Sie wissen, wo dein Auto steht

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Nazis verüben zurzeit vor allem im Berliner Bezirk Neukölln Attacken auf linke Einrichtungen und Antifaschisten. Die Einschüchterungs­versuche zeigen jedoch bislang keine Wirkung.

Sie waren fleißig. In der Nacht vom 26. auf den 27. Dezember schlugen Neonazis in Berlin an mindestens sieben Häusern im nördlichen Neukölln und im benachbarten Kreuzberg zu und sprühten mit roter Farbe den Namen dort lebender Personen an die Wände – samt Beleidigungen wie »rote Sau«. Die Botschaft ist klar: Wir wissen, wo ihr wohnt, und wir wissen, wer ihr seid.

Bereits zwei Wochen zuvor, in der Nacht zum 12. Dezember, hatten sich im Bezirk Neukölln mindestens fünf Attacken ereignet. Unbekannte zerstörten die Scheiben an zwei Wohnungen, an einer Kirche im Ortsteil Britz zerschnitten sie ein Transparent gegen Rassismus und rissen es herunter. Nur eine Querstraße weiter wurde die Scheibe des Buchladens »Leporello« eingeworfen. Dort hatte am 1. Dezember eine Veranstaltung mit dem Thema »Was tun gegen die AfD? Aufstehen gegen Rassismus!« stattgefunden.

»Dass so etwas passieren könnte, damit habe ich natürlich gerechnet«, sagt Inhaber Heinz Ostermann der Jungle World. »Ich hatte aber eher eine direkte Reaktion erwartet. Dass dann zehn Tage später etwas kam, hat mich doch überrascht.« Er wirkt einiger­maßen gefasst und berichtet von der Solidarität, die er erfahren hat. Er ist immer noch überzeugt, dass es richtig gewesen sei, die Veranstaltung abzuhalten. Auch das Plakat der Kampagne »Neuköllner Buchläden gegen Rechts­populismus und Rassismus« hängt weiterhin neben der Kasse.

Ostermanns Geschäft ist alles andere als ein linksradikaler Infoladen. Es wirkt wie ein herkömmlicher Buchladen, wie man ihn aus vielen westdeutschen Kleinstädten kennt, und passt damit sehr gut in die beschauliche Einkaufsgegend rund um die Straße Alt-Rudow. Mit der Beschaulichkeit ist es ­allerdings schnell vorbei. An der Wand eines nahegelegenen Supermarkts ist eine recht frische Sprüherei zu sehen. »Islam stoppen« steht da und daneben prangt ein Keltenkreuz. Auf dem Parkplatz des Supermarkts ist in derselben blauen Farbe das Wort »Ausländerstopp« zu lesen, auch hier mit dem Keltenkreuz und zusätzlich mit dem Kürzel »ANB« versehen, das für »Autonome Nationalisten Berlin« stehen dürfte. Seit Juni 2016 jedenfalls existiert das Blog einer gleichnamigen Gruppe auf der bei Neonazis beliebten Plattform logr.org.

Elf U-Bahnstationen weiter nördlich, mitten im hippen Nordneukölln, liegt das linke Kollektivcafé K-Fetisch. Auch dort haben Neonazis in der Nacht zum 12. Dezember zugeschlagen. Immer noch sind die Spuren des Brandes zu sehen, der an einem der Fenster zur Wildenbruchstraße gelegt worden ist. Zum Glück erlosch das Feuer, bevor Schlimmeres passieren konnte. Da das K-Fetisch im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Mietshauses liegt, hätte es bei einem größeren Brand Verletzte oder sogar Tote geben können.

»Natürlich war das ein Schock«, sagt Rolf Sommer, der Sprecher des Cafés. Auch er berichtet von großer Solidarität, die sich nicht zuletzt in der Zahl von weit über 1 000 Teilnehmern der Demonstration widerspiegelte, die ­wenige Tage nach dem Anschlag unter dem Motto »Faschos verpisst euch!« durch Neukölln zog. Doch das soll nicht alles gewesen sein. »Wir sind dabei, uns noch stärker mit anderen zu vernetzen und auszutauschen«, so Sommer, »und wir planen schon eine ganze Reihe von Veranstaltungen zu dem Thema.«

Die Serie von Attacken und versuchten Brandstiftungen in Neukölln passt in das Gesamtbild, das die extreme Rechte in Berlin derzeit gibt. Einerseits ist durch die Wahlerfolge der AfD, durch Bärgida und die rassistischen Demonstrationen gegen Unterkünfte für Flüchtlinge eine gewisse Dynamik entstanden. Andererseits brodeln in dem Milieu weiterhin Konflikte. Seit Oktober ist Uwe Meenen wieder Landesvorsitzender der NPD, der als Hardliner aus dem Umfeld des früheren NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt gilt und das Amt bereits bis 2012 innehatte. Sein damaliger Nachfolger Sebastian Schmidtke, der eher als Vertrauter des Bundesvorsitzenden Frank Franz und als Anhänger der ehedem von Holger Apfel propagierten »seriösen Radikalität« gilt, unterlag Meenen in einer Kampfabstimmung. Er ist jedoch weiter als Beisitzer im Landesvorstand ­vertreten.

Ein weiterer Unruhestifter ist der im April 2014 gegründete und sich in wachsendem Maß öffentlich betätigende Landesverband der nationalsozialistischen Kleinstpartei »Der III. Weg«. Fotos eines »Zeitzeugenvortrags« eines mittlerweile 96 Jahre alten Wehrmachtssoldaten, der Anfang Dezember statt­gefunden haben soll, zeigen mehrere Dutzend Teilnehmer. Auch wenn diese mit Sicherheit nicht alle aus Berlin kamen, zeigt sich doch, dass die Partei inzwischen einen Faktor im rechts­extremen Milieu darstellt.

Wer jedoch hinter den Attacken in Neukölln steckt, ist weiter unklar. »Es ist davon auszugehen, dass ehemalige Mitglieder des ›Nationalen Widerstands Berlin‹ hinter den Taten stecken, die jetzt unter dem Label ›Freie Kräfte Berlin-Neukölln‹ (FKBN) wieder auftreten«, vermutet Bianca Klose, Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Das Muster der Schmierereien und Brandstiftungen erinnere sehr an die Taten der Gruppe vor geraumer Zeit, so Klose. Es handele sich dabei jedoch um »eine überschaubare Anzahl an Personen, die mit spektakulären Aktionen ihre fehlende personelle Stärke vertuschen wollen«. Ob FKBN und ANB in Verbindung stehen, ist unbekannt.

Ferner beobachtet die MBR, dass sich die Angriffsziele der Nazis ändern, weg von öffentlichen Einrichtungen, hin zu Privatpersonen. Dazu passt auch ein weiterer Angriff, der sich in der Nacht vor Heiligabend ereignete und bei dem mit Farbe gefüllte Flaschen durch die Fensterscheiben einer Privatwohnung geschleudert wurden. Das Bündnis »Wir sind alle ›Dresden nazifrei‹« geht davon aus, dass der Anschlag Tim H. galt, der kürzlich in Dresden erneut wegen seiner Beteiligung an der Blockade eines Naziaufmarsches im Jahr 2011 vor Gericht stand, aber freigesprochen wurde.

»Auffallend ist, dass viele der Betroffenen bislang nicht im Fokus der Neonaziszene waren«, sagt Klose. Dabei wirke es so, als verwendeten die Rechtsextremen eine Liste von Adressen. Völlig unklar sei, woher diese ­Adressen stammten. Das wiederum weckt Erinnerungen an eine Liste linker Einrichtungen in Neukölln, die die FKBN im September im Internet veröffentlichten, aber auch an zwei ebenfalls von den FKBN verbreitete Karten. In der einen waren Unterkünfte für Flüchtlinge in Neukölln eingezeichnet, in der anderen, pünktlich zum Jahrestag der Pogromnacht im November, 70 jüdische Einrichtungen in ganz Berlin.

Auch im Bezirk Pankow könnte es mittlerweile zu einem ähnlichen Einschüchterungsversuch gekommen sein. Einem Bericht auf Indymedia zufolge wurde dort das Wort »Antifa­schwein« an die Fassade eines Hauses geschmiert, ein aufgesprühter Pfeil deutete auf das Fenster einer Wohnung. Sollten Berliner Neonazis vorhaben, ihre Listen vollständig abzuarbeiten, dann dürfte es noch auf längere Zeit zu solchen Vorfällen kommen.