Der ukrainische Fußballer Roman Sosulja steht rechtsextremen Gruppen nahe

Der Fall Roman Sosulja

Er sei nur ein Patriot, verteidigten spanische Medien den ukrainischen Fußballspieler Roman Sosulja, der kürzlich vom Verein Betis Sevilla zu Rayo Vallecano wechseln sollte. Die Ultras von Rayo wiesen jedoch nach, dass dies nicht stimmt.

Faschos, raus aus meinem Viertel, »Fachas fuera de mi barrio« – selten hatte der Ruf der Fans von Rayo Vallecano eine größere Aktualität und wurde inbrünstiger gesungen als beim Spiel gegen den Zweitligarivalen aus Almería. Denn dieses Mal ging es wirklich darum, einen Fa­schisten aus dem Viertel zu verbannen. Mit dem Ende des Wintertransfers war durchgesickert, dass Rayo den ukrainischen Nationalspieler Roman Sosulja vom Erstligisten Betis Sevilla auf Leihbasis verpflichtet hatte. Bereits am darauffolgenden Morgen war zu lesen, dass sich die Fans klar gegen den Transfer aussprachen. Auf einem Banner, das am Rande des Trainingsplatzes hing, war zu lesen: »Vallekas ist kein Platz für Nazis. Hau ab!« Die Fans schreiben den Namen des Stadtteils absichtlich mit k statt dem offiziell gebrauchten c.
Am selben Tag erklärte der Club, dass Sosulja zunächst nach Sevilla zurückkehren und man später entscheiden werde, was mit ihm geschehen wird. Eines war zu diesem Zeitpunkt klar: Da er in der Saison 2016/17 bereits bei drei Vereinen angemeldet worden war, würde er in dieser Spielzeit bei keinem anderen Club als Rayo spielen dürfen.
Rayo Vallecano ist so etwas wie das St. Pauli Spaniens. Der Club gilt als Arbeiterclub, als Club der alternativen Szene, eng verbunden mit dem Viertel. Die einflussreichste Fangruppierung, die bukaneros, gilt als links. Ansonsten sind Ultras in Spanien meist rechts und für Gewalt berüchtigt.
Bekanntheit über Spanien hinaus erlangte Rayo vor allem, als der Verein einer 85jährigen Dame aus der Nachbarschaft, die im Zuge der Immobilien- und Wirtschaftskrise ihre Wohnung verloren hatte, eine neue Bleibe verschaffte.
Um sich gegen Homophobie im Fußball stark zu machen, lief Rayo zuletzt mit Regenbogentrikots auf. Aber ähnlich wie beim deutschen Pendant kommt ein Fußballclub nicht ohne Widersprüche aus. So beleidigen aufgebrachte Männer auf der Tribüne trotz Regenbogenshirts die Spieler und Schiedsrichter als maricón (Schwuchtel), ohne Protest hervorzurufen. Und im Fanzine der bukaneros ist ernsthaft von Solidarität mit dem Regime in Nordkorea zu lesen. Daher ist Skepsis angebracht, wenn jemand als Nazi abgestempelt wird. Der Vorwurf geht allzu leicht über die Lippen.
In den ersten Medienberichten hieß es, die Rayo-Ultras würden den Nazi-Vorwurf gegen Sosulja auf ein T-Shirt zurückführen, das er im Sommer bei der Ankunft am Flughafen von Sevilla trug. Darauf war großflächig das ukrainische Wappen gedruckt. In einem offenen Brief an die Rayo-Fans erklärte Sosulja, der Vorwurf sei ein Missverständnis und auf den Fehler eines Journalisten zurückzuführen, der nichts über seine Heimat wisse. Er sei kein Nazi, sondern Patriot. 
Spanische Zeitungen nahmen den Spieler sogleich in Schutz. Ein Patriot gleich ein Nazi? Niemals! El Mundo schrieb, es sei schwierig, kein ukrainischer Nationalist zu sein, während sich »sein Land in tödlicher Umklammerung durch die Russen« befände. Die Rayos-Ultras hätten Sosulja auch abgelehnt, wenn sich dieser als Wähler des amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP, Volkspartei) geoutet hätte. Auch in Spanien ist die Angst vor einer Teilung der Nation groß, vor allem wenn die Katalanen mit ihren Unabhängigkeitsbestrebungen ernst machen. Die als liberal geltende Tageszeitung El Pais berichtet unter Berufung auf das ukrainische Außenministerium sogar von russischen fake news und kann keine nachweisbaren Gründe für die Vorwürfe gegen Sosulja finden.
Am Spieltag nach dem Transfer erklärten die vereinigten Rayo-Fanclubs in einem Dossier, warum Sosulja ein Nazi sei. Es zeigt Fotos von Sosulja, wie er in Kampfanzug mit Maschinengewehr posiert, für die ukrainische Armee wirbt, auf dem Azow-Youtube-Channel Geld sammelt und einen Aufnäher der ­»Dnjepr White Boys« in die Kamera hält. Die Ultras von FK Dnjepr sind eng mit dem rechtsextremen Regiment Azow verbandelt, das inzwischen offiziell in die ukrainische Armee aufgenommen wurde, aber de facto weiter recht autonom agiert.
Hinzu kommen Twitter- und Facebook-Posts, die Sosulja vor Portraits mit Stepan Bandera, dem umstrittenen ukrainischen Nationalhelden, zeigen. Bandera wird verehrt, weil er für eine unabhängige Ukraine gegen die Sowjetunion kämpfte. Dass er Antisemit war, im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierte und unter anderem am Pogrom in Lwiw beteiligt war, dem circa 7 000 Juden zum Opfer fielen, tut der Beliebtheit keinen Abbruch. Im Gegenteil, es werden Devotionalien à la Che Guevara mit Banderas Konterfei verkauft. Erleichternd für den Kult um Bandera kommt hinzu, dass er später selbst in einem deutschen KZ landete.
Sosuljas äußere Ähnlichkeit mit Bandera ist tatsächlich frappierend. Und die Bilder, die Sosulja gepostet hat, machen nicht den Eindruck, als sei ihm das unangenehm, im Gegenteil.
Was denken die Rayo-Fans über Sosulja und sein politisches Engagement? Roberto ist bukanero, das verrät sein leichter Schal mit Ultrabindung. Schon Vater und Großvater gingen zu den Spielen. Mit 15 trat Roberto den bukaneros bei und seine Sicht auf den Fußball änderte sich. Er wurde politisch. »Der Kampf des Viertels ist derselbe wie bei Rayo: gegen Rassismus, Faschismus, Xenophobie und Homophobie«, sagt er. »Sosulja ist das alles nicht. Er sympathisiert mit einer Armee, die die ›arische Rasse‹ in ganz Europa zur Herrenrasse erklärt. Das ist konträr zu allem, wofür Vallecas steht.« Roberto wird während des Spiels hinter dem Tor stehen und gegen den Sosulja-Transfer protestieren. »Vallekas ist Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Sosulja not welcome« steht auf den Transparenten, die dort hochgehalten werden.
Auf der Tribüne, Höhe Mittellinie, sitzt Antonio und nuschelt mit Blick auf die Ultras hinter dem Tor: »Verdammte Rote sind das, Kommunisten.« Er sei seit 1982 Mitglied bei Rayo und habe mal in den Häusern direkt hinter dem Stadion gewohnt. »Die sagen, die seien aus dem Viertel, aber wer weiß, wo die herkommen? Der Junge hat doch nichts gemacht und außerdem ist es seine Privatsache. Das hat nichts hiermit zu tun.« Er deutet aufs Spielfeld. Almería bekommt einen Strafstoß zugesprochen. Nicht nur von der Geraden hinterm Tor schallt es nun: »No pasarán« (Sie werden nicht durchkommen), der alte Schlachtruf aus dem Bürgerkrieg, als Madrid von den franquistischen Truppen belagert wurde. Das Arbeiterviertel Vallecas war damals ein bevorzugtes Ziel der franquistischen Bomber. Rayos Keeper hält den Ball. Alle jubeln.
Aber wem gehört nun der barrio, Roberto oder Antonio? Wofür steht Vallecas? Wofür Rayo? Wofür Sosulja? Fußball, das zeigt der Fall Sosulja, kann von verschiedenen Seiten mit politischer Bedeutung aufgeladen werden – und das Narrativ des integren Underdogs, der sich gegen die korrupte Übermacht behauptet, ist besonders populär.
Sosulja hat seine Popularität dazu genutzt, Propaganda für eine rechtsextreme Organisation zu machen. Mit den Konsequenzen muss er nun leben. Er ist mittlerweile in die Ukraine zurückgekehrt und hält sich beim ukrainischen Verband fit. Wo er ab Sommer wieder Meisterschaftsspiele austragen wird, bleibt offen.