Antifaschistische Gruppen fordern, ein mögliches rassistisches Motiv für einen Mord in Duisburg genau zu untersuchen

Rassistisches Motiv nicht ausgeschlossen

Der Mord an einer türkischstämmigen Gastronomin in Duisburg ist seit drei Wochen ungeklärt. Antifaschistische Gruppen fühlen sich an die Ermittlungen während der NSU-Mordserie erinnert.

Es war ein Schock für die angestellte Köchin, als sie an jenem Mittwochmorgen ihre Arbeitsstelle, das Café Vivo im Duisburger Innenhafen, erreichte. Durch das Fenster sah sie ihre Chefin Birgül D. in einer Blutlache am Boden liegen. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben Medienberichten zufolge, dass die türkischstämmige Gastronomin aus nächster Nähe erschossen worden war. Die Polizei will das aus ermittlungstaktischen Gründen nicht bestätigen. Sie richtete umgehend eine 15köpfige Mordkommission ein. Taucher suchten das nahegelegene Hafenbecken nach der Tatwaffe ab. Wie der Täter in das Lokal gelangt war, wird bislang ebenfalls geheimgehalten. Die Rettungskräfte hätten zunächst versucht, eine Scheibe des Lokals einzuschlagen, um zügig hineinzukommen, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Demnach müsste die Eingangstür verschlossen gewesen sein.

»Der Einsatz einer Schusswaffe und die auf den ersten Blick grundlose Tat erinnern fatal an die NSU-Attentate.« Daniel Schwerd (Linkspartei)

Die Tat ereignete sich vor drei Wochen. Einige Medien spekulierten schon damals, dass es sich um eine missglückte Schutzgelderpressung gehandelt haben könnte. »Organisierte Kriminalität oder Schutzgelderpressung?«, fragte Bild.de suggestiv. Die Rheinische Post berichtete, dass der »tödliche Überfall auf die Cafébetreiberin im Zusammenhang mit einem Vorfall stehen« könnte, »der sich am Abend des 1.Mai auf der gegenüberliegenden Straßenseite ereignet hatte«. Der Geschäftsführer des Restaurants »Diebels« war von Unbekannten überfallen und gezwungen worden, die Einnahmen des verlängerten Wochenendes herauszugeben. Die Täter sollen der Zeitung zufolge bei dem Überfall bewaffnet gewesen sein.

»Jeder Mord an möglicherweise von Rassismus betroffenen Personen ist für uns ein rassistischer Mord, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist«, wird dagegen Ulli Jentsch von der Initiative »NSU Watch« in einer Pressemitteilung zitiert. Jentsch warnt, »dass ein verfrühtes Festlegen auf Ermittlungsansätze in Richtung ›Organisiertes Verbrechen‹, wie dies im NSU-Komplex der Fall war«, die polizeilichen Ermittlungen stark in nur eine Richtung lenke. Die Initiative kritisiert außerdem, dass in den Medien vorschnell »Spekulationen rund um das Thema ›Schutzgeld‹ laut geworden« seien. Das erinnere in verheerender Weise an die Berichterstattung zur damaligen NSU-Mordserie. Stattdessen erwartet »NSU Watch«, »dass die Polizei und die Medien aus ihren Versäumnissen im NSU-Komplex lernen und ein mögliches rassistisches Motiv des Mordes lückenlos untersuchen«.
 »Der Einsatz einer Schusswaffe und die auf den ersten Blick grundlose Tat erinnern tatsächlich fatal an die NSU-Attentate«, sagte der scheidende Landtagsabgeordnete Daniel Schwerd (Linkspartei) der Jungle World. Solange ein rassistisches Motiv nicht auszuschließen sei, müsse auch in diese Richtung ermittelt werden. Gerade Polizei und Staatsanwaltschaft »sollten sich mit vorschnellen Festlegungen zu Tathintergründen, beispielsweise Schutzgelderpressung, zurückhalten«, rät Schwerd. Dies würde einen Ermittlungserfolg effektiv verhindern, wie das Beispiel NSU deutlich gezeigt habe.

Zwar habe der Mord für »kurze Zeit für Schlagzeilen in den Medien gesorgt, aber er ist kein großes Thema in der Stadtgesellschaft geworden«, sagte Sven Leimkühler, Sozialarbeiter in der Duisburger Jugendarbeit, der Jungle World. Schnell sei man wieder zur Tagesordnung übergegangen. »Zumindest in den Medien, aber auch bei Gesprächen unter Kollegen und Kolleginnen«, so Leimkühler, »ist der Mord kein Thema.«

Die linke Gruppe »Crème Critique« aus Duisburg äußerte sich gegenüber der Jungle World schockiert darüber, »dass bei einem Mord an einer ›türkischen‹ Gastronomiebesitzerin Teilen der Presse keine anderen Motive für den Mord einfallen als Schutzgelderpressung und organisierte Kriminalität«. Die Gruppe ist sich sicher, dass »diese Spekulationen bei einer ›deutschen‹ Besitzerin nicht im Vordergrund der Berichterstattung der Boulevardpresse gestanden hätten«. An Spekulationen über die Hintergründe der Tat will sich »Crème Critique« nicht beteiligen. Die Gruppe weist allerdings darauf hin, dass es mit »der ›Legion 47‹ in Duisburg bereits von 2012 bis 2014 eine rechte Terrorzelle gegeben« habe, »bei der man scharfe Munition und Waffen gefunden hat und der man Brandanschläge nachweisen konnte«.

Die Taten der »Legion 47« wurden »Crème Critique« zufolge im Nachhinein von den Behörden kleingeredet und entpolitisiert. Unpolitisch fiel auch die Berichterstattung in der Lokalpresse aus. Bereits zum Auftakt des Prozesses gegen drei Mitglieder der Gruppe im Mai 2015, denen unter anderem Brandanschläge auf ein Flüchtlingswohnheim und einen türkischen Imbiss zur Last gelegt wurden, kritisierte das Blog Ruhrbarone, dass gegen die Gruppe nicht »auch wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde«. Nur durch einen glücklichen Zufall kam keiner der etwa 140 Bewohner des Flüchtlingswohnheims zu Tode – eine brennbare Flüssigkeit entzündete sich nicht wie geplant.

Einem Bericht des antifaschistischen Magazins Lotta zufolge trugen die Mitglieder der »Legion 47« einheitliche schwarze Kleidung mit dem Nazisymbol »Schwarze Sonne« und dem Schriftzug »Legion 47«. Die Gruppe, der bis zu 37 Personen angehört haben sollen, verbreitete demnach Aufkleber, Flugblätter und Plakate der NPD sowie der Neonazikameradschaft »Nationaler Widerstand Duisburg«. Alle drei Angeklagten waren 2014 zu einer Bezirksvertretungswahl auf der Liste der rechtsextremen NPD angetreten. Obwohl die Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, vertrat das Gericht die Auffassung, es gebe keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die politische Gesinnung der Angeklagten für die Taten ausschlaggebend gewesen sei. »Das Konzept der autonom operierenden neonazistischen Gruppen, an dem sich der Nationalsozialistische Untergrund ausrichtete, ist lebendig – auch in Duisburg«, warnten die Ruhrbarone bereits vor zwei Jahren.

Im Duisburger Mordfall hat die Polizei bislang noch keine heiße Spur. Deshalb setzte die Staatsanwaltschaft vergangene Woche eine Belohnung in Höhe von 3 000 Euro für Hinweise aus, die zur Ergreifung des oder der Täter führen.