Auf ihrem zweiten Album fehlt der Band Haim die Leichtigkeit

Virtuosität mit großem Effekt

Es ist kein Zufall, dass der Bandname Haim an den hebräischen Trinkspruch L’Chaim – Auf das ­Leben! – erinnert. Die family affair Haim besteht aus den Schwestern Este, Danielle und Alana, ­deren Vater Anfang der achtziger Jahre von Israel nach Kalifornien übergesiedelt ist. Schon für die Coverband der Eltern, Rockinhaim, musste der Familienname herhalten; die drei Töchter waren ­bereits Teil der Hobbygruppe und wuchsen so mit den Standards des Classic Rock und des 80s Pop auf. Noch als Teenager gründeten sie ihre eigene Band und ließen sich stärker von zeitgenössischem R & B wie auch von US-amerikanischem Indie-Rock beeinflussen. Doch als 2013 schließlich ihr Debütalbum »Days Are Gone« erschien und sie nicht nur in der Musikpresse schlagartig als einer der Newcomer des Jahres gehandelt wurden, überwogen nicht zu Unrecht die Vergleiche mit Fleetwood Mac oder Pat Benatar, ungeachtet des modernisierten Soundgewands. Auch ihrem zweiten, ­gerade erschienenen Album »Something to Tell You« sind die Softrock-Anleihen noch deutlich ­anzumerken, jedoch wurde die Produktionsästhetik weiter in Richtung eines zeitgemäßen Stadionpop zugespitzt.

Wie schon beim Debütalbum hat Ariel Rechtshaid für die Produktion verantwortlich gezeichnet und an den Songs mitgeschrieben. Rechtshaid ­firmiert als Spezialist für Popmusik, die zugleich Indie-Nerds begeistern kann und dennoch breiten Erfolg im Mainstream verspricht, also cutting edge-Klangdesign mit Massenkompatibilität verbindet. Neben »Days Are Gone« hat er 2013 auch das damals langerwartete Debütalbum von Sky Ferreira produziert und außerdem das gefeierte »Modern Vampires of the City« von Vampire Weekend; für Madonna, Usher oder Adele war er inzwischen ebenfalls tätig. Auf dem jüngsten Album von Haim übertreibt er es (in Zusammenarbeit mit der Band) indessen ein wenig mit der Virtuosität der Produktion. So überlagern etwa die diversen ­Gesangseffekte bisweilen die Songs beziehungsweise stellt sich der Eindruck ein, dass ein Mangel an Vertrauen in die Stücke durch eine aufwendi­gere, detailverliebtere Produktion verhüllt werden soll. Manche Songs kommen etwas seicht oder ­effekthascherisch daher. Das schillernde, nervös groovende Gitarrenspiel von Danielle, die als Kopf der Gruppe gelten kann, ist dagegen weniger auffällig als noch auf dem Debüt, wo sie vor allem durch ihre fast schon dem Funk zuzurechnenden Licks mit gedämpftem Anschlag eine Dynamik entfaltet, die wie etwa auch bei »Too Young« von Phoenix zur sofortigen Tanzbewegung verleitet.

Allerdings sind auch auf »Something to Tell You« einige Schätze zu entdecken: Im Zentrum des ­Albums steht mit »You Never Knew« eine perfekte Verbindung aus lässigem yacht rock und supertighter Michael-Jackson-Popgrandezza. Danielle Haim wäscht darin ihrem Widerpart gehörig den Kopf und stellt ihn oder sie vor die endgültige Entscheidung, ein paar Selbstzweifel nicht ausgeschlossen: »So tired of trying to show you/I worked so hard/Go on and say it/Was my love too much for you to take?/I guess you never knew what was good for you/Don’t keep me waiting, to the words that you’re too scared to say.« Währenddessen singen die Schwestern im Hintergrund: »You couldn’t take it.« Es handelt sich um das Highlight der ­Platte, entstanden unter Mitarbeit von Dev Hynes (auch bekannt als Blood Orange), der auch schon an Sky Ferreiras herausragender Single »Everything Is Embarrassing« beteiligt war. Überdies findet »Something to Tell You« einen prachtvollen Abschluss mit der düster-entrückten Soulballade »Night So Long«. Es ist geradezu bedauerlich, dass Haim sowohl diese Leichtigkeit als auch solche Tiefe im Unterschied zu ihrem Debüt hier nur in einigen Stücken aufscheinen lassen.

Haim: Something to Tell You (Polydor)