Die zwiespältigen Proteste gegen Tourismus in Spanien

Schreck lass nach, Touristen!

In touristischen Hochburgen Spaniens finden vermehrt Proteste gegen Urlaubermassen statt.
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Bis der Terror Barcelona traf, galt Spanien als sicher, weit sicherer als Tunesien, Marokko, Ägypten und die Türkei. Ein junger jihadistischer Attentäter tötete am 17. August auf der beliebten Flaniermeile Las Ramblas 13 Menschen bei seiner Terrorfahrt. Über 100 weitere wurden teils schwer verletzt. Die Opfer stammen aus 34 Nationen.
Ein Terroranschlag mit einem Last- oder Lieferwagen, wie auf Nizzas Promenade des Anglais im Vorjahr, die Attacke auf den Berliner Weihnachtsmarkt und Londons Westminster-Brücke – der Tourismus ist längst ein Terrorziel. Wo Menschenmassen flanieren, wittern Attentäter ihre Chance zum Massenmord, nicht zu vergessen die ökonomischen Kollateralschäden, die Anschläge dem Sektor zufügen. Tunesiens Tourismussektor erholt sich nur langsam vom Anschlag auf ein Ressort. Paris brauchte fast zwei Jahre, um den Einbruch der Übernachtungszahlen nach den Terroranschlägen im November 2015 wieder auszugleichen. In Barcelona spricht Bürgermeisterin Ada Colau (En Comú) vorerst nur von »minimalen Stornierungszahlen«.

Das ist verkraftbar, denn Spanien und vor allem seine touristischen Hochburgen sind am Limit. Proteste von Bewohnern, Gewerkschaften und linksalternativen Parteien mehren sich. Mit mehr als 75 Millionen internationalen Gästen im Vorjahr bricht der Tourismus seine eigenen Rekorde. Dieses Jahr soll die Urlauberzahl auf 84 Millionen ansteigen. Waren die andalusischen Binnenstädte Sevilla, Córdoba oder Granada im August stets eher ruhig, strömen nun selbst bei Temperaturen über 40 Grad Celsius Touristen zu Sehenswürdigkeiten.

Mit Protesten sorgt »Arran« (Wurzel), die Nachwuchsorganisation der katalanisch-sezessionistischen, antikapitalistischen Partei CUP, für Aufsehen und heizt eine längst schwelende Debatte an. Bengalische Feuer, Konfetti und rosa Rauchbomben im Jachthafen von Palma de Mallorca, Abziehbilder auf etwa 1 000 der 100 000 Mietwagen der Baleareninsel, zerstochene Reifen bei Citybikes in Barcelona und Graffiti gegen Touristen auf Bussen, Hotelfassaden und Hauswänden. »Das ist kein Tourismus, das ist eine Invasion«, »Der Tourismus tötet unsere Bezirke«, »Weniger Touristen, mehr Nachbarn!« – so lauten vielgelesene Parolen. Oder es heißt schlichtweg: »Tourists go home!«

Während führende Medien des Landes Arran eine »Tourismusphobie« bescheinigen, stellt der regierende rechtskonservative Partido Popular (PP) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy die Mitglieder der Organisation als »hirnlose Extremisten« dar. »Wir müssen die Touristen verwöhnen, weil sie extrem viele Arbeitsplätze sichern«, lautet das Credo, das Rajoy unentwegt verbreitet.

Proteste gegen eine touristische Übersättigung gab und gibt es vielerorts in Europa, von Venedig bis Dubrovnik. Manche Städte wie Rom oder Mailand und Reiseziele wie die kroatische Insel Hvar versuchen, unzivilisiertem Verhalten mit empfindlichen Geldstrafen entgegenzuwirken. Unter den spezifischen Bedingungen Spaniens nehmen die Proteste besondere Formen an. Nicht nur in Katalonien, auch im Baskenland werden die Proteste gegen den Tourismus von Linkssezessionisten wie der Jugendorganisation der Partei Sortu, Ernai, angefacht. Unter dem Motto »Herria Bizirik« (Das Volk lebt) war in San Sebastián am 17. August eine Demons­tration angesetzt, an der etwa 500 Menschen teilnahmen. »Es geht nicht um Touristenphobie, sondern um den Klassenkampf«, betonten die Organisatoren. Sie stoßen sich daran, dass junge Arbeitnehmer ausgebeutet würden, während nur einige wenige mit dem Tourismus Geld scheffelten. Kurzum, antispanische Ressentiments und der Unabhängigkeitswunsch mischen sich mit notwendigem sozialem Widerstand gegen Missstände, primär Lohn­dumping, Wohnraummangel und Umweltverschmutzung.
Stadtteile wie Barcelonas El Raval, Gracia, das Zentrum Málagas, Granadas Albaicin, Ibiza und Palma, Malasaña und Lavapiés im zumindest im August weitgehend verwaisten Madrid boomen auch wegen Online-Ferienwohnungsbörsen wie Airbnb. Der Wohnraum verknappt sich, eine rasante Gentrifizierung geht damit Hand in Hand.

Allein das Zentrum Málagas an der Costa del Sol verlor in den vergangenen 14 Jahren 10 000 Bewohner. Nur knapp 5 000 Malagueños leben noch dort. 1 700 Wohnungen werden auf Online-Plattformen feilgeboten, knapp die Hälfte davon wie in anderen Städten Spaniens illegal, ohne Lizenz und ohne Steuern abzuführen. Eine 30-Quadratmeter-Wohnung kostet mittlerweile 600 Euro Miete – unerschwinglich für jemanden mit dem in der Gastronomie gängigen Mindestlohn von 850 Euro im Monat.

»Das ist kein Tourismus, das ist eine Invasion«, »Der Tourismus tötet unsere Bezirke«, »Weniger Touristen, mehr Nachbarn!« – so lauten vielgelesene Parolen. 

»Das Schlimmste sind die prekäre Arbeit und die permanente Unsicherheit. Wir, die in der Gastronomie arbeiten, wir können uns kein würdevolles Leben leisten«, sagt der 41jährige Fran Pérez Sánchez, der als Kellner in einem beliebten vegetarischen Restaurant im Zentrum Málagas arbeitet. Wegen der großen Zahl an Touristen strich sein Chef die Siesta, damit auch zwischen 16 und 20 Uhr warme Küche serviert werden kann. Angemeldet ist Pérez Sánchez dem Vertrag zufolge für 20 Stunden die Woche, stets seien es über 40, die er arbeite, sagt er. »Das ist so Usus; zumindest habe ich einen Vertrag.« Doch das wirkt sich stark auf seine Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge aus. »Nur selten verdiene ich im Monat mehr als 900 Euro, Trinkgeld inklusive.« Für die Miete müsse er in Zentrumsnähe über 600 Euro berappen. »In den vergangenen Wochen gab es erste Proteste der Anwohner, die Rollkoffer zogen gegen die negativen Auswirkungen des Tourismus«, sagt er und zeigt Sympathien für die Aktion. »Aber nicht die Urlauber sind das Feindbild. Ein Bruchteil sorgt mit Sauftouren oder Vandalismus für Unmut. Es gilt, das Versagen der Politik zu kritisieren.«

»Mit ›Tourismusphobie‹ haben unsere Proteste nichts zu tun. Das ist nur eine Strategie, um von den wahren Anliegen unserer Aktionen abzulenken«, sagt die Sprecherin von Arran, Mar Ampurdanès. »Uns bereitet eine Familie, die wegen Airbnb die Wohnung verliert, mehr Sorge als ein Tourist, der sich wegen uns erschreckt.« Sie sieht sich, wie ihre knapp 500 Mitstreiter, »absolut im Recht, gegen die ›Tourismusblase‹ vorzugehen« – ganz gleich, welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen. Derzeit liefen 50 Anzeigen gegen das Kollektiv, so Ampurdanès.

Damit der Protest den Sektor nicht schädige, brauche es eine Veränderung und »vor allem bessere Organisation«, sagt Antonio Catalán, der Geschäftsführer der Hotelkette »AC by Marriot«. Der Kulturtourismus müsse vorrangig, das Hinterland attraktiver beworben werden. Aber auch die Saisonabhängigkeit der Beschäftigung müsse gemindert werden und mittels Diversifizierung der Reiseziele die Konzentration der Urlauber an touristischen Ballungszentren. »Wir verschenken unser Produkt«, kritisiert Catalán, der eine Mitschuld bei den großen Tourismuskonzernen sieht, die mittels Paketpreisen das Niveau weiter senken.

Damit ist er nicht alleine. Tourismusverbände wie Exceltur fordern seit Jahren vehement einen Wandel im Tourismusmodell. »Mallorcas Übernachtungslimit geht in die richtige Richtung«, sagt der Vizepräsident von Exceltur, José Luis Zoreda. »Aber auch höhere Preise würden als Regulativ wirken.« Mehr Qualität statt Quantität, sollte die Devise lauten, denn die Pro-Kopf-Ausgaben der Spanien-Urlauber verringern sich seit Jahren sukzessive.