Im Streit um Griechenlands Schulden findet die Position der Bundesregierung immer weniger Zustimmung

Acht Jahre in der Depression

Weitere Kredite nur gegen weitere Einsparungen – diese Bedingung stellt die Bundesregierung Griechenland. Doch mittlerweile schwindet die Unterstützung für die deutsche Austeritätspolitik sogar beim Internationalen Währungsfonds.

Für einen Moment kam wieder ein Hauch von Panik auf. Aus Angst vor einem Staatsbankrott hoben viele Griechen Geld von ihren Bankkonten ab und versteckten es in Tresoren oder gleich unter der Matratze. Die griechische Finanzkrise, die schon fast vergessen schien, hat sich Anfang des Jahres vehement zurückgemeldet. Die anstehenden Kredittranchen könnten nur ausgezahlt werden, wenn die griechische Regierung zusätzliche Einsparungen vornähme, ließ der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Ende Januar verlauten. Es ging ihm dabei vor allem um die Rentenzahlungen, die seiner Ansicht nach weit über dem Niveau liegen, das sich das Land leisten kann.
Dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras kommen solche Botschaften alles andere als gelegen. Die überwiegende Mehrheit der Griechen ist unzufrieden mit ihm, die regierende Partei Syriza liegt in Umfragen nur noch bei ungefähr 16 Prozent der Stimmen. Rentenzahlungen haben für viele Familien eine existentielle Bedeutung. In Griechenland gibt es keine Sozialhilfe, kein Hartz IV, nicht einmal das Existenzminimum ist abgesichert. Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, erhält zumeist keinen Cent an Unterstützung – ein Umstand, der auf 90 Prozent aller Arbeitslosen zutrifft. Oft ist die Rente der Eltern oder Großeltern das einzige Einkommen, auf das eine Familie noch zurückgreifen kann. Weitere Kürzungen kommen für Tsipras daher nicht in Frage.
Doch ohne weitere Reformen, so stellte Schäuble klar, sei die Auszahlung der Hilfskredite fraglich. Im Juli muss Griechenland sieben Milliarden Euro begleichen, das kann die Regierung nur mit neuen Krediten. Und die hängen von der Zustimmung der EU-Finanzminister ab. Das dritte »Rettungspaket« von bis zu 86 Milliarden Euro wird bisher vom Rettungsfonds ESM finanziert und läuft bis zum Sommer kommenden Jahres.
Der Streit dreht sich hauptsächlich um die Frage, warum sich Griechenland wirtschaftlich nicht erholt. Seit acht Jahren befindet sich das Land in einer wirtschaftlichen Depression. Diese Krise schlägt mittlerweile alle Rekorde der Wirtschaftsgeschichte. Selbst während der Großen Depression in den USA ging es nach vier Jahren wieder aufwärts.
Für Tsipras ist die Antwort eindeutig: Die hohe Schuldenlast und die harschen Sparvorgaben machen alle Versuche einer ökonomischen Erholung zunichte. Bundesregierung und EU-Kommission sehen die Entwicklung hingegen anders. Zwar betrug die griechische Staatsverschuldung im vergangenen Jahr etwa 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Weil Griechenland neue Kredite zu günstigeren Konditionen erhält, zahlt die Regierung in Athen paradoxerweise weniger Kreditzinsen, während die Schulden weiterhin steigen. Die Gläubiger halten daher nichts von einem weiteren Schuldenschnitt. Sie drängen darauf, dass Griechenland die Reformvorgaben umsetzt.
Doch spätestens wenn Griechenland neue Kredite wieder auf den regulären Finanzmärkten aufnehmen muss, werden die Zinsen deutlich steigen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Schuldenquote in den nächsten Jahrzehnten auf fast 300 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen wird. Die Verschuldung »explodiert«, wie es der IWF formuliert, sie lässt sich also nicht mehr kontrollieren, auch wenn sich die Griechen noch so sehr anstrengen. Unter diesen Voraussetzungen sei es dem Land unmöglich, ab 2018 jedes Jahr 3,5 Prozent Haushaltsüberschuss zu erwirtschaften, wie es die Auflagen vorsehen. 
Der IWF vergibt seit 2013 zwar keine Kredite mehr an Griechenland, ist aber weiterhin in die Überprüfung der Reform- und Sparauflagen involviert. Vor allem Deutschland und die Niederlande drängen darauf, dass sich der IWF weiter an dem Hilfsprogramm beteiligt. Dieser pocht hingegen darauf, dass die europäischen Regierungen zunächst über eine Schuldenentlastung für Griechenland nachdenken. Die Europäer, allen voran Finanzminister Schäuble, stehen vor einem Dilemma. Schon seit geraumer Zeit ist der IWF immer weniger gewillt, den nicht enden wollenden europäischen Krisenmarathon zu unterstützen. Der Antritt der neuen US-Regierung unter Präsident Donald Trump ist in diesem Zusammenhang kaum hilfreich. Die USA sind größter Geldgeber des IWF. Wenn die Krise erneut eskaliert, ist unklar, ob die europäischen Staaten weitere Hilfe aus den USA erhalten werden.
Ein Ausweg könnte darin bestehen, einen eigenen Fonds zu gründen. »Ich denke auch, dass ein Europäischer Währungsfonds in den Zeitablauf passt«, sagte Klaus Rehling, der Vorsitzende des Europischen Stabilitätsmechanismus (ESM), kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. »Es wird ihn vermutlich in der Zukunft einmal geben.«
Dem deutschen Finanzminister Schäuble dürfte eher daran gelegen sein, den ESM möglichst bald aufzuwerten. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, um die nächste Krise abzuwenden. Zwar geben sich sowohl die Gläubiger als auch die griechische Regierung optimistisch, dass das Land sich bis 2018 wieder selbst refinanzieren kann. Doch wie verlässlich solche Einschätzungen sind, zeigen die fatalen Fehlprognosen, die die verschiedenen »Rettungsprogramme« bislang begleitet haben. So galten die 2010 vereinbarten Privatisierungen von Staatsbesitz, die einen Erlös von etwa 50 Milliarden Euro erbringen sollten, als eine wesentliche Maßnahme, um die griechischen Staatsfinanzen zu sanieren. Zwei Jahre später wurde die Summe dann auf die Hälfte reduziert, bislang wurden jedoch nur 1,5 Milliarden Euro eingenommen.
Es ist also überaus wahrscheinlich, dass die wirtschaftlichen Probleme Griechenlands andauern werden. Angesichts der zahlreichen Wahlen in EU-Mitgliedsländern in diesem Jahr und nicht zuletzt der Bundestagswahl will die Bundesregierung eine Neuauflage der Debatte über einen griechischen Euro-Austritt vermeiden. Und auch der IWF möchte den Streit vorerst nicht weiter eskalieren lassen. Nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vergangene Woche gab sich die IWF-Vorsitzende Christine Lagarde betont gelassen. Sie sehe derzeit keine Notwendigkeit für einen Schuldenerlass für Griechenland, sagte Lagarde und ermahnte ganz im Sinne der Bundeskanzlerin die Regierung in Athen, Reformvorgaben weiterhin zügig zu erfüllen.
Dauerhaft dürfte Lagarde die bisherige deutsche Austeritätspolitik jedoch nicht mehr unterstützen. Die Bundesregierung wird sich entscheiden müssen. Entweder sie befindet gemeinsam mit dem IWF über einen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland. Oder sie richtet einen europäischen Währungsfonds ein und trägt zusammen mit den verbleibenden europäischen Geberländern das volle Risiko.