Das Herz bleibt rot

Ein Jahr wie eine einzige Nackenschelle. Ein Jahr, das schon zum Meme des Grauens wurde, bevor es zu Ende ist. Ein Jahr, in dem alle und alles starben: Ikonen, Gewissheiten, Hoffnungen, Träume. Ein Jahr, das gezeigt hat, was man lange nicht wahrhaben wollte, was man vergraben, ignoriert, ausgeblendet hat. Immer in der Hoffnung, dass es nicht auffällt, dass es vielleicht weggeht, wenn man nur ganz fest die Augen und die Seele schließt, dieaceigentlich die ganze Zeit schrecklich laut die Wahrheit schreit. So laut, dass sie heiser geworden ist, krank, wütend. Und plötzlich kommt das Ignorieren all der Missstände an die Grenze des Erträglichen. Das, was wirklich ist, bricht sich gnadenlos Bahn und stellt nicht alles auf den Kopf, nein, es verteilt Kopfschüsse. Die Wut, die Angst, die Feigheit, die so lange belächelt wurden, bekommen plötzlich Gestalt und Zugang zur Atombombe. Sie heißen Brexit und Donald Trump, AfD und Friedensbringer Assad. Postfaktisch nennt man das dann. Oder gibt den Linken die Schuld. Oder den Frauen. Besonders den Frauen. Immer aber denen, die es wagen, die Welt ein bisschen besser machen zu wollen.
2016 also hat sich gezeigt, dass Ignorieren und ein blindes Vertrauen in ein »Weiter so« nicht funktionieren. Eine Binsenweisheit, möchte man glauben. Eigentlich. Denn 2017 wird es ein Weiter-so-passt-schon geben. Angela Merkel wird an ihrer Politik festhalten, die CSU einhegen wollen, das Abkommen mit Erdoğan aufrechterhalten, die konservative Mitte, die so gerne mit den Schmuddelkindern von der AfD spielt, bei Laune halten. Sie wird an der »schwarzen Null« festhalten und die Reichen weiter reich sein lassen. Der kommende Bundestagswahlkampf wird zwar unangenehm, aber wenn Merkel am Ende vom Parlament wieder zur Bundeskanzlerin gewählt wird, dann wird dies als Sieg der Vernunft verkauft, als Sieg über die Rechten, als Sieg der Anständigen. Zugleich wird die Austeritätspolitik Europa weiter an den Rand treiben. Das Regime Schäuble wird Griechenland weiter malträtieren, während die Grünen und die SPD lieber mit Merkel koalieren, als auf eine neue linke Mehrheit zu setzen. Manche in der Linkspartei dagegen möchten lieber Revolution spielen. Und das alles, während die Rechten immer rechter und mächtiger werden.
2017 wird ein anderes Jahr. Ein Jahr nach 2016. Ein Jahr, in dem der Präsident der Vereinigten Staaten lieber eine Zeitung auf Twitter anpöbelt, als die Sicherheitsbriefings zu Syrien zu lesen. 2017 wird ein Jahr, in dem vielleicht die erste Frau und Rechtspopulistin Präsidentin Frankreichs wird. 2017 wird aber auch ein Jahr, in dem Bob Dylan den Nobelpreis schon gewonnen hat und das meistgenutzte Emoticon wieder das rote Herz sein wird. Vielleicht wohnt jeder Nackenschelle ja tatsächlich ein Anfang inne.