Am Sonntag wird die AfD in den Bundestag einziehen. Ihr Glück dort könnte bald wieder enden

Dampf ablassen mit der AfD

Der Wahlkampf der AfD, dessen Finanzierung äußerst undurchsichtig erscheint, war bestimmt von Skandalen. Die Partei wird zur Zeit von Flügelkämpfen beherrscht.

Der Duisburger Hafen Anfang September: Uwe Kamann, IT-Unternehmer und aussichtsreicher Listenkandidat der AfD für die Bundestagswahl, hat zu ­einer Schiffsfahrt auf dem Rhein eingeladen. Die Tour unter dem Motto »Leinen los, Berlin wir kommen« wurde von Kamann und der AfD in Nordrhein-Westfalen als Möglichkeit deklariert, die Partei »ungefiltert«zu erleben. Ein Blick in die Programmatik ohne mediale Verzerrungen sollte möglich sein. Doch nicht interessierte Bürger bestiegen den holländischen Ausflugsdampfer, den die AfD gemietet hatte. Es war vielmehr die Basis der »gemäßigten« AfD Nordrhein-Westfalen, die sich versammelt hatte, um bei labberigen Pommes und lauwarmen Bockwürsten zu lauschen, was Marcus Pretzell, der Ehemann von Frauke Petry, einige regionale Funktionäre und der »Silberjunge« Thorsten Schulte, dessen im Kopp-Verlag erschienenes Buch »Kontrollverlust« auf Platz zwei der Spiegel-Best­sellerliste steht, zu erzählen hatten.

Viel war das nicht. Schulte sprach Pseudofakten anführend davon, dass Kanzlerin Angela Merkel Rechtsbrüche begangen habe, und erhoffte sich für die Zeit nach der Bundestagswahl einen »Untersuchungsausschuss Merkel«. Ähnliche Töne schlug Pretzell an, der über die Ehe für alle sprach, mit der Angela Merkel die Axt an die »kleinste Zelle unserer Kultur, die Familie« an­gelegt habe. Gegen Recht habe Merkel außerdem bei der Euro-Rettung und während der Flüchtlingskrise verstoßen. Als es später in einer Podiumsdiskus­sion um die Sozialpolitik der AfD ging, wurde der rassistische Charakter, der auch bei den vermeintlich gemäßigten AfD-Funktionären zum guten Ton gehört, deutlich erkennbar. Die Sozialausgaben für die Flüchtlinge seien zu hoch, darunter leide die deutsche Mehrheit. Migranten, das hätten Studien aus Dänemark bewiesen, zahlten zu »80 bis 90 Prozent nicht in die Rentenkassen ein«, dies sei auch in Deutschland der Fall. Die AfD werde dafür sorgen, dass, wer nicht einzahlt, auch nicht viel ­Rente bekommt.

Nicht viel zu bieten außer ­Ras­sismus

Zweifellos spannender als das offizielle Programm bei der Schiffsfahrt war es, mit den diversen AfD-Funktionären zu sprechen. Fast alle auf dem Schiff grenzten sich verbal vom völkischen Flügel um Björn Höcke und Alexander Gauland ab, der wenige Tage vorher erklärt hatte, er sei stolz auf die Leistungen der Wehrmachtssoldaten. Allerdings relativiert sich diese ­Abgrenzung, wenn die AfD-Mitglieder einmal ins Erzählen kommen. Dann ist ganz schnell die Rede von der »Ver­räterin Merkel«, bei der man sich schon fragen müsse, welchen Plan sie damit verfolgt habe, als sie 2015 die Grenzen für Flüchtlinge öffnete. Darüber offen sprechen dürfe man nicht, sonst gelte man zu schnell als Verschwörungstheoretiker, obwohl es »reale ­Verschwörungen« gebe.
Auf welche Theorien die AfD-Funktionäre an­spielen, ist eindeutig. Sie befürchten einen von der Politik betriebenen »Bevölkerungsaustausch«, mit dem die Partei der Kanzlerin und die anderen ­»linken Parteien« sich ein willenloses Wahlvolk heranzüchten wollten. Aussagen wie diese kommen von Funktionären der AfD, die als gemäßigt gelten und in Zukunft eine Zusammenarbeit mit der Union anstreben. Bei den Treffen der völkischen AfD-Mitglieder dürfte es noch wesentlich härter zugehen.

Über das Programm der AfD im ­Bundestagswahlkampf zu sprechen, ist ­eigentlich Zeitverschwendung. ­Neben Sprüchen, die an die dumpfen Alt­herrenwitze der NPD erinnern – wie bei dem Plakat »Neue Deutsche? ­Machen wir selber«, auf dem eine schwangere blonde Frau zu sehen ist, oder »Burkas? Wir steh’n auf Bikinis« –, hat die AfD nicht viel zu bieten als ­Ras­sismus.

Der Einzug der AfD in den Bundestag bedeutet erst einmal Geld und Stellen für Rechtsextreme und Anhänger der Neuen Rechten

Wichtiger als Plakate oder gar kluge Aussagen ist für die AfD die Inszenierung von Tabubrüchen und Skandalen. Als die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel beleidigt und anscheinend geplant eine ZDF-Talkshow ­verließ, fragten sich ihre Fans nicht, ob sie nicht ­etwas zu dünnhäutig für die politische Auseinandersetzung sei. Weidels Abgang galt eher als souveränes Zeichen gegen das »Kartell der etablierten Medien«. Auch die Sprüche von Alexander Gauland, der erst die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, »in Anatolien entsorgen« wollte und dann das »Recht, stolz zu sein« auf die Leistungen der Wehrmacht, forderte, führten nicht zu einem Einbruch der Umfragewerte bei der AfD. Im ­Gegenteil, die Partei verfolgt damit äußerst erfolgreich mehrere Ziele. Überzeugte Rechtsextreme sollen in ihrer Sympathie für die AfD bestärkt werden. Überdies inszeniert sich die Partei weiter als Tabubrecherin gegen einen herbeihalluzinierten »linken Konsens«, die Medien sollen dann auf die vermeintlichen Tabubrüche hinweisen und der Partei so Aufmerksamkeit bescheren. All dies gelingt der AfD im Wahlkampf mit Perfektion.

Am kommenden Sonntag wird sie voraussichtlich mit einem Ergebnis um die zehn Prozent in den Bundestag einziehen, mit 70 bis 90 Abgeordneten. Das bedeutet erst einmal Geld und Stellen für Rechtsextreme und Anhänger der Neuen Rechten. Eine Fraktion der AfD im Bundestag ist für die Strukturen der Neuen Rechten ein Glücksfall, denn die AfD braucht halbwegs ­fähige Mitarbeiter, die sie in diesen Kreisen rekrutieren kann.

Eine Spaltung ist möglich

Allerdings könnte das Glück der AfD im Bundestag bald wieder enden: Im Dezember steht ein Parteitag an, bei dem es auch darum gehen wird, ob Frauke Petry und Jörg Meuthen Sprecherin und Sprecher der Partei bleiben. In Parteikreisen heißt es, es könnte durchaus eine ähnliche Stimmung herrschen wie beim Parteitag 2015 in Essen, als Bernd Lucke die Partei verließ. Eine Spaltung bliebe nicht ohne Folgen für die Fraktionen in Bundestag und Landtagen. Gut die Hälfte der aussichtsreichen Bundestagskandidaten der AfD gehören dem weniger extremen Parteiflügel um Frauke Petry an. In den vergangenen Monaten gründeten sie die »Alternative Mitte«, eine Initia­tive von Parteimitgliedern, die einen »realpolitischen Kurs« verfolgen.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass zum Jahreswechsel zwei äußerst rechte Fraktionen im Bundestag sitzen. Dass die Abgrenzung zum Rechtsextremismus in erster Linie taktisch ist, verrät ein AfD-Funktionär bei der Duisburger Rheinschiffsfahrt freimütig: »Rechts von der AfD gibt es kaum Wähler zu gewinnen«, die Menschen dort hätten mit NPD und Co. ihre eigenen Parteien.