In Bosnien-Herzegowina wehren sich Schüler gegen segregierten Unterricht

Zwei Schulen, ein Dachschaden

In einer Kleinstadt in Bosnien-Herzegowina sollten Schüler segregiert unterrichtet werden. Sie wehrten sich dagegen – mit Erfolg.

Nach dem Bosnien-Krieg der neunziger Jahre wurden die bosnischen Serben aus der bosnischen Kleinstadt Jajce vertrieben. Verblieben sind dort heute der Volkszählung aus dem Jahr 2013 zufolge etwa gleich viele Bosniaken und bosnische Kroaten. Der Kanton wollte die Trennung zwischen Bosniaken und bosnischen Kroaten weiter vorantreiben und ein segregiertes Schulsystem aufbauen, in dem die Schülerinnen und Schüler nach Bevölkerungsgruppen getrennt unterrichtet werden. In der Föderation Bosnien-Herzegowinas gibt es 57 segregierte Schulen, die im Land »Zwei Schulen unter einem Dach« genannt werden. In ihnen werden nicht nur verschiedene Lehrpläne unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler müssen das Gebäude oftmals durch verschiedene Eingänge betreten und haben ihre Pausen zu verschiedenen Zeiten, damit sie sich nicht auf dem Pausenhof begegnen.

Die Proteste der Schülerinnen und Schüler sind nicht einfach ein Zeichen der Zusammengehörigkeit, sie könnten das nationalistische Klientelsystem erschüttern.

Die Schülerinnen und Schüler in Jajce demonstrierten gegen diese Segregation. Der verantwortliche Kanton Zentralbosnien zog die Pläne schließlich zurück und versicherte, keine neuen segregierten Schulen zu schaffen. Doch die Demonstrierenden geben sich mit dem Erfolg in ihrer Herkunftsstadt noch nicht zufrieden; das System der »Zwei Schulen unter einem Dach« soll endgültig abgeschafft werden. Deswegen beteiligten sich Schüler aus Jajce vergangene Woche an einer Demonstration im nahegelegenen Travnik. Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Föderation hielten Schilder in die Luft, auf denen stand: »Wir wollen eine Zukunft schaffen und nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen.« Sie haben das bosnische Verfassungsgericht auf ihrer Seite, dass die Praxis, Kinder nach ihrer Bevölkerungsgruppe zu segre­gieren, bereits vor Jahren für verfassungswidrig erklärt hat. Die verantwortlichen Kantone werden aber von nationalistischen Parteien regiert und setzen sich schlicht über diese Entscheidung hinweg.

Den meisten Bosniaken sowie bosnischen Kroaten und Serben geht es wirtschaftlich ähnlich und die Schulen sind ähnlich schlecht ausgestattet. Eltern sind nicht dazu gezwungen, ihre Kinder auf eine Schule zu schicken, in der die jeweils eigene Bevölkerungsgruppe dominiert. So dürfen bosnisch-kroatische Kinder eine Schule mit bosniakischer Mehrheit besuchen und umgekehrt. In der Praxis machen aber nur die wenigsten Eltern von diesem Recht Gebrauch, weil sie nicht wollen, dass die Kinder nach dem Lehrplan der jeweils anderen Gruppe unterrichtet werden. Die Lehrpläne unterscheiden sich im Sprach-, Geschichts- und Religionsunterricht.

In Bosnien-Herzegowina gibt es drei Amtssprachen, die sich aber kaum voneinander unterschieden. Im ehemaligen Jugoslawien hieß die gemeinsame Sprache daher schlicht »Serbokroatisch«. Doch im Verlauf der Jugoslawien-Kriege siegte der »Narzissmus der kleinen Unterschiede« über die Vernunft. Im März haben über 200 Sprachwissenschaftler ein Memorandum veröffentlicht, in dem sie festhalten, was jeder in der Region weiß, der sich vom nationalistischen Irrsinn nicht verrückt machen lässt: Bosnisch, Kroatisch und Serbisch sind dieselbe Sprache.

Bei der Interpretation der Geschichte wird es schon etwas komplizierter. Traditionell blicken die bosnischen Muslime wohlwollender auf das osmanische Reich als die serbisch-orthodoxen Christen. Dafür wollen die bosnischen Serben nicht, dass sich »ihre« Schüler mit den eigenen Kriegsverbrechen im Bosnien-Krieg befassen, auf denen die heute autonome Republika Srpska als Teil von Bosnien und Herzegowina fußt. Besonders unangenehm wird es, wenn es um den Genozid in Srebrenica geht, bei dem die Truppen des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladić 1995 rund 8 000 bosniakische Männer und Jungen ermordet haben. Das Massaker findet in den Schulbüchern für den bosnisch-serbischen Geschichtsunterricht ebenso wenig Platz wie die fast vier Jahre andauernde Belagerung Sarajevos, der über 11 000 Menschen zum Opfer fielen. Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, stellte seine Sicht dazu Anfang Juni klar: »Es ist nicht richtig, dass die Serben einen Genozid begangen und Sarajevo belagert haben, und unsere Schüler werden das auch nicht lernen.«

Die Proteste der Schülerinnen und Schüler sind nicht einfach ein Zeichen der Zusammengehörigkeit in einem getrennten Land. Sie könnten das nationalistische Klientelsystem in Bosnien-Herzegowina erschüttern. Die Nationalisten aller Bevölkerungsgruppen haben das Land untereinander aufgeteilt und wollen diese Trennung durch Erziehung und Bildungswesen zementieren. Das System ist vermutlich zu festgefahren, als dass es sich durch ein paar Proteste ändern ließe, aber immerhin sind die Schülerproteste ein Anfang.