Die US-amerikanische Alt-Right-Bewegung lässt ihren Star Milo Yiannopoulos fallen

Fressen und gefressen werden

Der schwule Star der Alt-Right-Bewegung in den USA, Milo Yiannopoulos, wurde wegen seiner Aussagen über Sex zwischen Erwachsenen und Jugendlichen von dieser fallengelassen.

Bis vergangene Woche schien das Jahr 2017 für Milo Yiannopoulos ganz so zu laufen, wie es der Wahlsieg des von ihm als »Daddy« verehrten Donald Trump vorzuzeichnen schien: vom »ersten Popstar« der Alt-Right (Jungle World 50/2016) direkt in den US-amerikanischen Mainstream. Mit Simon &  Schuster, einem der drei größten Verlage der USA, hatte er einen Buchvertrag über 250 000 US-Dollar. Seine Tournee über die Campusse des Landes sorgte in regelmäßigen Abständen für Wirbel. Nachdem eine Veranstaltung in Berkeley von militanten Störer verhindert worden war, drohte Trump höchstselbst in einem Tweet damit, der Universität die Bundesmittel zu streichen. Mitte Februar schließlich wurde Yianno­poulos als Hauptredner der diesjährigen Conservative Political Action Conference (CPAC) benannt, der wohl wichtigsten Veranstaltung der konservativen Sammlungsbewegung in den USA.
Kaum 48 Stunden später war es mit der Herrlichkeit auch schon vorbei. Nicht alle Konservativen sind von der Trumpisierung der US-amerikanischen Rechten begeistert; prominente Autoren wie Jonah Goldberg und Ben Shapiro kritisierten die Bereitwilligkeit, mit der die Mehrheit ihrer (einstigen) Bundesgenossen dem weißen Suprematismus eines Yiannopoulos ein Forum bot. Eine Gruppe namens »Reagan Battalion« schließlich landete den entscheidenden Coup: Sie veröffentlichte das Video eines Interviews, in dem Yiannopoulos über die Möglichkeit einvernehmlicher sexueller Kontakte zwischen erwachsenen Männern und 13jährigen Jungen sprach. Er wurde nicht nur von der CPAC umgehend wieder ausgeladen, sondern verlor auch prompt seinen lukrativen Buchvertrag sowie seinen ­Redakteursposten bei der berüchtigten Alt-Right-Postille Breitbart.
Wer sich angesichts von Yiannopoulos’ Karriere vor die Frage gestellt sah, wie in aller Welt das funktionieren könne: der offensiv tuntig auftretende ­décadent, dessen Vortragsreise den Titel »Dangerous Faggot Tour« trug, als Ikone einer erzreaktionären Bewegung, die sich den Ressentiments weißer, ­heterosexueller Männer verpflichtet weiß, erhielt so immerhin die Antwort: auf Dauer gar nicht. 
Bekannt wurde Yiannopoulos vor allem durch sein Bemühen, die Welt der Videogamer von Frauen freizuhalten (bekannt als »Gamergate«), und eine aggressiv geführte Jammerkampagne über die weibliche Besetzung des »Ghostbusters«-Remakes, im Zuge welcher vor allem die afroamerikanische Schauspielerin Leslie Jones Zielscheibe von koordiniertem Cybermobbing wurde. Seine ursprüngliche Einladung zur CPAC verdankte sich daher nicht ­irgendwelcher wegweisender Beiträge zur konservativen politischen Agenda, sondern einzig und allein der Tatsache, dass er Linken und Liberalen verhasst ist. So bescheiden ist man auf der US-Rechten geworden.
Denn diese mag, gut 30 Jahre nach dem Aufbruch der moral majority unter Ronald Reagan, wirtschaftspolitisch auf ganzer Linie gesiegt haben; in dem, was für die meisten Rechten entscheidend war und ist, dem Kulturkampf um Sitte, Anstand und family values, hat sie jedoch Niederlage um Niederlage kassiert. Das hat zu einem kaum zu übersehenden Minderwertigkeitskomplex geführt: Im Vergleich zu den metropolitanen Liberalen sehen die Konservativen sich insgeheim selbst als Hill­billies, als moralisch wie ökonomisch unterlegene loser. Nirgends wird das deutlicher als im Kontrast zu den Schwulen und Lesben, die wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe ­unter der Ägide des neuen, flexiblen Kapitalismus zu florieren scheinen: von den Ausgestoßenen zum Inbegriff der zahlungskräftigen »Elite«.
Yiannopoulos war daher Balsam auf die Wunde: Als Angehöriger gleich mehrerer Minderheiten (wenn nötig, beruft sich der Katholik Yiannopoulos gerne auf seine angebliche jüdische Abstammung) konnte er so gut gedeckt wie kein anderer den Ressentiments seiner Anhänger gegen Transsexuelle, Migranten oder Schwarze Ausdruck verleihen; und als Homosexueller konnte er besonders glaubwürdig den neuen, infantilisierenden Antifeminismus einer jungen Generation im Internet sozialisierter Männer verkörpern, die nicht mehr, wie der Patriarch von einst, den Frauenkörper sich Untertan zu machen trachten, sondern diesen schlicht verstörend finden und auf ­Distanz halten wollen. Er brachte den schwulen camp in die politische Arena ein: Im Zweifelsfall war nichts so gemeint und alles nur ironische Geste; selbst Tweets, die jüdischen Journa­listen die Vergasung androhten, erklärte Yiannopoulos kurzerhand zu mischief, Schabernack. Wer sich empört, habe den Witz nicht verstanden.
Doch am Ende war es Yiannopoulos selbst, der den Witz nicht verstand. Denn goutiert wurde er von seiner rechten Fangemeinde nur, solange dieser sie nichts kostete. In dem Moment, als der als »streitlustig« und »kontrovers« Gefeierte wirklich einmal etwas Kon­troverses von sich gab, das des Streites würdig gewesen wäre, war von der Meinungsfreiheit, mit deren Verteidigung man sich auf konservativer Seite so sehr gebrüstet hatte, auf einmal keine Rede mehr.
Die böse Ironie nämlich ist, dass die inkriminierten Aussagen, den üblichen geschmacklosen Witzchen zum Trotz, wahrscheinlich ehrlicher waren als alles, was der Provokateur aus der Retorte je von sich gegeben hat. Yiannopoulos hat eben nicht, wie es von Seiten des CPAC in der Ausladung hieß, der Päderastie das Wort geredet; die Altersgrenze, ab der Sex in den USA legal ist, hielt er ganz im Gegenteil für richtig angesetzt. Vielmehr wies er unter Rekurs auf die eigene Lebensgeschichte darauf hin, dass sexuelle Mündigkeit sich nicht immer nach gesetzlichen Vorgaben richtet und dass in solchen Fällen die Grenze zwischen Begehren und Missbrauch fließender sein kann, als es einem vielleicht lieb wäre.
Nach Verbreitung des Videos tat Yiannopoulos, was man als allerletztes von ihm erwartet hätte: Er entschuldigte sich öffentlich für die Verletzungen, die seine flapsige Wortwahl bei Opfern sexueller Übergriffe verursacht haben könnte. Genützt hat es ihm freilich nicht mehr. Der popkulturelle Distinktionsgewinn, den ein »Milo«, wie seine Fans ihn nennen, verspricht, verblasst vorm ehernen Bild des sexual predator, des schwulen Mannes, der es auf »unsere Kinder« abgesehen hat. Mag Yiannopoulos noch so eifrig den Rechten den schwulen Glamourboy geben, am Ende bleibt er doch der abar­tige Perverse. Egal wie beflissen dieser von seinem »Daddy« schwärmt, die Trumpsche Konterrevolution weiß doch genau, welches ihrer Kinder sie als erstes frisst.