Antifaschismus in der DDR

Im Osten alles anders

Ein Sammelband reflektiert die Geschichte der antifaschistischen Bewegung in der ehemaligen DDR – die bereits vor 1989 begann.

17. Oktober 1987, Zionskirche, Prenzlauer Berg, Ostberlin: 30 bis 40 Neonazis greifen die Besucher eines dort stattfindenden Konzerts an, einige der insgesamt knapp 2 000 Besucher werden schwer verletzt. Die Attacke ereignet sich unter den Augen der DDR-Volkspolizei, die die Kirche beobachtet, aber nicht eingreift.

Drei Jahrzehnte später legen Christin Jänicke und Benjamin Paul-Siewert mit ihrem Sammelband »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland« einen historischen Überblick vor, mit dem die westorientierte Schieflage der antifaschistischen Geschichtsschreibung korrigiert werden soll. Drei Themenbereiche erhalten in dem Band besondere Aufmerksamkeit: der Staatsantifaschismus, die autoritäre Tradition in der DDR und die Entstehung eines flächendeckenden neonazistischen Milieus.

Das propagandistische Selbstverständnis der DDR als antifaschistischer Staat führte zur Leugnung der Existenz von Nazis in der DDR mit dem Ergebnis ihrer bruchlosen Integration. »Bereits 1965 waren viele ehemalige Nazis in alle Bereiche der Wirtschaft, Politik, Medien und des Sicherheitsapparates zurückgekehrt«, schreibt Dietmar Wolf. »Einige von ihnen auch in höchste Staatspositionen.«

Die autoritäre Tradition in der DDR bot Neonazis ein stabiles kulturelles Habitat. Sie fanden für ihre Strategie der »kulturellen Subversion« ein passendes Umfeld.

Das Aufkommen einer neonazistischen Skinheadbewegung in der DDR wird von allen Autoren auf den Anfang der achtziger Jahre datiert. Die Bedrohung, die sich in diesem Jahrzehnt unter anderem in 200 Krawallen mit 12 Toten manifestierte, wurde von Staat und Partei zunächst ignoriert und erst ab 1987 überhaupt als solche anerkannt. Noch 1989 wurden Antifaschisten, die bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus ein Transparent mit der Aufschrift »Warnung! Neonazis auch in der DDR!« zeigten, gewaltsam von der Veranstaltung entfernt. Dietmar Wolf beschreibt detailliert, wie die Stasi versuchte, antifaschistische Gruppen in Potsdam, Dresden und Ostberlin zu unterwandern.

Jakob Warnecke beschreibt, wie die Freilassung von politischen Gefangenen im Jahr 1989 den neonazistischen Organisationen Kader und Rekruten zuführte, die in der gedeihenden organisierten Kriminalität Finanzierungsmöglichkeiten fanden und in Gebieten jenseits der Großstädte »Platzansprüche« durchsetzen konnten. Die autoritäre Tradition in der DDR bot Neonazis ein stabiles kulturelles Habitat. Sie fanden für ihre Strategie der »kulturellen Subversion« ein passendes Umfeld bei Feuerwehren, Bürgerinitiativen, Sportvereinen, Stadtfesten und in Kneipen. Thomas Bürk betont die Bedeutung der Lehrlings- und Schülerbewegung in Westdeutschland, die Jugendzentren und andere Räume eroberte und verteidigte, während erst nach der Wende von 1989 entstehende Jugendhäuser in Ostdeutschland rasch von Neonazis in »brutalen Territorialisierungskämpfen« terrorisiert oder sogar besetzt wurden.

Die antifaschistischen Organisationen in Ostdeutschland entstanden demnach zur Verteidigung gegen die heftige Bedrohung durch ein nationalsozialistisches Milieu. Nach Übergriffen und Ausschreitungen bereits in den frühen achtziger Jahren kam es 1987 zu dem von den Beiträgen einhellig als Schlüsselereignis eingestuften Naziangriff auf das Konzert in der Zionskirche. Das Ergebnis war eine Radika­lisierung des Widerstandes hin zur gewaltsamen Selbstverteidigung, die bei einzelnen Gruppen in eine  Strategie der aktiven Verfolgung von Nazis samt permanenten Gewaltdrucks mündete. Nils Schuhmacher registrierte bei seinen Informanten eine »zivilgesellschaftliche Resignation«. Inmitten des Zerfalls des staatlichen Gewaltmonopols fiel der Antifa sowohl die Aufgabe des Selbstschutzes zu als auch die Übernahme einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Funktionen. Diese Wahrnehmung wurde durch die Pogrome in Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) verstärkt.

Während die Antifa im Osten die Zivilgesellschaft mitunter allein auf sich gestellt verteidigt hat, ihrer Struktur nach ein defensives linkes, aber während der Diktatur staatsfernes, revolutionäres Bürgertum repräsentiert, blieb ihre Rolle im Westen ambivalent: Bürgerliche Strömungen konkurrierten mit vorherrschenden, linkstraditionalistischen im »antiimperialistischen« oder »antikapitalistischen« Kampf, wovon Ostantifaschisten durch die Erfahrung des Realsozialismus gründlich kuriert waren. Während Antifaschisten im Westen den Kampf um die Städte häufig gewonnen hatten und sich an manchen Orten in Ermangelung von sichtbaren Nazis als »Schwarzer Block« neue Gegner in Globalisierung, Überwachungsstaat und Kapitalismus suchten, blieb die Antifa im Osten stets eine prekäre Institution, die ihren Kampf abseits der großen Städte verloren hat und sich zur Landflucht gezwungen sieht, aber ihren konkreten Gegner stets vor Augen hat.

Die Kommunikation zwischen Ost- und Westantifas war der Darstellung Yves Müllers zufolge vom Antiimperialismus der 1992 gegründeten Anti­faschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) und von Ressentiments gegen »Ossis« geprägt. Das martialische Auftreten und der symbol­politische Interventionismus der Westantifaschisten trugen nicht zu einer dauerhaften Vernetzung bei und konterkarierten mitunter die lokale Arbeit. Punktuelle »Strafexpeditionen« als grimmige Machtdemonstrationen in durch besondere rassistische Widerwärtigkeiten auffällig gewordene kleine Orte standen konträr zur objektiven Machtlosigkeit lokaler Netzwerke, die auf den Anschluss an die bürgerliche Mitte angewiesen waren. Aktionistische Militanz war eine unpassende Antwort auf den Aufklärungsbedarf an Ort und Stelle. Schuhmacher spricht in diesem Zusammenhang von »Inszenierungen von Gewaltfähigkeit«, die sich vom Selbstverteidigungscharakter der Militanz im Osten unterschieden.

Das Faschismusverständnis der ­antifaschistischen Gruppen in Westdeutschland war zudem noch stark von der Dimitroff-These und ähnlichen Theorien geprägt, die den Faschismus als bloßen Effekt des Kapitalismus interpretierten. So waren diese Gruppen häufig von Bewunderung für autoritäre sozialistische Systeme und Institutionen (Kuba-Solidarität, Rote Armee) und der Unfähigkeit gekennzeichnet, die Ursachen für die Entstehung einer Neonaziszene in der DDR zu erkennen. Die Übergangszeit nach dem Zusammenbruch des ostdeutschen und vor Etablierung des westdeutschen Gewaltmonopols erlaubte allerdings in und um Berlin Synergien zwischen dem westdeutschen »Schwarzen Block« und militanten Antifaschisten aus Ostdeutschland. Die Bedeutung des Häuserkampfs in der Zeit der Wende betont Jakob Warnecke am Beispiel Potsdam. Bereits damals war die Übernahme antifaschistischer Praktiken wie Hausbesetzungen durch Neonazis verbreitet.

Die Antifa im Osten kennzeichnete insgesamt eine Position zwischen Widerstand gegen den alten Staat, Skepsis gegen den neuen, Abwesenheit von Bündnispartnern und handgreiflichem Gewaltdruck auf der Straße – es sind Spezifika, über die der Sammelband eine gute, wenngleich ausbaufähige Übersicht bietet. Die Quellenlage scheint schlecht zu sein, eine stärkere Einarbeitung antifaschistischer Texte und Websites hätte dem Buch ebenso gut­getan wie eine Übersicht, die die dokumentierten Gruppen in einem Zeit­tableau erfasst.

Christin Jänicke / Benjamin Paul-Siewert (Hrsg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2017, 208 Seiten, 20 Euro.