythmus stattfindenden Anschläge in der Stadt mit relativem Gleichmut; nach einem Bombenanschlag wurde der Tatort gereinigt und danach ging der Alltag weiter. Am Sonntag jedoch standen in Mogadischu Somalierinnen und Somalier auf Hunderten Metern Schlange, um Blut für die Überlebenden zu spenden.

Die Explosionen waren verheerend, im Umkreis von einem Kilometer zersprangen die meisten Fensterscheiben. Üblicherweise verwenden die Jihadisten bei Anschlägen ungefähr 90 Kilogramm Sprengstoff, dieses Mal soll die Sprengmasse jedoch zwei Tonnen betragen haben. Zu bisherigen Attentaten bekannte sich die Miliz al-Shabaab in der Regel schnell. Nicht so dieses Mal. Die somalische Zentralregierung und internationale Medien gehen jedoch fest von ihrer Täterschaft aus.
Die Zahl der Toten wurde am Montag vom somalischen Informations­ministerium mit 276 angegeben, die US-Zeitschrift Foreign Policy sprach von über 300 Toten, der britische Guardian von 320. Die meisten von ihnen waren lebendig verbrannt. Hinzu kommen über 300 Verletzte. 100 von ihnen wurden mit einem türkischen Militärflugzeug ausgeflogen, um in der Türkei medizinische Behandlung zu erhalten. Die Wucht der Doppelexplosion war dadurch verstärkt worden, dass an der Kreuzung »Kilometer 5« viele fliegende Händler Benzinkanister verkaufen, die infolge des Bombenanschlags Feuer fingen.

Al-Shabaab war 2011 aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben worden und wurde inzwischen auch aus anderen Städten Somalias verdrängt, kontrolliert jedoch beträchtliche Teile des Hinterlands. Die Armee der somalischen Zentralregierung konnte sich in den vergangenen Jahren stabilisieren, vermag der Lage nicht Herr zu werden.
Ihr zu Hilfe kommt die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) mit 22 000 Soldaten. Das stärkste Kontingent stellte lange Zeit Burundi, das jedoch infolge der seit 2015 eskalierenden Repression gegen die burundische Opposition (Jungle World 49/2015) mit UN-Sanktionen belegt wurde und deswegen diese Stellung verlor. Auch 400 US-amerikanische Militärberater sind in Somalia im Einsatz. Die US-­Regierung teilte am Montag mit, sie könne ihr Engagement ausweiten.

Im Mai kündigte der Präsident auf einer internationalen Somalia-Konferenz in London noch an, al-Shabaab könnte »in bis zu zwei Jahren besiegt« sein.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel verurteilten die Tat. In Paris wurde der Eiffelturm aus Solidarität mit den Opfern verdunkelt.
Al-Shabaab ist international weniger bekannt als die Jihadistengruppe Boko Haram in Nigeria, da die Miliz fast nur Ziele in Somalia selbst angreift – abgesehen von einer Attacke auf die Universität Garissa im Nachbarland Kenia im Jahr 2015, bei der 150 Menschen getötet wurden. Boko Haram greift hingegen auch in den Nachbarländern Nigerias, in Kamerun, Niger und dem Tschad an. Den somalischen Islamisten von al-Shabaab sind jedoch bereits mehr Menschen zum Opfer gefallen als Boko Haram, sie töteten 4 200 Menschen im Jahr 2016, die nigerianischen Jihadisten 3 500.

Im Februar wurde Mohamed Abdullahi Mohamed zum neuen Präsidenten in Somalia gewählt, anfangs war er sehr populär. Der 55jährige hatte zuvor an der Universität von Buffalo im US-Bundesstaat New York unterrichtet und besitzt auch die Staatsbürgerschaft der USA. Er hielt sich seit 1985, als er einen Posten an der somalischen Botschaft in den USA bekam, in Nordamerika auf. Seine Wahl fiel in eine Zeit, als sich die Sicherheitslage in Somalia ­etwas verbessert hatte. Das verhinderte nicht, dass sich am 19. Februar ein Selbstmordattentäter in Mogadischu vor ­einem Supermarkt in einem Auto voller Spreng­stoff in die Luft jagte, was 39 Menschenleben forderte.
Im Mai hatte Abdullahi Mohamed auf einer internationalen Somalia-Konferenz in London noch angekündigt, ­al-Shabaab könnte »in bis zu zwei Jahren besiegt« sein. Das scheint nun fraglich. Viele im Land werfen dem Präsidenten mangelnde Kenntnis der örtlichen Verhältnisse vor. Er wird Konsequenzen ziehen müssen; erwartet wird etwa eine Kabinettsumbildung. Abdullahi Mohamed spendete demonstrativ Blut und ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.