Bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen ist der »Schulz-Effekt« verflogen

Die SPD verliert ihr Eigentum

Die CDU hat die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gewonnen. Für die Sozialdemokraten ist das ein bitterer Schlag.

Seinen ersten öffentlichen Auftritt als Kanzlerkandidat der SPD absolvierte Martin Schulz Anfang des Jahres in Wanne-Eickel. Im »Mondpalast« hielt er vor 500 begeisterten Zuschauern eine Rede und rief die Menschen dazu auf, mit Stolz Sozialdemokraten zu sein. Jeden, den sie auf der Straße sähen, sollten sie ansprechen und dazu auffordern, auch ein »Sozi« zu werden, so der Politiker damals.

Etwa vier Monate später ist vom vielbeschworenen »Schulz-Effekt« nicht viel übrig. Die SPD hat die Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und nun in Nordrhein-Westfalen verloren. Gerade die jüngste Niederlage in dem Bundesland, das die Sozialdemokraten als ihr Stammland mit dem Ruhrgebiet als Herzstück betrachten, dürfte die Partei schmerzen.
Sieben Jahre war Hannelore Kraft Ministerpräsidentin, unbeliebt war sie nicht. Sie inszenierte sich als »Landesmutter« und große Kümmerin. Dieses Image gefiel ihr und auch den Wählern. Kraft wollte, nach einem von George W. Bush adaptierten Motto, »kein Kind zurücklassen« und für mehr Gerechtigkeit im Land sorgen. Nicht nur an diesen Ansprüchen ist sie gescheitert. Entscheidend für den schlechten Wahlausgang der Sozialdemokraten war die Frage der »inneren Sicherheit«. Im Wahlkampf gab es beispielsweise Diskussionen über die Zahl der Wohnungseinbrüche. 2015 war sie mit 62 000 Fällen besonders hoch, diese Zunahme um 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr hatte Schlagzeilen gemacht. Dass für das Jahr 2016 wiederum ein Rückgang der Zahl solcher Einbrüche um 15 Prozent zu verzeichnen war, spielte im Wahlkampf keine Rolle. Auch die sexualisierten Angriffe auf Frauen in der Silvesternacht 2015/2016 in Köln und die undurchsichtige Rolle der Behörden des Bundeslandes im Fall des jihadistischen Attentäters Anis Amri spielten eine Rolle. Armin Laschet, CDU-Spitzenkandidat und nun designierter Ministerpräsident, gilt nicht als Law and order-Mann und holte sich deshalb im Wahlkampf die Hilfe von Wolfgang Bosbach. Dieser machte markige Sprüche, die Umfragewerte der CDU stiegen. Auch in der ­Sozialpolitik konnte die SPD nicht überzeugen. Kinderarmut und eine hohe Arbeitslosenquote sorgten dafür, dass die CDU die Landesregierung als Ver­sagerclub vorführen konnte.

Laschet ist der strahlende Wahlsieger. Zwar ist das Ergebnis der CDU mit 33 Prozent der Stimmen das zweitschlechteste in ihrer Landesgeschichte, nur bei den Wahlen 2012 schnitt sie schlechter ab. Angesichts der Schwäche der SPD mit 31 Prozent reichte es dennoch zur Regierungsübernahme. Der eigentliche Gewinner ist die FDP mit 12,6 Prozent. Die Liberalen hatten ihren Wahlkampf auf Christian Lindner zu­geschnitten: der Bundesvorsitzende als das, was die Partei sich unter einer ­Mischung aus Politrebell und Popstar vorstellt. Dass er den Landtag bald ­wieder verlassen will, um in den Bundestag einzuziehen, schadete der Begeisterung für die FDP nicht.

Die Linkspartei schaffte es mit 4,9 Prozent der Stimmen nicht in den Landtag. Ein Grund für das Ergebnis sei, dass Grüne und SPD »das Ziel ausgegeben hatten, ›Die Linke‹ aus dem Landtag halten zu wollen«, urteilte Sascha H. Wagner, Landesgeschäftsführer der Partei. Die Grünen hatten mit 6,3 Prozent zwar mehr Glück, spielen aber für die anstehenden Koalitionsverhandlungen keine Rolle. Denn schon vor der Wahl war abzusehen, dass Regierungsbündnisse gemeinsam mit der FDP und den Grünen als kleinen Koalitionspartnern nicht in Frage kommen. Anders als in Schleswig-Holstein verbindet die beiden Parteien in Nordrhein-Westfalen eine leidenschaftliche Gegnerschaft.

Laschet hätte sich, rechnerisch gesehen, aussuchen können, mit wem er regieren will. Die SPD hat allerdings bereits angekündigt, in die Opposition zu gehen. Mit der FDP könnte die CDU ihren Wirtschaftsflügel beglücken, allerdings hätte eine solche Koalition nur eine Mehrheit von einer Stimme.

Selbst wenn die SPD mit der CDU die Regierung stellen würde, blieben die Landtagswahlen in diesem Jahr ein Desaster für sie. Im Saarland konnte die Partei die CDU nicht ablösen, in Schleswig-Holstein verlor sie genauso wie in Nordrhein-Westfalen. Für Schulz ist die jüngste Niederlage besonders bitter. Er kommt aus dem Bundesland, das die SPD beinahe als ihr Eigentum betrachtet. Schulz spielte im Wahlkampf allerdings keine große Rolle. Nur selten trat er auf. Vorschläge und Wünsche für das Land äußerte er nicht. Nun droht auch bei der Bundestagswahl im Herbst eine Niederlage.

Das Erstaunlichste an der Landtagswahl ist das Ergebnis der AfD. Die Partei erhielt in Wahlumfragen zwischen fünf und 15 Prozent. Gewählt wurde sie von über 600 000 Menschen, was 7,4 Prozent der Stimmen entspricht. Die AfD hatte mehr erwartet, ein zweistelliges Ergebnis war das erklärte Ziel. Dem ehemaligen Sozialdemokraten Guido Reil, der sich als rechtspopulistischer Arbeiterführer inszenierte, ist der Einzug in den Landtag für die AfD nicht gelungen. Er hat trotzdem effektiv gearbeitet. Im nördlichen Ruhrgebiet, einer klassischen SPD-Region, holte die AfD bis zu 15 Prozent der Stimmen. Auch das müssen die Sozialdemokraten aufarbeiten, wenn sie in fünf Jahren wieder regieren wollen.