Militanz, Krawalle und Polizeigewalt: Disko-Reihe zur G20-Debatte

Bambule, Randale – Verbalradikale!

Den Protesten gegen den G20-Gipfel fehlte vor allem eines: Inhalte. Um dies zu verschleiern richtet die radikale Linke ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Polizeigewalt.

Nein, Hamburg war kein Aufstand, kein Bürgerkrieg und natürlich kein Holocaust. Und ja, wer jemals auf einer Demonstration war, die sich etwas mehr herausnahm, weiß, dass die auf Polizisten gemünzte Parole von den »gutbezahlten Hooligans« einigen Wahrheitsgehalt aufweist, da es so einige gibt, die ihr Hobby und gewisse Seiten ihrer Triebstruktur im Beruf ausleben. Jakob Hayner ist völlig zuzustimmen, wenn er schreibt, »dass die Kontrolle bewaffneter Staatsorgane (…) eine der wichtigsten und dringlichsten Aufgaben einer demokratischen Öffentlichkeit« sei. Besonders schwierig ist dies gerade im Falle der Bereitschaftspolizei, deren Entstehen in den fünfziger Jahren aus verfassungsrechtlichen Gründen als Militarisierung kritisiert und die in den siebziger Jahren wieder abgerüstet wurde.

Zum Streiken braucht man keine große Theorie, diese ist nur nötig, um zu verstehen, warum es zu keinem mehr kommt.

Falsch hingegen ist die Suggestion, dass die Polizei keinesfalls »besonders bedroht« wäre. Die ersten Beweis­sicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) wurden aufgestellte, nachdem bei den Protesten gegen die Startbahn West 1987 zwei Polizisten erschossen worden waren. Damals hatte die Gewalt jeglichen Bezugsrahmen verloren, denn die Startbahn, gegen die protestiert wurde, existierte längst. Die Pro­testierenden erschraken vor sich selbst und ihrem Tun, der Protest verebbte, eine ernsthafte Reflexion der eigenen Verantwortung blieb aus.

Auch Leo Fischer beteiligte sich an der Debatte über die G20-Krawalle. Sich auf eine abstrakte Verhältnismäßigkeit beziehend, imaginiert er im Neuen Deutschland »in militärische Rüstungen verpackt(e)« unverwüstliche Robocops, um zu konstatieren, deren Arbeit gleiche schlichtweg »Paintballturnieren«. Keine Rede also von den ehrenamtlichen Polithooligans, die sich auf eigene Kosten uniformieren. Von ­ihnen scheint in Fischers imago niemand »Verstümmelung und Tod der Angegriffenen offenbar in Kauf (zu) nehmen«, wenn er Steine wirft oder Läden anzuzünden versucht, über denen sich Wohnungen befinden.

Man blicke also gefälligst nur auf jene Linke, die sich »ganz unentgeltlich für die Sache verprügeln lassen«, im Gegensatz zu denen, die »dicke Gehälter kassieren um in Talkshows zu sitzen«, wie es das Bündnis »Ums Ganze« so eloquent und einseitig formuliert –, und also nicht auf jene Linken, die in Hamburg randalierten und in ihrer sonstigen Freizeit ebenfalls »unentgeltlich« etwa Antideutsche klatschen, Zugezogene drangsalieren oder sonstigen Männerbundaktivitäten nachgehen.

In einer »ersten, vorläufigen Bilanz« vermerkt die Interventionistischen Linke (IL) eine »Polizeibrutalität, die an dieser Stelle hätte tödlich enden können«. Für das Bündnis »Ums Ganze« ist es gar »ein Wunder (…), dass niemand ums Leben kam.« Die bezeichnet die Polizei als »Besatzungsarmee«, so dass ihr Handeln als grundsätzlich illegal gelten kann.

In der Aufregung über tatsächliche und vermeintliche Rechtsbrüche der Polizei scheint »Ums Ganze« nicht wirklich aufzugehen, dass die dem Bündnis zugehörige Gruppe TOP mit ihrer Lobpreisung der Berliner Initiative »Zwangsräumung verhindern« implizit Rechtsbrüche der Polizei herbeisehnt. Denn nur wenn die Polizei ein Gerichtsurteil nicht durchsetzt, kann eine Zwangsräumung verhindert werden. Zum anderen schreiben alle bisher Zitierten das, was Christean Mala von der Gruppe 8. Mai vergangene Woche in dieser Zeitung auch schrieb: »De facto kam es in Hamburg sogar zu einer partiellen Aufhebung der Gewaltenteilung.« Der Autor bezieht sich konsequenterweise nur auf die als »vierte Gewalt« verkannten Medien. Andere meinen wenigstens die Teilung staat­licher Gewalt, ohne jedoch zu erwähnen, dass gerade deutsche Richter seit Jahrzehnten eine ernsthafte Unabhängigkeit der Justiz fordern oder dass die Polizei selbst dazu aufforderte, Privatfahndungen unverzüglich einzustellen.

Die Proteste gegen den G20-Gipfel waren Kritik von Konsumenten.

Wenn sich Leo Fischer mokiert, dass »der Staat und seine demokratisch ­gewählten Vertreter« nicht mehr das »Gewaltmonopol« innehaben, sondern die Polizei, scheint er dies mit »Staatsgewalt« zu verwechseln, denn die Polizei hat tatsächlich das Gewaltmonopol im engen Sinne, also das Recht zur »Ausübung von unmittelbarem physischen Zwang«, inne und dies nicht erst seit dem G20-Gipfel – dieses Vorrecht ist Teil der Polizeigewalt. Über ­diese heißt es bei Walter Benjamin: »Diese ist zwar eine Gewalt zu Rechtszwecken (mit Verfügungsrecht), aber mit der gleichzeitigen Befugnis, diese in weiten Grenzen selbst zu setzen (mit Verordnungsrecht).« Eben deshalb ist »in ihr die Trennung von rechtsetzender und rechtserhaltender Gewalt aufgehoben«. Dies ist notwendig, damit die Polizei in gewissen Fällen überhaupt agieren kann, und höchst problematisch zugleich, da die Beurteilung der polizeilichen Maßnahmen somit eine nachträgliche ist. Schon allein aufgrund ihrer Ausbildung und des geleisteten Eides muss für die Polizei ein höherer Maßstab gelten, dem sie gerecht zu werden hat. Damit Verstöße zumindest nachträglich sanktioniert werden können, bedarf es dringend der Kennzeichnungspflicht für Einsatzhundertschaften (und diese Kennzeichnung nicht in Schriftgröße 7 unter der Achsel) als Äquivalent zum Verbot von Vermummung und sogenannter »passiver Bewaffnung« der Bürger sowie unabhängiger Behörden, die ­Polizeiübergriffe untersuchen.

»Ums Ganze« verkündet über die Proteste in Hamburg: Da »knallte es stundenlang – und dass mit einer Beteiligung und Freude, wie es sie lange nicht mehr gab«. Bezüglich der abgefackelteten Kleinwagen fordert die ­Gruppe hingegen »Manöverkritik«, als wären es zufällige Entgleisungen, hebt aber gleichzeitig hervor, dass ohne die Riots der ­Protest »so relativ erfolgreich« nicht gewesen wäre. Da die Hafenblockade in den Nachrichten etwas unterging, betont »Ums Ganze« in zwanghaftem Stolz einen durch sie verursachten dreitägigen Stau. Weit längere sind in Amsterdam und Rotterdam längst Alltag und dies ganz ohne Blockade. ­

Weiter heißt es, dass »reaktionäre Feindbilder und antisemitische ­Verschwörungstheorien (…) auch wegen der Präsenz der radikalen Linken – die Proteste nicht geprägt« hätten. In diesem Sinne ist es absurd, dass sich diese »radikale Linke« etwa die Proteste der Hafenarbeeiter in Göteborg als Vorbild erkoren hat. Der dortige Hafen wird im Arbeitskampf bestreikt. Als aber diese Sektion der Swedish Dockworkers Union vor sieben Jahren einmal politisch aktiv wurde, »bestreikte« sie ­ausschließlich israelische Waren. Obwohl die Aktion angeblich gegen die »Israeli and Egyptian blockade of Gaza« gerichtet war, blockierte man doch ­lieber nur die Juden. Auch »Occupy Oak­land«, ein weiteres Vorbild von »Ums Ganze«, hat sich mit übergroßer Mehrheit BDS angeschlossen. 2014 unterstützten sie vor allem die Kampagne »Stop Israel at the Port«. Das sind wie die Hamburger Krawalle keine zufälligen Entgleisungen. Sie sind das Ergebnis von ideologischen Postulaten wie jenem, eine Blockade »wäre eine Möglichkeit zum Streik auch für die zahllosen ›Überflüssigen‹, die längst nicht mal mehr ausgebeutet werden«. Es gab keinen »Hamburg City Strike«. Dass dieser noch nicht einmal forciert wurde, hat die FAU in dieser Zeitung schon kritisiert

Die Proteste gegen den G20-Gipfel waren Kritik von Konsumenten. Wenn diese zur »Unterlassung einer Handlung, zum Nicht-Handeln« (Benjamin) übergehen, ist dies kein Streik, sondern Boykott, also eine gänzlich andere Art von Gewalt, von der die Blockade nur eine zeitweilige Erscheinung ist.
Zum Streiken braucht man keine große Theorie, diese ist nur nötig, um zu verstehen, warum es zu keinem mehr kommt, warum kleinbürgerliche Gruppen wie »Ums Ganze« neben Flüchtlingen nun wieder Lumpenproletarier und Paupers als revolutionäres Subjekt hervorkramen, obwohl diese – wie sie selbst – keinerlei Streikpoten­tial besitzen. Solchem Fake-Kommunismus bleibt meist nur die bloße physische Gewalt.

Um dies zu verschleiern, imaginiert sich die Gruppe 8. Mai mitsamt der ganzen »radikalen Linken« als Opfer einer neuen »Volksgemeinschaft«, ­anstatt ihre kleinbürgerliche Haltung zu reflektieren. Ein Kleinbürger – eher eine materialistische Kategorie als eine Mentalität – ist jemand, der sich den Generalstreik gesetzlich verbieten lässt, weil er selbst nie streiken würde oder könnte, und deshalb auch gar keinen Streik mehr fordert. Stattdessen verheizen verbalradikale Protestlogistiker Leute im Gipfeltourismus – praktische Solidarität ist etwas anderes.