Gender-Pay-Gap im professionellen Wrestling

Die Revolution der Frauen

Im professionellen Wrestling hat sich bei der Geschlechtergleichstellung eine Menge getan. Doch es gibt auch Rückschritte, und noch immer verdienen Wrestlerinnen deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen.

Josephine Wahlford-Blatt alias Minerva gilt als erste Frau, die einen Titel im professionellen Wrestling gehalten hat. Das war bereits in den 1890er Jahren und zeigt, dass es fast seit Beginn des professionellen Wrestling im 19.Jahrhundert auch Frauen gibt, die dieser Mischung aus Sport und Unterhaltung nachgehen. Wahlford hatte ihr Geld zwar noch in erster ­Linie als Kraftmensch verdient. Spätestens jedoch seit der eineinhalb Jahrzehnte andauernden Regentschaft von Mildred Burke, die die Women’s World Championship ohne Unterbrechung von 1938 bis 1952 hielt, war das professionelle Frauen-Wrestling als eigenständige Sportart etabliert.

In einem der ganz seltenen Fälle von Intergender-Wrestling in der WWE verpasste Sasha Banks vom obersten Ringseil aus dem Wrestler Noam Dar einen spektakulären Double-Knee-Drop. Daraufhin brach das Publikum in frenetischen Jubel aus – die Fans scheinen es zu lieben, wenn Frauen Männern die Fresse polieren.

Dennoch standen die Frauen im Wrestling auch in den folgenden Jahrzehnten, während das Geschäft mit dem Sport zunehmend größere Dimensionen annahm, dauerhaft im Schatten der Männer. Selbst Lillian Ellison alias »The Fabulous Moolah«, die den Titel der Vorläufer der heutigen Promotion World Wrestling Entertainment (WWE) von 1956 bis 1986 fast ohne Unterbrechung trug, war nicht annähernd so populär wie ihr männliches Gegenstück Bruno Sammartino.

In den neunziger Jahren verschwand das Frauen-Wrestling in den USA in der Versenkung. Während in Japan und Mexiko, getragen durch Ausnahmeathletinnen wie Bull ­Nakano, das Frauen-Wrestling einigen Zulauf erlebte, war es nördlich des Rio Grande sehr wahrscheinlich, sich für Wrestling zu interessieren und trotzdem keine einzige Frau im Ring kämpfen zu sehen. So gab es zwischen 1995 und 1998 bei Wrestlemania, dem alljährlichen Höhepunkt im Terminkalender der WWE, abgesehen von einem Mixed-Tag-Team-Match keinen Kampf, an dem Frauen beteiligt waren.

Gemessen an den folgenden Jahren war das Schattendasein des Frauenwrestlings in den Neunzigern jedoch vielleicht sogar die bessere Alter­native. Spätestens mit dem Beginn der »Attitude Era« Ende 1997 ging der Trend in der WWE immer stärker hin zu reiner Fleischbeschau. Während die männlichen Wrestler sich in vermeintlich provokanter Weise als dauerpotente Samenschleudern gerieren durften, ging es bei den Frauen meist in erster Linie darum, wie ­wenig sie anhatten – nicht selten im wörtlichsten Sinn. Trauriges Symbol dieser Zeit sind die sogenannten »Bra and Panties«-Matches, in denen es darum ging, die Kontrahentin möglichst schnell bis auf die Unter­wäsche auszuziehen. Zwischen August 2000 und Juli 2005 fanden in der WWE Dutzende dieser Matches statt. Danach hielt beim Branchenprimus der Fortschritt Einzug – wenn auch nicht ohne Rückschläge. So ließ die WWE noch 2012 ihre Wrestlerinnen in einer Battle Royale in Bikinis gegeneinander antreten.

Etwas Vergleichbares ist heute kaum vorstellbar. Mehr noch: Es ist kaum vorstellbar, dass die Mehrzahl der heute in der WWE aktiven Wrestlerinnen sich so etwas gefallen lassen würde. Dazu passt, dass mit der sehr kräftig gebauten Nia Jax und der als kindlich-überpositiv inszenierten Bayley gleich mehrere Frauen zu den Aushängeschildern der Promotion gehören, die explizit nicht in sexualisierter Weise dargestellt werden. Ebenfalls ist auffällig, dass eine zunehmende Zahl von Wrestlerinnen in langen Hosen und ganz generell mit deutlich mehr Stoff aum Körper auftritt.

Damit einher geht eine kaum zu übersehende Steigerung der Qualität des Dargebotenen. Gab es in den späten neunziger Jahren mit Chyna nur eine Frau, die als eigenständiger Charakter mit herausragenden Fähigkeiten gelten konnte – 1999 und 2000 hielt sie sogar zweimal den eigentlich den Männern vorbehaltenen Intercontinental Title –, wimmelt es gegenwärtig in der WWE nur so von Talenten und star power. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die WWE selbst die Zeichen der Zeit erkannt und passend zum popkulturellen Hype um Feminismus und starke Frauen im vergangenen Jahr die Women’s Revolution ausgerufen hat.

In gewisser Weise korrigiert die Promotion damit ihren eigenen Kurs. Von 2008 bis 2016 wurden die ­Frauen der WWE als »Divas« bezeichnet, der Gürtel zum entsprechenden Divas Title war rosa und geformt wie ein Schmetterling. Hinzu kam ab 2013 mit »Total Divas« eine Reality-Show, die sich in erster Linie mit dem Privatleben der Wrestlerinnen und hier bevorzugt mit ihren Liebesbeziehungen zu männlichen Wrestlern der WWE befasste. Dieser anfangs durchaus neue, innovative und erfolgreiche Weg, Frauen-Wrestling zu vermarkten, wurde jedoch mit der Zeit zu einer Sackgasse. Bei Wrestlemania 32 im April 2016 wurde der Divas Title daher offiziell wieder durch einen Women’s Title ersetzt. Seit dem Roster Split im August darauf (Jungle World 33/2016) gibt es mit dem Raw Women’s Title und dem Smackdown Women’s Title sogar zwei Frauentitel.

Parallel dazu bemühte sich die WWE, die symbolische Gleichstellung der Frauen mit den Männern stetig weiter voranzutreiben, auch wenn diese freilich noch immer merklich ­weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Wohl am deutlichsten wurden diese Bestrebungen bei der Großveranstaltung »Hell in a Cell« im Oktober 2016, bei der nicht nur Charlotte und Sasha Banks das erste »Hell in a Cell«-Match – ein besonders harter Kampf in einem Stahlkäfig – für Frauen überhaupt bestritten, sondern damit gleichzeitig auch zum ersten Mal in der Geschichte der WWE zwei Frauen das Main Event einer Großveranstaltung bestritten.

Eine ähnlich hohe Bedeutung hätte auch das haben können, was sich am 18. Juni bei der Großveranstaltung »Money in the Bank« in St. Louis ­abspielte. Dort nämlich sollte – ebenfalls zum ersten Mal – ein »Money in the Bank«-Match der Frauen stattfinden. Dabei handelt es sich um eine spezielle Art Match, bei der mehrere Wrestler oder Wrestlerinnen versuchen, mithilfe von Leitern einen Koffer zu erreichen, der über dem Ring hängt und symbolisch für eine Titelchance steht. Für Männer findet ein solches Match alljährlich seit 2010 statt.

Das Feld der Teilnehmerinnen war durchaus hochkarätig. Neben der ehemaligen Titelträgerin Becky Lynch und Außenseiterin Carmella umfasste es mit Tamina, Natalya und Charlotte gleich drei Wrestlerinnen, die Töchter bekannter ehemaliger Wrestler (Jim »The Anvil« Neidhart, »Nature Boy« Ric Flair und Jimmy »Superfly« Snuka) sind. Interessant ist auch, dass mit Tamina und Natalya zwei auch bereits an dem erwähnten Bikini-Match vor fünf Jahren ­teilgenommen hatten. Vergleicht man ihre Arbeitskleidung von damals mit der von heute, wird deutlich, wie sehr die Zeiten sich geändert haben.

Dass am Ende ausgerechnet Carmella den Koffer und damit den Sieg in den Händen hielt, war – da im Wrestling Überraschungen zum Kern des Geschäfts gehören – wohl tatsächlich nicht die schlechteste Wahl. Dass dafür jedoch ihr männlicher Begleiter James Ellsworth ­eingreifen musste und sogar höchstselbst die Leiter erklomm, um an den Koffer zu gelangen, sorgte vielerorts für Empörung. Dass hier mit ­unfairen Mitteln gespielt wurde, war nicht das Problem. Das Problem war, dass hier in einem von der WWE über Wochen als historisches Ereignis aufgebauten Match ein Mann den Frauen die Show stahl. Kenner fühlten sich dabei in unschöner Weise an 2009 erinnert, als die WWE den männlichen Wrestler Santino Marella in Frauenkleidung die Battle Roy­­ale der Frauen gewinnen ließ und dies wohl für extrem witzig hielt.

Mittlerweile hat es zwar eine Wiederholung des Matches gegeben, das abermals – und diesmal ohne Hilfe – Carmella gewonnen hat. Das Kind war jedoch längst in den Brunnen gefallen. Außerdem hatte es auch andere Kritikpunkte gegeben. Auch dass das Match in St. Louis mit 13 Minuten nur etwa ein Drittel der Dauer des Matches der Männer im Main Event hatte, empfanden viele als enttäuschend, zumal es von den Fans mit begeisterten »This is awesome«- und »Holy shit«-Rufen begleitet worden war.

Das gilt umso mehr, als die WWE im Bereich des Frauen-Wrestling ansonsten derzeit sehr viel richtig macht. Für den Spätsommer ist mit dem »Mae Young Classic« ein hoch­karätig besetztes Frauenturnier angekündigt. In der Nachwuchs-Sendung NXT warten mit Ember Moon und der aktuellen NXT-Titelträgerin Asuka aus Japan gleich zwei zukünftige Superstars auf ihren Wechsel auf die ganz große Bühne. Und Anfang Juni beim Großevent Extreme Rules durfte Sasha Banks sogar dem Wrestler Noam Dar in einem der ganz ­seltenen Fälle von Intergender-Wrestling in der WWE außerhalb des Rings einen spektakulären und das Match vorentscheidenden Double-Knee-Drop vom obersten Ringseil aus verpassen. Daraufhin brach das Publikum in frenetischen Jubel aus. Die Fans scheinen es zu lieben, wenn Frauen Männern die Fresse polieren; und gerade, weil Wrestling zu einem Gutteil inszeniert ist, ließe sich hier der realen gesellschaftlichen Gewalt von Männern an Frauen das Bild von starken Frauen entgegensetzen, die sich wehren und zurückschlagen. Erste wichtige Schritte in diese Richtung sind gemacht. Doch zumindest bei der WWE scheint der Weg bis ­dahin noch weit zu sein.