Der Schepperbeat der »­Sleaford Mods«

Die Wut der englischen Proleten

Auf ihrem Album »English Tapas« motzen die Sleaford Mods aus Nottingham wie eh und je. Es gibt aber auch zarte Hinweise auf eine musikalische Weiterentwicklung.

Unter kulinarischen Gesichtspunkten klingt das neue Album der Sleaford Mods nicht sonderlich verlockend: »English Tapas«, so heißt es. Beatgeber Andrew Fearn las genau das kürzlich auf der ­Menütafel eines englischen Pubs. Die Tapas umfassten scotch eggs, halbe mit Wurstbrät umhüllte Eier, Fritten im Becher, saure Gurken und Mini-Schweinefleischpasteten. Die klassische englische Küche im Häppchen-Format. Jason Williamson, Sänger und Tiradenbrüller des Duos aus Nottingham, erklärt in einem Video, warum die gastro­nomische Entgleisung zum Titel des neuen Albums wurde: »Das sagt alles über diesen Scheißort. Es ist eine Farce, eine Notlösung, es ist ignorant, es ist englisch und vor allem, es ist Scheiße.« Der sprachgewaltige Williamson sagt das mit todernstem Kneipenschlägergesicht und der Überzeugungskraft eines verärgerten Pitbulls.
Mit den Sleaford Mods bricht der wütende Klassenhass von unten ein in die Musiklounge der selbstzufriedenen Mittelschicht. In England ist die Situation noch zugespitzter als in Kontinental­europa: Immer weniger Arbeiterkinder schaffen es in die Ruhmeshallen des Pop. Stattdessen sind die Charts seit Jahren bevölkert von Absolventen privilegierter Privatschulen: Mumford & Sons, Lily Allen, Coldplay und Damon Albarn wurden alle mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Die soziale Ungleichheit schlägt sich auf der Insel immer auch sprachlich nieder: So rotzt James Williamson auf »English Tapas« genauso selbstbewusst wie auf allen vorangehenden Alben im gesellschaftlich verpönten Midlands-Dialekt, während die ehe­maligen Privatschüler und Privatschülerinnen hier und da mal einen Working-Class-Ausdruck einstreuen und versuchen, so ihre Privilegien zu kaschieren. Darüber könnte sich Williamson locker in Songlänge aufregen. Doch er hat noch ein paar dringlichere Probleme: Die Sleaford Mods motzen auf ihrem schon neunten Studioalbum wie eh und je, über Expats, Internettrolle, neoliberale Politik und selbstzufriedene Privilegierte. Williamsons ­Tiraden spiegeln die eigenen beschissenen Lebensumstände. Dafür liefert er im Song »B.H.S.« ein eindrückliches Bild: Er vergleicht den Niedergang des Landes mit der Insolvenz der britischen Kaufhauskette British Home Stores. Deren Pleite im Jahr 2016 ging eine systematische Plünderung des Unternehmens durch die Besitzer voraus. Während die sich kurz davor mehrere hundert Millionen Pfund Dividenden auszahlten, hinterließen sie 10 000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ein Rentendefizit von einer halben Milliarde Pfund. Williamson rappt dazu: »We’re going down like BHS/While the able bodied vultures monitor and pick at us/We’re going down and it’s no stress« (etwa: »Wir gehen unter wie BHS/Während die tüchtigen Geier uns überwachen und auf uns herumhacken/Wir gehen unter ganz ohne Stress«). Chancenlose Arbeiterklasse von gesetzlosen Kapitalisten um ihre Rente geprellt, in ihre Einzelteile zerlegt und an die Höchstbietenden verhökert. Ein starkes Bild für die kaputtprivatisierte englische Gesellschaft.
Unterlegt sind die Songs der »Mods« meist mit reduziertem Schepperbeat und oft nur einer ein­zigen Bassline. Auf Albumlänge kann das etwas ermüden, so ist es auch auf »English Tapas«. Der Track »I Feel so Wrong« ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt: Williamson macht erstmals so etwas wie Singen, zeigt gar Pathos und fällt in einen eingängigen Refrain, begleitet von einem repetitiven, künstlich wirkenden Gitarrenriff. Der Song wirkt wie der erste Fingerzeig einer zukünftigen musikalischen Weiterentwicklung der Sleaford Mods – das könnte spannend werden.
Was die »Mods« an musikalischer Vielfalt auf dem Album vermissen lassen, wiegt Williamson bei Konzerten mit hypnotischer Präsenz und unvergleichlicher Mimik auf. Seine losgelassene Proleten-Tollwut dürfte der Grund der anhaltenden Begeisterung für das Duo sein. Doch genau deswegen wünschte man eine musikalische Entwicklung. Denn mit der einmütig bejubelten sozialen ­Relevanz droht den »Mods« die Gefahr, irgendwann mundtot gejubelt zu werden.

Sleaford Mods: English Tapas ( (Rough Trade)