Die französische PSA übernimmt Opel und wird zum zweitgrößten Autohersteller Europas

Fahrt ins Ungewisse

Der traditionsreiche deutsche Automobilhersteller Opel wechselt den Besitzer. Der französische Konzern PSA übernimmt das Rüsselsheimer Unternehmen für 1,3 Milliarden Dollar vom US-Konzern General Motors. Was aus den Opel-Mitarbeitern wird, ist unklar.
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Das Gerücht machte im Opel-Werk schon in der Frühschicht die Runde: Der US-amerikanische Automobilkonzern General Motors trennt sich nach 88 Jahren endgültig von seiner deutschen Marke mit dem Blitz im Logo. Opel soll an die französische Groupe PSA verkauft werden, zu der die Marken Peugeot und Citroën gehören.
Die Betriebsratsmitglieder waren an diesem 14. Februar stinksauer – niemand hatte sie bis dahin informiert, obwohl schon länger verhandelt worden war. In der Opel-Krise 2009 hatte sich der damalige Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz noch persönlich auf Investorensuche begeben und den erst in letzter Sekunde verhinderten Magna-Deal eingefädelt – ein bis heute einmaliges Ereignis in der langen Geschichte der Automobilgewerkschaften. Die Betriebsräte verstanden sich traditionell als Co-Manager, die die Automarke mal mit, mal gegen die Bosse in der GM-Zentrale in Detroit lenkten. Umso größer nun die Enttäuschung, dass GM komplett an der Belegschaft vorbei verhandelt hatte.
Die Mitarbeiter sind verunsichert. Erst acht Jahre liegt die Insolvenz von General Motors zurück. »Wir waren am Boden zerstört«, erinnert sich der junge Ingenieur Steve Grohnert an den 14. Februar. »Gerade jetzt, wo wir so geile Produkte verkaufen.« Mohammed Khan aus der Motorenprüfstelle sieht es positiver. Dem ZDF sagte der 32jährige beim Schichtwechsel am Werkstor: »Wir gehen mit einem guten Gefühl ran. Wir werden weiterhin erfolgreich arbeiten und das macht uns aus.« Das entspricht in etwa dem Selbstverständnis all jener Opel-Beschäftigten, die noch aus der Zeit vor der Krise übrig sind. Allein die Schließung des Werkes in Bochum 2014 kostete über 2 000 Menschen den Arbeitsplatz. Für die Opelaner schien die Firma seit der Insolvenz von General Motors aber auf dem Weg der Erholung. Schon mitten im Krisenjahr 2009 gewann das Modell »Insignia« die Auszeichnung als europäisches »Auto des Jahres«. Der vom Betriebsrat durchgesetzte Kleinwagen »Adam« kommt auf dem Markt gut an. Mit dem »Mokka« hat Opel seinen ­Anteil am ökologisch unsinnigen, aber ökonomisch hochlukrativen SUV-Geschäft, und für das grüne Image sorgt der »Ampera E«, ein außergewöhnlich reichweitenstarkes Elektroauto. Dass die Bilanzen seit Jahren im Minus sind, daran seien die Amerikaner schuld, glaubt man in Rüsselsheim. »GM hat Opel wie eine Milchkuh gemolken, aber ihr nur so viel Stroh gegeben, dass sie nicht verreckt«, fasst der ehemalige Betriebsratschef Franz die Meinung der Opelaner zusammen.
In Detroit sieht man die Entwicklung anders. Nach einem Bericht der Bild-Zeitung hatte GM wohl bereits 2012 versucht, Opel an VW zu verkaufen. Die Zustimmung der Kanzlerin soll es gegeben haben, am Ende sei die Übernahme nur am zu hohen Verkaufspreis gescheitert.
Diesmal hat es geklappt. Für 1,3 Milliarden Dollar kauft PSA Opel. »Wir leben in einer chaotischen Welt. Der einzige ehrliche Weg, sich zu schützen, ist Leistung«, sagte der PSA-Vorstandsvorsitzende Carlos Tavares der versammelten Opel-Belegschaft wenige Tage nach der vereinbarten Übernahme in Rüsselsheim. Unter ihm muss sich Opel auf einen harten Sparkurs einstellen. Er wolle das Unternehmen aus eigener Kraft, also ohne langfristige Bezuschussung aus Frankreich, in die schwarzen Zahlen bringen, hatte Tavares am Tag der Unterzeichnung mitgeteilt.
Wer wissen möchte, wie es aussieht, wenn der Amateurrennfahrer Tavares saniert, muss sich die Entwicklung bei PSA in den vergangenen Jahren anschauen. Knapp 8 000 Stellen wurden gestrichen, Arbeitsplätze ausgelagert und das Werk Aulnay-sous-Bois bei ­Paris wurde geschlossen. Dafür stieg der Jahresgewinn des Unternehmens 2016 um satte 80 Prozent.
Am Tag der Vertragsunterzeichnung durfte der zuvor übergangene Opel-Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Schäfer-Klug immerhin einen kleinen Triumph verkünden: »Um eine größtmögliche Eigenständigkeit der Marke und des Unternehmens sicherzustellen, haben wir durchgesetzt, dass alle von der Transaktion betroffenen Opel-Gesellschaften in einer Gesellschaft zusammengeführt werden.« Eine Erfolgsmeldung in eigener Sache, denn damit bleiben auch die bisher bestehenden Betriebsratsstrukturen intakt. Die zu spät erfolgte Einbindung des Gesamtbetriebsrats, mahnt er dagegen im gemeinsamen Statement mit der IG Metall, habe negative Spekulationen begünstigt und damit der Marke geschadet.
Am Vorabend der Vertragsunterzeichnung hatte Schäfer-Klugs Vorgänger Franz noch für eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung bei Opel geworben. Eigentlich wollte der 64jährige im Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim sein neues Buch über die Vorgänge von 2009 vorstellen. Am Ende sprach er aber mehr über PSA als über General Motors und Magna. Denn bei dem französischen Unternehmen halten die Mitarbeiter eine 2,4-Prozent-Beteiligung und haben 3,1 Prozent der Stimmrechte. Dem gingen jedoch Arbeitskämpfe in einer Heftigkeit voraus, wie man sie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Selbst vor wiederholtem »Bossnapping«, der Geiselnahme der eigenen Manager, schreckten die französischen Kollegen nicht zurück – in Frankreich herrscht confrontation statt Co-Management. Deutlich mehr als die Mitarbeiter darf allerdings der französische Staat bei PSA mitreden. Mit 13,7 Prozent ist er einer der größten Anteilseigner. Im schlimmsten Fall säße ab Mai also Marine Le Pen mit am Verhandlungstisch.
Auch wenn die Opel-Mitarbeiter den US-amerikanischen Eigentümer stets als Zumutung empfunden haben, hatte das Arrangement mit GM klare Vorteile. Die Märkte waren strikt aufgeteilt: Diesseits des Atlantiks war der Markt Opel und seiner britischen Schwestermarke Vauxhall vorbehalten, in den USA Chevrolet. In Zukunft wird Opel mit seinen neuen Schwestern Citroën und Peugeot nicht nur um denselben europäischen Markt konkurrieren, das Unternehmen wird dies auch mit sehr ähnlichen Produktpaletten tun. Bei PSA dürfte man kein Interesse daran haben, drei Mittelklasseautos getrennt voneinander zu entwickeln, um sich gegenseitig Marktanteile wegzunehmen. Stattdessen wird man zusammenlegen, was zusammenpasst. Tavares hat bereits angekündigt, dass er hofft, durch Synergien bis 2026 jährliche Einsparungen in Höhe von 1,7 Mil­liarden Euro zu erzielen. Einen ersten Ausblick darauf bietet der Mini-SUV »Crossland X«: Er basiert auf der Architektur des Citroën C3 und bezieht viele Teile aus Frankreich. Zusammengebaut wird er im spanischen Opel-Werk Saragossa.
Ob der Verkauf zu großen Entlassungen bei Opel führt, ist noch nicht klar. Immerhin beziehen die Rüsselsheimer derzeit noch viele Leistungen von GM, die in Zukunft von PSA/Opel erbracht werden müssten. In Sachen Produkti­vität liege Opel deutlich vor den Franzosen, rechnete Franz vor. Hier entstünden im Jahr 35 Fahrzeuge pro Mitarbeiter, bei PSA gerade mal 18. Eng werde es für die über 3 000 Arbeiter in den Opel-Motorenwerken in Wien, im polnischen Tychy und im ungarischen Szentgotthárd. Beim Antrieb liegt hingegen PSA technisch vorne. Im »Crossland X« ist ein französischer Motor verbaut. Dazu kommt der Umstand, dass das Elektroauto »Ampera E« auf Know-how aus den USA basiert, dort wird es als Chevrolet »Bolt« verkauft. Auf diese Expertise dürfte Opel in Zukunft nur noch beschränkt Zugriff haben. Dem Automobilexperten Ferdinand Dudenhöffer zufolge muss Opel über 6 000 Beschäftigte entlassen, um im Geschäft zu bleiben – bei etwa 35 000 Opelanern europaweit wäre das mehr als jeder sechste Mitarbeiter.