»Théo und Hugo« ist der vielleicht verrückteste Liebesfilm des Jahres

Bei der Liebe verliebt

»Théo und Hugo« ist der vielleicht verrückteste Liebesfilm des Jahres.

Die romantische Liebe will immer neu und in den schillerndsten Farben gemalt werden, sie ist Stütze des Individuums und Kern einer Gesellschaft, die nicht mehr richtig an sich glaubt und was anderes noch nicht gefunden hat.
Die Produktion der Sicht auf die Liebe obliegt dem Kulturbetrieb. Wie oft scheitert sie, herrscht doch die ­serielle Monogamie. Wenig Verantwortung für die Gefühle anderer übernehmen und dennoch größtmögliches Vertrauen herstellen, das soll man damit unter einen Hut kriegen.
Dass die Liebe dennoch funktioniert, will das Kino gern beweisen – und entwirft die abenteuerlichsten Konstellationen. Je differenzierter und charmanter, desto überzeugender. Es gab schon der Liebe verfallene Zeichentrickautos und auch die Liaison zwischen Müllroboter und iPhone-Android.
Auch Menschen müssen sich verlieben. »Sagt mir mal, was der verrückteste Liebesfilm dieses Jahr ist«, habe ich im Februar bei der Sektion Panorama der Berliner Filmfestspiele nachgefragt. So was wie 2012, Cheryl Dunyes »Mommy Is Coming«, wo 300 Menschen den Saal so schnell verließen. Lesben-SM mit Eltern­besuch. Oder frühere Bruce-LaBruce-Werke. Die Antwort bei der Berlinale lautete: »Versuch’s mal mit ›Théo und Hugo‹.«
Das ist ein Film von Olivier Ducastel und Jacques Martineau, die von sich sagen: »All unsere Filme handeln von Liebe. Aber diesmal wollten wir an den Ursprung zurück.«
Da fängt der Film auch an. Es ist nicht so sehr das Personal – zwei junge Schwule, die fürs interessante Ambiente sorgen –, sondern die Art und Weise des Kennenlernens, die leicht ins Absurde weist. Théo (Geoffrey Couët) und Hugo (François Nambot) – Namen wie zwei Herrendüfte – lernen sich im Sexclub mehr oder weniger bei einer Gangbang-Party kennen. Die Männer sind weitestgehend nackt, bis auf Schuhe und Socken, in denen sie das Handy aufbewahren. Théo und Hugo sind ­jeweils anderweitig beschäftigt, halten aber Blickkontakt. So schön finden sie sich gegenseitig, dass Hugo den Kondomautomaten geflissentlich übersieht. Es kommt, wozu es kommen muss: zum ungeschützten Geschlechtsverkehr.
Man sieht die beiden Verliebten Schwanz an Schwanz durchs morgendliche Paris cruisen – bis der Verrat zufällig auffliegt: Hugo hatte eben nur Théo im Kopf – wörtlich, aber nicht die letzte Aidsaufklärungsbroschüre. Verzweifelt stürmt der junge Mann in die Akutsprechstunde, wo eine junge Ärztin ihm und den Zuschauern erklärt, was man macht, wenn man sich mit HIV infiziert hat. Denn Théo ist positiv.
Dreimal Blutcheck am Tag und jede Menge fieser Tabletten. Die Liebe der beiden ist im Eiltempo gealtert – der Meckerfaktor hoch wie beim ­alten Ehepaar. Konntest du nicht aufpassen? Ach, ich war mit den Gedanken woanders. So könnte es noch lange weitergehen.
Aber die beiden Liebesspezialisten hinter der Kamera wissen auch: Die Zeit drängt, bald sind Nacht und Film zu Ende! Die Regisseure führen die liebenden Streitenden ans Ufer der Seine, man zeigt sich Wohnung und Geschlechtsorgan, dann graut der Morgen und sie wandeln in die aufgehende Sonne und die Seelen haben sich beruhigt.
Die Katastrophe führt ins Vertrauen, jetzt wird an der Beziehung gearbeitet. Eine Verharmlosung der Krankheit? Tja, das kann man so oder so sehen. Man mag sie kitschig finden oder als Komödie betrachten, die ­totale Liebe – starke Gefühle sind ja öfter mal was mit Klischee.
Auch unsere beiden jungen Freunde können es kaum glauben: »Als wir miteinander gefickt haben, haben wir Liebe erschaffen«, lautet ihr ­Fazit. Beziehungsweise: »Wir haben was für den Weltfrieden getan.«
Ja, das haben »Théo und Hugo« wirklich. Prima Kino!
Théo und Hugo (F 2015). Regie: Olivier ­Ducastel, Jacques Martineau. Darsteller: Geoffrey Couët, François Nambot. Kinostart: 20. Oktober