Wird dem Präsidenten in Paraguay eine zweite Amtszeit ermöglicht?

Nachschlag für den Volkstribun

Das Regierungslager in Paraguay will über einen Verfassungszusatz eine zweite Amtszeit für Präsident Horacio Cartes ermöglichen. Die Opposition fürchtet die Rückkehr des Autoritarismus.

Er selbst hält sich vornehm zurück. Paraguays Präsident Horacio Cartes mischt sich demonstrativ nicht in die Diskussion ein, ob man ihm die Möglichkeit ­einer zweiten Amtszeit geben sollte. Nach 35 Jahren Diktatur unter Alfredo Stroessner (1954–1989) wurde in der Verfassung von 1992 festgelegt, dass eine Person nur einmal das Präsidentenamt innehaben darf, um zu verhindern, dass erneut ein Staatschef jahrzehntelang das Land autokratisch beherrscht.
Entsprechend kontrovers wird über das Thema Wiederwahl in Paraguay ­diskutiert. Unter dem hashtag #queel­pueblo­decida (»Das Volk soll entscheiden«) läuft in Paraguay derzeit eine Kampagne in den sozialen Medien für ein Plebiszit über den rekutu. Das Wort heißt in der zweiten Amtssprache des Landes, Guaraní, so viel wie »Nachschlag« und ist der populäre Begriff für eine zweite Amtszeit des Präsidenten. Als ein »Ruf des Volkes« wird die derzeitige Kampagne aufgezogen: Das ­Regierungslager will den millionenschweren Unternehmer Horacio Cartes zum Volkstribun stilisieren, der nur dem Wunsch der ihn liebenden Bevölkerung nachkomme. Öffentlich erklärte Cartes nie, dass er eine zweite Amtszeit anstrebe, aber er hat immer wieder ­bekräftigt, dass er zur Verfügung stehe, sollte »das Volk« ihn rufen. Vor allem Abgeordnete der konservativen Nationalen Republikanischen Allianz – Colorado-Partei (ANR), der Cartes angehört, leiten die Kampagne. Derzeit sammeln sie Unterschriften: Wenn sich 30 000 im Wahlregister angemeldete Personen für das Projekt aussprechen, kann ein Verfahren für einen entsprechenden Verfassungszusatz eingeleitet werden.
Versuche, den rekutu auf parlamentarischem Wege zu erreichen, scheiterten im vergangenen Jahr. Die Opposition kritisiert vor allem, dass die Wiederwahl nur über einen Verfassungszusatz ermöglicht werden soll, anstatt gleich die ganze Verfassung zu reformieren. Dies wollen die Colorados aber verhindern, denn in diesem Falle stünden auch andere Regelungen im Wahlgesetz auf dem Prüfstand, die die konservative Partei bevorteilen. Die Kampagne für die Möglichkeit einer Wiederwahl wird aber auch von Abgeordneten der linken Frente Guasu (Breite Front) unterstützt. Auch der ehemalige Präsident Fernando Lugo will für die allgemeinen Wahlen im April 2018 erneut als Staatschef kandidieren, was die derzeitige Verfassung verhindert. Seine Amtszeit von 2008 bis 2012 war die einzige Unter­brechung der Herrschaft der Colorados seit 1946. Die Opposition wird es aber kaum schaffen, bis 2018 erneut ein Bündnis zu schmieden, das die Colorados ernsthaft herausfordern könnte. Zum einen existiert neben der Frente Guasu noch das konkurrierende linke Wahlbündnis Avanza País um den Bürgermeister von Asunción, Mario Ferreiro. Zum anderen können die Colorados nur in Zusammenarbeit mit der Liberalen Partei geschlagen werden, die 2012 das umstrittene Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo mitgetragen hatte (Jungle World 27/2012). Dass Linke und Liberale zusammenfinden, ist derzeit unwahrscheinlich.

Öffentlich erklärte Cartes nie, dass er aktiv eine zweite Amtszeit anstrebe, aber er hat immer wieder bekräftigt, dass er zur Verfügung stehe, sollte »das Volk« ihn rufen.

Aber unter den Colorados sind nicht alle mit dem Kurs der Regierung einverstanden. Die Colorado-Partei besteht aus verschiedenen Gruppen, es fällt nicht immer für alle etwas vom Kuchen ab – also Posten in Partei, Verwaltung und Wirtschaft. Solche Posten verteilen zu können, ist die Geschäftsgrundlage der ­Partei. Auf der außer­ordentlichen Vollversammlung der ANR am 29. Oktober, auf der die Kampagne für den rekutu beschlossen wurde, kam es deshalb zu handfesten Auseinandersetzungen und sogar Flaschenwürfen. Der dissidente Colorado-Senator Óscar Cachito Salomón sagte der Zeitung Última Hora: »Die Cartistas sind egoistisch, sie wollen das Land für sich allein.«
Trotz dieser Streitigkeiten zeigt sich Clemente Barrios, ein Abgeordneter des Regierungslagers, zuversichtlich. »Im ganzen Land gibt es ungefähr 1,5 Millionen Colorados, wenn davon 35 Prozent unterzeichnen, erreichen wir leicht 400 000 bis 450 000 Unterschriften«, rechnete er der Zeitung La Nación ­etwas eigenwillig vor. Bis jetzt hat das Regierungslager nach eigenen Angaben etwa 200 000 Unterschriften zusammengebracht. »Der Präsident hat nicht gelogen, es ist das Volk, das die Wiederwahl will«, sagte Barrios.
Die weitverzweigten Klientelnetzwerke der Colorados helfen bei der Beschaffung der benötigten Stimmen. Im jüngst erschienenen Jahresbericht 2016 der NGO Koordination für Menschenrechte Paraguay (CODEHUPY) heißt es, dass sich Cartes’ Regierung 2016 gewandelt habe: Habe er nach seinem Regierungsantritt 2013 vor allem mit einem Kabinett aus Technokraten und verbündeten Unternehmern regiert, setze er seit dem vergangenen Jahr verstärkt auf Bündnisse mit den Anführern der traditionellen Colorado-Clans. Die nutzen nun ihren Einfluss in Wirtschaft und Verwaltung, um Unterschriften zu sammeln. In den Zeitungen ABC und Última Hora, die eher den abweichenden Colorados nahestehen, häufen sich Berichte darüber, wie Angestellte von ihren Chefs genötigt werden, für den rekutu zu unterschreiben. In einer ­Sicherheitsfirma sollen die Angestellten angewiesen worden sein, zehn Unterschriften zu sammeln, ansonsten würden sie entlassen. In Krankenhäusern sollen Angestellte darauf hingewiesen worden sein, dass ihre Verträge nicht verlängert würden, sollten sie sich nicht dem Volksbegehren anschließen.
In der Zeitung La Nación, die Sarah Cartes, der Schwester des Präsidenten, gehört, hat das Regierungslager Raum, derartige Vorwürfe zurückzuweisen. Zu den Vorwürfen, Krankenhausangestellte würden unter Druck gesetzt, ­sagte der Gesundheitsminister Antonio Barrios: »Alles Lüge, es gibt nicht eine konkrete Anschuldigung. Sollen sie doch zur Staatsanwaltschaft gehen und die Leute anzeigen, die sie bedrohen!« Die öffentlichen Angestellten, die sich unter Druck gesetzt fühlen, ließ der Kabinettschef von Cartes, Juan Carlos López Moreira, über La Nación wissen: »Sie können solchen Druck denunzieren, wo sie wollen, bei der Presse, beim Antikorruptionssekretariat, alle Wege stehen frei.«
In dem kleinen Land Paraguay hätte es natürlich Folgen haben, wenn ein Angestellter einer staatlichen Institution seinen Vorgesetzten beim Antikor­ruptionssekretariat anzeigt, weil der ihn nötigt, seine Unterschrift für die ­Wiederwahl zu geben. Im Jahresbericht von CODEHUPY heißt es, in Paraguay sei die Korruption allgegenwärtig. Posten in Justiz, Verwaltung und vielen Wirtschaftsunternehmen werden über die Klientelnetzwerke der Colorados vergeben. Bei den Studentenprotesten vergangenes Jahr ging es darum, dass Absolventen kaum eine Chance auf eine Anstellung haben, wenn sie nicht bei den Colorados sind. Der »Ruf des Volkes« nach einer zweiten Amtszeit von Cartes ist also mehr als zweifelhaft: Es sieht so aus, als ob diejenigen, die nicht nach Cartes rufen, schlechte Karten in Paraguay haben.