Die Afrika-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel

Abwehr in Afrika

Schwerpunkt der Afrika-Rundreise Angela Merkels war die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit Deutschlands mit den afrikanischen Staaten. Dass Afrika plötzlich wieder größere politische Bedeutung zugeschrieben wird, hat allerdings noch andere Gründe.

So viel diplomatische Aufmerksamkeit hatte Afrika nicht einmal während der Ebola-Krise. Ein regelrechter Besuchsmarathon spielte sich in den vergangenen Wochen zwischen Berlin und dem afrikanischen Kontinent ab.
Den Grund nannte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) in ungewohnter Deutlichkeit: Wenn sich nichts ändere, drohe Europa eine dramatische Migration aus Afrika. Worin genau das Drama bestehe, ließ Müller offen. Dafür forderte er einen neuen »Marshall-Plan für Afrika«, der unter anderem einem »neuen Neokolonialismus« großer internationaler Investoren Einhalt gebieten solle. Dieser nämlich beute »Menschen und Ressourcen aus« und arbeite dabei »mit korrupten Minderheiten und Eliten in einigen Ländern zusammen«. Gemünzt waren die Äußerungen auf China.
Tatsächlich sind die EU und die Bundesregierung entschlossener denn je, die Regierungen Afrikas dazu zu bringen, Europa die Flüchtlinge und Migranten abzunehmen. Da sind selbst international gesuchte Kriegsverbrecher wie Sudans Präsident Omar al-Bashir als Partner recht.
Kurz nach Müllers Rede brach Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer drei­tägigen Reise nach Niger, Mali und Äthiopien auf. Das letzte Mal war sie 2011 nach Afrika gereist. »Ich glaube, dass wir uns sehr viel stärker noch für die Geschicke Afrikas interessieren müssen«, sagte sie am vergangenen Samstag.
Niger, nur wenige Flugstunden von Berlin entfernt, doch sonst eher abseits der Aufmerksamkeit, stellte Merkel umfassende Hilfe »im Kampf gegen die illegale Migration« in Aussicht. Derzeit ist die Trans-Sahara-Route über die nigrische Wüstenstadt Agadez der wichtigste Weg für subsaharische Migration in Richtung Libyen. Das soll sich ändern: Deutschland werde die nigrische Armee mit LKW und Kommunikationsausrüstung unterstützen, sagte Merkel in der Hauptstadt Niamey nach einem Treffen mit Präsident Mahamadou Issoufou. Außerdem sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden, für »Menschen, die derzeit vom Menschenhandel leben«. Präsident Issoufou mochte die günstige Gelegenheit nicht verstreichen lassen und forderte prompt mehr Geld. Ein kleiner Anteil aus dem mit 1,8 Milliarden Euro aus­gestatteten EU-Treuhandfonds sei zu wenig: »Wir brauchen eine massive ­Unterstützung für unser Land.« Eine Milliarde, stelle er sich vor.
Merkel legte immerhin zehn Millionen Euro für die Armee und 17 Millionen Euro für Arbeitsmarktförderung auf den Tisch. Ohne Entwicklung könne von den Menschen nicht erwartet werden, sich »dem Kampf gegen die illegale Migration zu widmen«.
In Äthiopien, wo seit sechs Monaten der Ausnahmezustand herrscht und Ministerpräsident Hailemariam Desalegn mit äußerster Brutalität gegen ­Regimegegner vorgeht, bot Merkel eine Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium zur Ausbildung der äthiopischen Polizei an: »Damit die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt wird und nicht so viele Menschen umkommen bei solchen Ausschrei­tungen.« Desalegn ließ sie wissen, die Demokratie in Äthiopien sei »noch nicht flügge«.
Direkt nach ihrer Rückkehr empfing sie zuerst den Präsidenten des Tschad, Idriss Deby Itno. Der durfte sich über 8,9 Millionen Euro freuen – »zusätzlich zu dem Engagement, was wir heute schon haben«, sagte Merkel, um »zu helfen bei Wasser- und Ernährungsproblemen«. Schließlich habe der Tschad »mehr als 700 000 Flüchtlinge aus anderen Ländern aufgenommen«.
Deby war noch nicht wieder zu Hause, da landete schon Nigerias Präsident Muhammadu Buhari, der dafür sogar den Auftakt des Gipfels der Afrikanischen Union im togoische Lomé verpasste. 10 200 Nigerianer haben in den ersten neun Monaten des Jahres einen Asylantrag gestellt, mehr als doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2015. Die Anerkennungsrate liege bei acht Prozent, sagte Merkel, das beweise, dass die meisten Nigerianer aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kämen. Auch Nigeria sagte Merkel Geld zu. Die Gegenleistung wird prompt erwartet: Die EU werde, so sagte Merkel, noch im Oktober Verhandlungen mit Nigeria über ein Migrationsabkommen aufnehmen. »Wir werden auch über ein Rückführungsabkommen sprechen.« Tatsächlich ist Nigeria, genau wie alle anderen Staaten, völkerrechtlich ohnehin verpflichtet, seine Bürger zurückzunehmen. Doch zum einen hat die nigerianische Botschaft in der Vergangenheit offenbar immer wieder die Ausstellung von Pässen ­verzögert. Zum anderen muss die Regierung den Abschiebeflügen der EU-Grenzschutzagentur Frontex die Landung ausdrücklich erlauben. Da ist Deutschland auf Kooperationswilligkeit angewiesen. Und so nahm Merkel auch unwidersprochen hin, dass Buhari in ihrem Kanzleramt in sexistischer Weise über seine eigene Ehefrau sprach. Als ein Reporter ihn nach deren Drohung fragte, Buhari beim nächsten Mal nicht mehr zu wählen, antwortete der: »Ich weiß jetzt nicht genau, welcher Partei meine Frau angehört. Aber eigentlich gehört sie ja doch in meine Küche und in mein Wohnzimmer und auch in die anderen Zimmer in meinem Haus.«
Auch die EU zeigt sich rege in Sachen Beziehungspflege südlich des Mittelmeers. Für den EU-Gipfel am Donnerstag setzte sie, einmal mehr, die Abwehr von Flüchtlingen auf die Tagesordnung, kurz davor verdoppelte sie ihre Finanzhilfe für Tunesien im kommenden Jahr: Das nordafrikanische Land soll 2017 bis zu 300 Millionen Euro bekommen, dazu ein weiteres Kreditprogramm der EU mit 500 Millionen. Und dabei soll es nicht bleiben: Ein »erhöhtes Finanzierungsniveau bis 2020« könne es geben, wenn die angekündigten Reformen greifen. Die EU will unbedingt verhindern, dass sich neben Libyen ein weiteres Einfallstor für Flüchtlinge Richtung Mittelmeer öffnet.
Und auch weiterhin wird Afrika wohl auf der politischen Agenda einen ungewohnt hohen Platz einnehmen: Der Kontinent soll Schwerpunkt der deutschen G20-Präsidentschaft im kommenden Jahr werden. In Addis Abeba kündigte Merkel am Dienstag eine hochrangige Afrika-Konferenz in Berlin für Mitte 2017 an – und auch beim G20-Gipfel in Hamburg sollen Vertreter von afrikanischen Staaten mit dabei sein.