Die mediale Darstellung von Terroranschlägen und Amokläufen

Wie Amokläufe medial inszeniert werden

Die Gewalttaten von München, Ansbach und Würzburg haben die Debatte, wie Journalisten angemessen über Terror und Amok berichten sollen, neu entfacht.

»Spiegel-Leser wissen mehr«, lautete bekanntlich jahrzehntelang ein Reklamespruch des Magazins aus Hamburg. Den Slogan haben die Verantwortlichen zwar Anfang 2015 eingemottet, aber für die Ausgabe, die nach dem neunfachen Mord von München erschien, traf er durchaus zu. Über die Waffe des Täters heißt es dort: »Die Wahl fiel auf eine Glock 17. Mit der Glock können selbst ungeübte Schützen gut umgehen, weil sie wenig wiegt und sich der Abzug leicht bedienen lässt.« Das könnte ein »ungeübter Schütze«, der einen Massenmord plant, durchaus als Inspiration verstehen.
Der Spiegel halte sich »an keine Grenzen«, schimpfte hernach das Branchenblatt W&V. Zumal die Tatwaffe »auch optisch verherrlicht« und der »Zugang zum Darknet« ausführlich beschrieben werde. Es sind Spiegel-Formulierungen wie jene über die Waffe von David S., die Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften in Winterthur, kritisiert. Stets sollten »die Folgen einer Information bedacht werden«, meint er. »Besteht etwa die Gefahr der Nachahmung? Was bedeutet dies für die Angehörigen?«
Nach den Gewalttaten von München, Ansbach und Würzburg wird mehr denn je darüber debattiert, wie man angemessen über Terror und Amok berichtet. Wie viel darf, soll und muss man schreiben und zeigen? Ab wann begibt man sich auf das Feld der »Täter-PR«? Wie geht man damit um, dass man nicht nicht berichten kann? In kaum einem Beitrag zu diesem Thema fehlt das Wort »Dilemma«. HierzuLande hat unter anderem die B.Z. am Sonntag einen Aufmerksamkeitstreffer gelandet, als sie nach dem neunfach-Mord von München auf Seite eins mit der Schlagzeile »Dein Foto kommt nicht auf unseren Titel!« aufmachte. Eine neue Dynamik bekam die Diskussion kurz darauf, als mehrere französische Medien ankündigten, keine Fotos mehr von Terroristen zu veröffentlichen. Man wolle sich nicht damit an der »posthumen Glorifizierung« der Täter beteiligen, sagte etwa Jérôme Fenoglio, Chefredakteur von Le Monde.
Bemerkenswert ist dabei, dass sich auch der französische Nachrichtensender BFMTV dieser Entscheidung angeschlossen hat. Der erreicht, auch dank seiner sensationslüsternen Berichterstattung »mit seinen zehn Millionen Zuschauern am Tag einen größeren Marktanteil in Frankreich als jeder andere Nachrichtensender weltweit«, wie es im »Jahrbuch Fernsehen 2016« heißt. International sorgte BFMTV im Januar 2015 für Aufsehen beziehungsweise Empörung, als Journalisten des Senders am Tag der Anschläge von Paris mit Terroristen telefonierten. Valérie Robert, die an der Universität Sorbonne Nouvelle den Studiengang Deutsch-französischer Journalismus leitet, sagt, BFMTV sei »eine Art französische Bild-Zeitung in bewegten Bildern.« Ausgerechnet dieser Kanal proklamiert nun auf seiner Website: »Wir wollen kein Terroristenalbum erstellen.«
In der Schweiz schloss sich unter anderem der Tages-Anzeiger dieser Position an: »Wie bisher werden wir keine Dokumente von Terrororganisationen abbilden. Die Namen der Täter werden wir abkürzen. Wir sind uns bewusst, dass unser Einfluss hier sehr begrenzt ist. Wenn der Tages-Anzeiger auf Bilder und Videos von Tätern verzichtet, verschwinden diese nicht einfach. Sie werden weiterhin tausendfach im Netz zu sehen sein. Wo es uns aber möglich ist, wollen wir unsere publizistische Verantwortung wahrnehmen.«
Mit dem letzten Satz bezieht sich die Zeitung auf einige – allzu zynische – Zeitgenossen im Medienbetrieb, die solche Formen der Selbst­beschränkung im Prinzip ehrenwert finden, im gleichen Atemzug aber betonen, sie seien sinnlos. Mit derselben Argumentation könnte man indes in jedem Bereich des mensch­lichen Handelns vernünftige oder moralische Entscheidungen für sinnlos erklären mit der Begründung, dass ihre Wirkung angesichts der Allgegenwart von Unvernunft und Unmoral verpuffe.
Manche Journalisten, denen es, anders als etwa den Kollegen vom Tages-Anzeiger, nicht so sehr darum geht, eine Haltung zum Ausdruck zu bringen, argumentieren gern auf einer formal-rechtlichen Ebene. Vinzenz Wyss wendet dagegen ein: »Die Tatsache, dass Untersuchungsbehörden oder Richter den vollen Namen eines Beschuldigten nennen, entbindet Journalisten nicht von der Entscheidung, ob es nun richtig oder falsch sei, den vollen Namen zu nennen.« Das Argument, »ein voller Name sei ja auch im Internet zu finden«, zähle nicht.
Cordula Meyer, stellvertretende Vorsitzende der Journalistenorganisation Netzwerk Recherche und Deutschland-Ressortchefin des Spiegel, vertritt eine andere Position als Wyss. Sie schreibt: »Auf Fotos und Namen grundsätzlich zu verzichten, zeigt eine paternalistische Haltung: Wer so entscheidet, traut der Öffentlichkeit einen angemessenen Umgang mit diesen Informationen nicht zu.« Tatsächlich ist es aber so, dass Medien solche Entscheidungen deshalb treffen, weil sie wissen, dass eine verschwindend kleine, aber tendenziell gefährliche Gruppe mit diesen Informationen nicht »angemessen« umzugehen weiß.
Viel Resonanz erfahren hat hierzulande das kürzlich erschienene Buch »Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus – zur medienpsychologischen Wirkung des Journalismus bei exzessiver Gewalt«. Die Beiträge für den von dem Kriminologen Frank J. Robertz und dem Medienwissenschaftler Robert Kahr herausgegebenen Sammelband, die sich unter anderem mit Taten in den USA, Finnland und Australien befassen, entstanden bereits vor einigen Monaten. Aufgrund der – zumindest aus der westlichen und speziell deutschen Perspektive – ungewöhnlichen Ballung von Terror- und Amoktaten in der jüngeren Vergangenheit haben sie an Aktualität gewonnen. Die dort veröffentlichenden Fachleute betonen, dass Zurückhaltung in der Berichterstattung das beste Mittel sei. Herausgeber Kahr weist unter anderem darauf hin, wie fatal es sei, dass einige Medien den norwegischen Massenmörder Anders Breivik als »eine Art abgrundtief bösen Rockstar« charakterisierten.
Wie eine bestimmte Art von allzu ausführlicher Berichterstattung wirkt, wird im Buch anhand einer Äußerung eines 18jährigen verdeutlicht, der 2006 im münsterländischen Emsdetten einen Amoklauf an seiner früheren Realschule verübte: »Es ist erschreckend, wie ähnlich Eric mir war.« Gemeint war einer der Beteiligten des High-School-Massakers im amerikanischen Columbine von 17 Jahren. »Manchmal«, schrieb der Täter von Emsdetten, »kommt es mir so vor, als würde ich sein Leben noch einmal leben.«