Finnland experimentiert mit dem Grundeinkommen

Grundeinkommen als Falle

Ein Experiment in Finnland erprobt die staatliche Zahlung eines Grundeinkommens in Höhe von 560 Euro. Faktisch geht es um den Abbau von Sozialleistungen.

Seit Anfang des Jahres läuft in Finnland ein hierzulande viel beachtetes Experiment mit dem Grundeinkommen. Als Versuchskaninchen dienen 2 000 zufällig ausgewählte Arbeitslose, was etwa einem Prozent der etwas über 200 000 Menschen entspricht, die in dem Land derzeit arbeitslos gemeldet sind. Für die kommenden zwei Jahre sollen diese monatlich Zahlungen in Höhe von 560 Euro bekommen, auch dann, wenn sie eine bezahlte Tätigkeit aufnehmen sollten. Sollte das bislang gezahlte Arbeitslosengeld höher gewesen sein, gibt es die Differenz obendrauf. Auch Wohngeld und ein Zuschlag für etwaige Kindergartenplätze sind möglich.
Als Träger fungiert die staatliche Sozialversicherung Kansaneläkelaitos (kurz Kela). Diese versucht in ihrer Projektbeschreibung erst gar nicht, das Vorhaben als Mildtätigkeit oder als Kritik an der Lohnarbeit darzustellen. Stattdessen spricht sie von der »Reduzierung komplizierter Beihilfesysteme« und von der »Schaffung von Anreizen, eine Arbeit aufzunehmen«. Kurz gesagt geht es darum, den Sozialstaat schlanker zu machen, Kosten zu sparen und die im Vergleich zu den anderen Staaten der EU überdurchschnittliche Arbeitslosenquote von rund neun Prozent zu senken.
Mit einem »bedingungslosen Grundeinkommen«, wie es in Deutschland etwa vom Netzwerk Grundeinkommen propagiert wird, hat das wenig zu tun. »Ein Grundeinkommen ist eine garantierte Geldleistung an alle Bürger oder Einwohner, und zwar in Existenz und Teilhabe sichernder Höhe ohne einen Zwang zur Arbeit und ohne eine Bedürftigkeitsprüfung«, erklärt Ronald Blaschke, ein prominentes Mitglied des Netzwerks. All das sei bei dem finnischen Experiment nicht der Fall. So liegt die Armutsrisikogrenze in Finnland derzeit bei 1 188 Euro, also fast doppelt so hoch wie die Höhe der Transferleistungen. Außerdem wird es nur an Arbeitslose, also an Bedürftige ausgezahlt, und auch wenn formal kein Zwang zur Arbeit besteht, so wird doch kein Zweifel daran gelassen, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als wünschenswert angesehen wird.
Dass das Experiment nur Arbeitslose einbezieht, stellt darüber hinaus auf theoretischer Ebene ein Problem dar. Zwar sollen 2 000 andere Erwerbslose als Kontrollgruppe dienen. Wie sich ein Grundeinkommen auf bereits Beschäftigte auswirkt, lässt sich so jedoch nicht herausfinden. »Damit sind faktisch auch keine Erkenntnisse über die Wirkung eines Grundeinkommens möglich«, lautet Blaschkes vernichtendes Urteil.
Überhaupt fällt auf, dass das finnische Experiment in Deutschland weitaus mehr Aufmerksamkeit erregt als in Finnland selbst. Während hierzulande nahezu alle größeren Medien ausführlich über das Thema berichtet haben, ist das Rauschen im finnischen Blätterwald auffallend leise ausgefallen. Eine Ursache dafür mag sein, dass deutsche Initiativen, nicht zuletzt das Netzwerk Grundeinkommen, erfolgreich für ihre Ideen Werbung gemacht haben. Es könnte aber auch daran liegen, dass das finnische Verhältnis zur Politik ein deutlich anderes, nüchterneres ist als das deutsche.
Während in der Bundesrepublik seit nunmehr sieben Jahrzehnten Politik als eine Konfrontation zwischen einem mehrheitlich schwarzen und einem mehrheitlich roten Block verstanden wird, ist die finnische Politik traditionell eher am Konsens und an der Mitte orientiert. So stützen sich seit den siebziger Jahren finnische Regierungen oft auf breite parlamentarische Mehrheiten und werden von vier oder mehr Parteien getragen. Gemessen an der Geschichte des Landes ist die derzeitige Koalition aus Nationaler Sammlungspartei, Zentrumspartei und den rechtspopulistischen Basisfinnen also vergleichsweise klein. Vor allem aber steht sie deutlich weiter rechts als jede andere Regierung mindestens der vergangenen 20 Jahre. Dass dabei schwerlich etwas Progressives herauskommen kann, liegt auf der Hand.
Dennoch gibt es nur sehr wenig Protest gegen das Projekt. »Die allermeisten sehen das Experiment als Forschungsprojekt für die Erneuerung des Sozialsystems«, meint Dan Koivulaakso, Politischer Sekretär beim Linksbündnis, der drittgrößten Oppositionspartei. Die Idee eines unbürokratischen Grundeinkommens habe in Finnland viele Unterstützer, so Koivulaakso. Sehr umstritten sei hingegen dessen Höhe.

Die staatliche Sozialversicherung Finnlands spricht von der »Reduzierung komplizierter Beihilfesysteme« und von der »Schaffung von Anreizen, eine Arbeit aufzunehmen«.

Tatsächlich war es die Demokratische Union des Finnischen Volkes, die Vorläuferpartei des heutigen Linksbündnisses, die das Thema in den Achtzigern zum ersten Mal in die Diskussion gebracht hat. Das jetzige Experiment hat mit den damaligen Ideen jedoch nur wenig gemein und trägt viel mehr die Handschrift des wirtschaftsliberalen Think Tanks Libera. »Bei dem Projekt geht es nicht darum, unbezahlte Arbeit mit staatlichen Transferleistungen zu kompensieren«, meint Koivulaakso. »Es geht darum, Menschen zum Arbeiten zu bewegen, und darum, am Markt das Angebot an Arbeitskräften zu erhöhen.«
Mit der Grundidee eines bedingungslosen Grundeinkommens hat das in der Tat wenig zu tun. Bei diesem geht es ja gerade darum, auch unbezahlte Arbeit, etwa Care-Arbeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten, anzuerkennen und zu honorieren. Begriffe wie diese sucht man bei der Kela vergebens. Hier gilt weiterhin der Primat der Lohnarbeit als einzig seligmachendem Lebensinhalt und als sozialem Bindemittel, das möglichst im Alleingang soziale Teilhabe ermöglichen soll. Damit zeigt sich einmal mehr, dass Viola Nordsieck durchaus recht hatte, als sie vergangenes Jahr in der Jungle World schrieb, ein Grundeinkommen sei »eigentlich gar nicht so links« und schon gar »kein revolutionäres Projekt zur Umverteilung« (Jungle World 19/2016).
Dennoch scheint es angebracht, das Thema gelassen zu verfolgen. Das finnische Experiment dürfte den Probanden in der Regel zumindest nicht schaden, und mit etwas Glück werden auch diejenigen, die am Ende die Daten auswerten, zumindest feststellen, das 560 Euro zum Leben schlicht zu wenig sind. Immerhin hatte die Kela selbst in einem ersten Projektentwurf noch von 800 Euro gesprochen. Ein solches Ergebnis wiederum wäre durchaus ein Argument, das sich auch hierzulande etwa in der Debatte um die Höhe des ALG II ins Feld führen ließe.