Extremsport im Selbtversuch: Rafting auf der Vjosa

Left go, Right back!

Rafting auf Europas letztem großen Wildfluss.

»Wir nennen ihn den Tiger«, sagt Keola, Deutschlehrerin und das zweite Mal in ihrem Leben dabei beim Rafting auf dem Fluss Vjosa. Alle, die in Albanien raften, kennen den »Tiger«. Er ist fast zwei Meter groß, hat die Figur eines Ringers und lacht viel. Er zeigt uns, wie wir unsere Rafting-Ausrüstung anziehen – erst einen äußerst körperbetonten schwarzen Neoprenanzug, darüber eine stabil wirkende Kunststoffjacke in Gelb oder Blau. Abgerundet wird das Outfit mit roten Schwimmwesten und roten Schutzhelmen, alles schön festgezurrt mit Plastikklickschnallen. Schuhe, vorzugsweise Turnschuhe, sind anzubehalten.

Während wir uns optisch in ein Einsatzkommando aus dem Film »Starship Troopers« verwandeln, bringen der »Tiger« und seine Kollegen zwei große gelbe Schlauchboote am steinigen Ufer der Vjosa in Stellung. Der military look ist kein Zufall, bedenkt man die Geschichte des Raftings. Zwischen den beiden Weltkriegen entwickelte die US-Armee aufblasbare Rettungsboote aus robustem, widerstandsfähigem Gummi. Zamo Spathara, der Betreiber des kleinen Rafting-Unternehmes, inspiziert uns kurz, nickt zufrieden und gibt jedem ein Kanupaddel.

Spathara bietet seit nunmehr 15 Jahren Raftingtouren auf der Vjosa an. Insgesamt 20 Rafting-Lehrer, darunter der »Tiger«, arbeiten für ihn. »Anfangs wurde ich von Einheimischen noch belächelt und für verrückt erklärt«, erzählt er. Inzwischen ist er ein angesehener Unternehmer und der einzige Anbieter von Raftingtouren in ganz Albanien. Diese sind inzwischen ein Wirtschaftsfaktor in der Region, der Arbeitsplätze schafft und Touristen anzieht. Mehr als 5 000 Besucher haben dieses Jahr bei ihm Touren gebucht.

Die Geschichte des Raftings geht bis ins 19. Jahrhundert zurück, schon vor über 200 Jahren wurden Flöße aus Baumstämmen für Transporte auf Flüssen genutzt – rafting bedeutete ursprünglich Flößerei. In den sechziger und siebziger Jahren wurde das Rafting zur Freizeitbeschäftigung. Die ersten Wildwassertouren unternahm man mit ausgemusterten Armee-Pontons. In den achtziger Jahren wurden die ersten Schlauchboote für das Wildwasser gebaut und erste kommerzielle Raftingtouren angeboten. Gruppen von sechs bis zehn Personen mit einem erfahrenen raft guide befahren Wildwasserflüsse mit einem Schlauchboot, das die Rafter mit Stechpaddeln steuern. Auf den seitlichen Schläuchen sitzend sichert man sich mit einer Fußschlaufe und hat so beide Hände zum Paddeln frei.

Bevor wir einen Fuß in das Wasser der Vjosa setzen, macht uns der »Tiger« klar, dass Raften ein Teamsport ist und wir seine Anweisungen unbedingt befolgen müssen.

Aber es wird nicht gebrüllt, sondern viel gelacht. Wir besteigen die Boote und platzieren uns zwischen Heck und Bug – für die Landratten unter Ihnen: das sind hinteres und vorderes Ende des Bootes. Spathara und der »Tiger« besetzen die Steuerposition am Heck der Schlauchboote, stoßen die Boote in das schlammige Wasser und erläutern in einem kurzen Crash-Kurs die Grundbegriffe des Raftings: »Bei ›Go‹ paddelt ihr nach vorne, bei ›back‹ nach hinten, bei ›left‹ tut es nur die linke Seite, bei ›right‹ nur die rechte Seite.« Ganz simpel. Beim Kommando »left go, right back« – oder anders herum – dreht sich das Schlauchboot um sich selbst. Und das war es auch schon. »Left go, right back« – das wär doch mal ein Slogan für die kommende Bundestagswahl.

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Noch nicht genug Adrenalin im Blut? Dann wird gesprungen

Bild:
Albania Rafting Group

Im September ist Rafting auf der Vjosa eigentlich kein Extremsport. Die Saison, die im März beginnt, ist dann fast schon vorbei. Zum Glück hat es am Wochenende stark geregnet, sonst würde der Fluss vermutlich gar nicht genug Wasser für unsere Tour führen. In den Stromschnellen ist es die größte Herausforderung, nicht auf einem herausragenden Stein aufzusitzen und hängenzubleiben. Wirklich furchterregend ist das Rudel wilder Hunde, das uns nach der dritten Stromschnelle am Ufer begleitet. Aggressiv bellend versuchen sie sogar, die Boote anzugreifen, sobald eines davon dem Ufer zu nahe kommt. Das gewissermaßen wohlverdiente Ende von Ramsay Bolton in »Game of Thrones« will man ja nicht unbedingt im Selbstversuch nacherleben. Trotzdem befürchtet der »Tiger« offenbar, dass wir bei der Fahrt nicht genug Adrenalinkicks bekommen, und hilft nochmal nach. An einem Felsen, der in etwa fünf Meter Höhe über dem Fluss thront, steigen wir alle aus den Booten, kraxeln die Böschung bis auf den Felsvorsprung hoch – und springen nacheinander in den Fluss.

Das eher gemütliche Tempo beim Paddeln auf dem Fluss hat seine Vorzüge. In aller Ruhe lassen sich dabei die Schönheit der umliegenden Berglandschaft, ein paar schmucke Dörfer und eine Reihe von Brücken in unterschiedlichen Stadien des Verfalls bewundern. Zwischendurch macht Spathara Fotos mit seiner Spiegelreflexkamera und sammelt etwas von dem angespülten Plastikmüll vom Flussufer auf. Umweltschutz ist ihm, das lässt er häufig durchblicken, ein wichtiges Anliegen. Und das nicht ohne Grund. Das Vjosa-Flusstal ist in seiner heutigen Form einzigartig in Europa – und akut bedroht.

Die Vjosa gilt als der letzte große Wildfluss Europas. Ungelenkt und unverbaut durchfließt sie abgelegene Schluchten und Abschnitte mit riesigen Schotterbänken über fast 270 Kilometer von Griechenland bis in die Adria. Wäre das Land in der EU, wäre das Tal wohl wegen seines nahezu unberührten Zustands und seiner Artenvielfalt als geschützte Natura-2000-Fläche ausgewiesen. Die albanische Regierung will dort neue Wasserkraftwerke bauen. Im Wahlkampf hatte Ministerpräsident Edi Rama zwar angekündigt, den ersten Wildflusspark Europas zu errichten. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr.

Im Erweiterungsbericht der EU kritisiert das Europäische Parlament die albanische Regierung wegen ihrer Wasserkraftpolitik, insbesondere wegen der Wasserkraftprojekte an der Vjosa. Der Umweltgruppe Eco Albania zufolge gibt es an der Vjosa bereits zwölf Wasserkraftanlagen, 21 weitere sind geplant und zwölf befinden sich im Bau. Wie die meisten Balkanländer setzt Albanien fast ausschließlich auf Wasserkraft, um den steigenden Strombedarf zu decken. Die gilt zwar als saubere Energie, mit dem Bau von Wasserkraftwerken gehen jedoch auch die Flusslandschaften in ihren ursprünglichen Formen verloren. Die Läufe verändern sich, vor Staumauern verringert sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers, der Sauerstoffgehalt wird geringer, Methangas wird freigesetzt. Das ist nicht nur schlecht für Fische und andere Flusstiere, auch für die rasante Fahrt auf dem Fluss ist so eine Bremse ungünstig. Zudem kommt die unausweichliche Überflutung von Weideland bei den Bauern

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Der »Tiger« in voller Montur

Bild:
Julia Hoffmann

Im Vjosatal kam es daher zu Protesten gegen den Bau von Kraftwerken. Die Richter des albanischen Verwaltungsgerichtshofs haben im Mai dieses Jahres den Bau eines Wasserkraftwerkes in Pocem gestoppt. Die Umweltverträglichkeit wurde als »äußerst mangelhaft« bewertet. Das Kraftwerk sollte am Mittellauf der Vjosa von einer türkischen Firma gebaut werden. Das Energieministerium legte jedoch gegen die Entscheidung Einspruch ein. Nur ein paar Wochen später veröffentlichte es eine Ausschreibung für neue Investoren. Es geht dabei um den zweiten geplanten Staudamm in Kalivaç.

Umweltbewusstsein in einem armen und strukturschwachen Land wie Albanien zu entwickeln, ist nicht einfach, zumal es im Energiesektor um Gewinne geht, für die Albaniens entstehender Erlebnistourismus kein ernsthafter ökonomischer Konkurrent ist. Aber Spatharas Raftingtouren schaffen Bewusstsein bei strategisch wichtigen Gruppen: Touristen und einer albanischen Mittel- und Oberschicht, für die das Erlebnis­angebot im eigenen Land nicht besonders ausgeprägt ist. Und die Touren sind bekannt, zu den Gästen zählte in der Vergangenheit auch Edi Rama, wie Spathara sichtlich stolz berichtet. Dass dies bei der Rettung des Vjosatals hilft, kann man sich nur wünschen. Es in eine Reihe von Stauseen zu verwandeln, wäre jammerschade.