Die Arbeitsbedingungen auf dem akademischen Arbeitsmarkt

Der Muff der Exzellenz

Die Beschäftigungsbedingungen im deutschen Hochschulwesen sind miserabel. Persönliche Abhängigkeiten und ein harter Konkurrenz­kampf prägen das akademische Berufsleben. Es gibt sanfte Ansätze von Widerstand.

Claudia W.* lebt als Privatdozentin gelegentlich von Hartz IV und dem Einkommen ihres Partners. Rolf F.* schreibt einen Forschungsantrag nach dem anderen, um seine Stelle zu sichern. Petra G.* ist nach vielen Mühen und Sackgassen aus der Wissenschaft ausgestiegen und arbeitet nun als angestellte Lehrerin. Seit mehreren Jahren sind die prekären Beschäftigungsverhältnisse an den deutschen Hochschulen ein beliebtes Feuilletonthema. Man ist sich, abgesehen von einigen unbeirrbaren Neoliberalen und den Wächtern über die »schwarze Null«, auch weitgehend einig, dass die Zustände mindestens nicht in Ordnung, wenn nicht gar skandalös sind. Die Mehrheit der im Universitätssystem um Stellen Konkurrierenden hat keine Aussicht auf einen dauerhaften Verbleib. Wer sich dennoch darin hält, ist meist mit extremer Unsicherheit konfrontiert. Vollzeitstellen sind die Ausnahme, Teilzeitarbeit ist hingegen die Regel. Sogar Professuren betrifft dies schon. Etwa 80 Prozent der vorhandenen Stellen sind befristet. Die Hälfte der Beschäftigten hat Verträge mit einer Laufzeit von höchstens einem Jahr, nur elf Prozent der Verträge haben Laufzeiten von zwei Jahren oder mehr.

Sozialversicherungspflichtige Stellen werden durch Stipendien und Preise ersetzt. Unbezahlte Arbeit ist in solchen Zahlen gar nicht erst abgebildet: unentgeltliche Lehraufträge, die Titellehre der Privatdozenten, das völlig selbstverständliche Weiterarbeiten nach Feierabend und am Wochenende, die Arbeit an Anträgen für das nächste Projekt während der Arbeitslosigkeit, das Füllen der Lücken in der Lehre durch Drittmittelbeschäftigte. Das deutsche Hochschulsystem ist noch halbwegs leistungsfähig, weil es einen Großteil seiner Beschäftigten extrem ausbeutet. Für die prekären Akademikerinnen und Akademiker bedeutet das wie für ihre Pendants in der freien Bildungs- und Kulturarbeit eine immense Unsicherheit, kaum Planbarkeit, Entgrenzung von Arbeit und Freizeit sowie schlechte Altersvorsorge. In diesem K.O.-Wettbewerb kann nur bestehen, wer über gute Netzwerke sowie soziale Unterstützung verfügt. Es ist wenig überraschend, dass in dem System Männer größere Chancen haben, die schier endlose akademische Adoleszenzphase durchzuhalten, in der man als »Nachwuchs« infantilisiert wird. Dass die Situation sich heute so darstellt, ist kein Zufall, sondern das gewollte Ergebnis der Hochschulpolitik. Den neoliberalen und New-Public-Management-Dogmen gemäß soll die Konkurrenz Exzellenz entstehen lassen. Die Exzellenzstrategie mit ihrem Anliegen, »vertikale Differenzierung« zwischen den Hochschulen zu erreichen – viel Geld für wenige Spitzenunis und Brosamen für den Rest –, steht symptomatisch für dieses ökonomische Denken. Marktwirtschaftlich ist diese Situation im Übrigen nicht. Immer wieder haben Hochschulforscher darauf hingewiesen, dass es sich beim akademischen Arbeits- um einen Quasimarkt handelt. Angebot und Nachfrage werden im Wesentlichen vom selben Akteur bestimmt: dem Staat.

Die Folgen für die Wissenschaft sind paradox. Statt der angestrebten Exzellenz hat der Wettbewerb ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem Wissenschaft simuliert wird. Um das nächste Audit zu bestehen oder beim internationalen Hochschulranking gut abzuschneiden, zählen nicht Inhalt, empirische Substanz, theoretische Komplexität, fundierte Kritik und gute Lehre. Nein, die allerorten für Mittelzuteilung und Geltung wichtigen Kennziffern sollen erreicht werden. Studierendenzahlen, veröffentlichte Publikationen, möglichst hohe Impact Factors und eingeworbene Drittmittel sind die Währung, die Kritik und wissenschaftliche Rationalität zerstören. Forschungsprojekte orientieren sich immer mehr an Ausschreibungen der Mittelgeber. Wenn die Ausschreibung verlangt, dass sieben Länder beteiligt sein müssen, werden eben sieben Länder beteiligt, ob es sinnvoll ist oder nicht. Angesichts relativ weit gehender medialer Einmütigkeit über die negativen Aspekte dieser Situation und der immensen Belastungen, die damit für die prekär Beschäftigten einhergehen, ist es verwunderlich, dass sich Protest nur zaghaft äußert und nicht etwa streikende Beschäftigten aus dem wissenschaftlichen Mittelbau Rektorate besetzen.

Die objektiven Bedingungen und die Subjektivität der darin Handelnden ergänzen einander unheilvoll. Zwei Aspekte sind besonders wichtig: Eine der Strukturbedingungen ist die beschriebene extreme Konkurrenz im »akademischen Kapitalismus«. Diese trifft, zweitens, auf weiterbestehende, durch die Konkurrenz möglicherweise noch verschärfte neofeudale Abhängigkeiten. Denn die Vorgesetzten sind zugleich Mentoren oder Betreuer von Qualifikationsarbeiten – Gatekeeper bei der Initiation in die heiligen Gefilde der Wissenschaft. Die Beschäftigten sind abhängig und zugleich prekär-mobil. Kurze Verweildauern an Einrichtungen behindern die Mitarbeit in Gremien und den Aufbau solidarischer Beziehungen. Die Konkurrenz um Sichtbarkeit und Ruhm trägt zur Entsolidarisierung bei. Entsprechend ist der gewerkschaftliche Organisierungsgrad äußerst niedrig. Zudem hält das System zumindest am Anfang der Karriere noch eine Vielzahl von Verlockungen bereit: Stipendien und Preise, symbolische Anerkennung und das Gefühl, einer sinnvollen, erfüllenden Tätigkeit nachzugehen, die durchaus auch einige Freiheiten verspricht. Erst nach der Graduierten- und Postdoktorandenphase wird es eng. Die Zahl der Professuren ist im Verhältnis zu befristeten Stellen rückläufig. Die Anspüche der jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden daher sehr niedrig. Jeder kleine Lehrauftrag erscheint höchst erstrebenswert. Im Wissen um die eigene Austauschbarkeit sind sie zu manch faulem Kompromiss bereit.

Die Konfliktfähigkeit hingegen ist gering ausgeprägt. Mangelnde Organisierung, geringe Solidaritätserfahrungen, selbstunternehmerische Subjektivität und informelle Beschäftigungsverhältnisse sind keine gute Basis, um kollektiv für die eigenen Interessen einzustehen. Viele fürchten so, nur ihren eigenen Marktwert zu verschlechtern. Das kreuzbrave akademische Prekariat jammert gern, doch selbst niedrigstschwellige Formen des Engagements sind den meisten dann doch zu aufwendig. Dieser Strukturdualismus verbindet sich mit dem bekannten wenig ausgeprägten und wenig konfrontativen deutschen Protestverhalten. Von etwas resoluterem, entschlossenem Widerstand, den Wissensarbeiter nicht als verkannte Genies, sondern als Produzenten akademischer Waren führen könnten, sind sie weit entfernt. So gilt es also zunächst, auf das Bestehende und sich Entwickelnde zu schauen. Neben den seit vielen Jahren laufenden gewerkschaftlichen Kampagnen wie dem »Templiner Manifest« der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die zumindest zur Änderung der Diskurshoheit und zu kleinen symbolischen Verbesserungen im Wissenschaftszeitvertragsgesetz beigetragen haben, begibt sich das akademische Prekariat auf die Suche nach neuen Möglichkeiten der Organisierung. In mehreren Fachgesellschaften beginnen sich Mittelbau und Nachwuchs zu organisieren. An einigen Hochschulen haben sich neue Mittelbauinitiativen gegründet. Und im Januar soll während eines Kongresses in Leipzig ein bundesweites »Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft« als neue Organisation für die bisher repräsentanzlose Gruppe gegründet werden. Am weitesten vorangekommen ist bisher die lokale Gewerkschaftsinitiative »unter_bau« der Universität Frankfurt am Main, die gleich den gesamten akademischen Standesdünkel hinter sich lassen will, um alle Beschäftigtengruppen unterhalb der Professur in solidarischen lokalen Kämpfen zu einen. Es geht um deutlich mehr als die Interessen einer organisationsschwachen Beschäftigtengruppe. Es geht darum, welche Freiheiten für unabhängiges und kritisches Denken jenseits der Verwertbarkeit von Wissen an deutschen Hochschulen noch erhalten werden können. * Die vollständigen Namen sind der Redaktion bekannt.