Die rechte Achse von Thüringen nach Niedersachsen

Angriff auf die Kinderteller

Der rechtsextreme Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen pflegt Verbindungen zu NPD, »Die Rechte« und zur »Identitären Bewegung«. Sein großes Ziel: Fuß zu fassen im »roten Göttingen«.

Die niedersächsische Universitätsstadt Göttingen gilt traditionell als eine linke Bastion. Seit autonome Antifaschisten in den neunziger Jahren erfolgreich gegen Neonazis vorgegangen waren, ist es diesen nicht gelungen – von rechten Studentenverbindungen einmal abgesehen –, erneut in der Stadt Fuß zu fassen. Seit einigen Monaten aber scheint das extrem rechte Milieu den Mythos des »roten Göttingen« wieder demontieren zu wollen.
Ausschlaggebend ist dabei die Gründung und Etablierung des Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen (FKTN). Mit dieser Gruppe versuchten altbekannte und neue Nazis aus der Region ab November 2015, an die allgemeine rechtspopulistische bis rassistische Stimmung im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise anzuschließen. Unter dem Slogan »Ein Licht für Deutschland« hielten sie wöchentliche Kundgebungen in südniedersächsischen Kleinstädten sowie im angrenzenden thüringischen Eichsfeld ab. Dass sie sich damit trotz eines zunächst betont bürgerlichen Anstrichs vornehmlich an ein rechtsextremes Publikum wandten, wurde angesichts des völkisch-nationalistischen Programms der Veranstaltungen schnell deutlich, wenn auch die Organisatoren stets davon sprachen, offen für alle zu sein (Jungle World 2/2016). Da sich der Zulauf von außerhalb der üblichen Kreise aber in Grenzen hielt, bemühen sich die Mitglieder des FKTN längst nicht mehr, den neonazistischen Charakter des Zusammenschlusses zu verschleiern.
Mit dem öffentlichen Auftreten wandelte sich zugleich die Strategie des FKTN. Auf den zahlreichen Veranstaltungen des im Frühjahr ausgerufenen Kundgebungsmarathons versammelte die Gruppe neben ihren Mitgliedern immer mehr unorganisierte Neonazis, die zum Teil offensiv die Auseinandersetzung mit linken Gegendemonstranten suchten. Mehreren mehr oder weniger erfolgreichen Aufmarschversuchen in der Region folgte die erste zaghafte Invasion Göttingens, als sich Ende Mai etwa 50 Anhänger des FKTN von einem gewaltigen Polizeiaufgebot geschützt zu einer Kundgebung unter dem Motto »Deutschland eine Zukunft – linker Gewalt entgegentreten« zusammenfanden. Dass zu diesem Termin auch auswärtige Nazis angereist waren – darunter Michael Brück, ein Dortmunder Funktionär der Partei »Die Rechte« –, offenbarte nicht zuletzt die intensiven Kontakte des Freundeskreises ins militante Milieu der extremen Rechten. Unterstützung bekundete der FKTN außerdem für die »Ein Prozent«-Kampagne der »Identitären Bewegung«.
Zur politischen Einordnung des dubiosen Freundeskreises reicht überdies bereits ein grober Blick auf seine Gästeliste. Regelmäßiger Redner ist etwa Mario Messerschmidt, bekennendes Mitglied der Partei »Die Rechte« und 2008 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, nachdem er unter anderem mit einer Pumpgun auf den Betreiber einer Göttinger Bar geschossen hatte. Noch aus dem Gefängnis schrieb Messerschmidt Drohbriefe an seine politischen Widersacher. Bei Veranstaltungen des FKTN präsentiert er sich neuerdings mit einem Zitat von Goethe, das es denjenigen nahelegt, die Gegend zu verlassen, die »sich den Gesetzen nicht fügen«. Auch Thorsten Heise trat auf Veranstaltungen des Freundeskreises auf. Er betätigte sich bereits in den Neunzigern in der mittlerweile verbotenen militanten neonazistischen »Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei« (FAP), führte später mehrere »Freie Kameradschaften« an und gehört derzeit zum Bundesvorstand der NPD. Relativ neu in der Szene, aber ebenso beim FKTN zu Gast war Jan Philipp Jaenecke, der als rechtsextremer Protagonist der Göttinger Verbindungen zu unrühmlicher Bekanntheit gelangte, nachdem er einen linken Studenten gewalttätig angegriffen hatte (Jungle World 32/2015).
Führungsfigur des Zusammenschlusses ist Jens Wilke. Er tritt als Hauptredner und Anmelder der Veranstaltungen des FKTN auf und betreut außerdem dessen Facebook-Präsenz, die einen Einblick in das ideologische Gerüst der Gruppe gewährt. Neben den permanenten Klagen über »Ausländergewalt« und »Asylbetrug« arbeitet sich Wilke dort vor allem am »roten Terror« der »geisteskranken« und »sich selbst hassenden Antideutschen« ab. Sein politischer Anspruch tritt dabei immer mehr hinter eine personalisierte Auseinandersetzung mit dem Gegenüber zurück. Dass sich dieses stets vor ihm verbirgt, ist für Wilke und seinesgleichen, die sich nach einem vermeintlich ehrbaren Aufeinandertreffen zu sehnen scheinen, offenkundig schwer zu ertragen. »Feige« seien die »Kinderteller von der Möchtegern-Antifa«. Die Infantilisierung und Effeminisierung von Antifaschisten etwa als »verweichlichte, spätpubertierende Bübchen« passt gut zu Wilkes Männlichkeitskult, der sich allzu gerne als »wehrhafter« und »starker« Beschützer von »Familie, Heimat, Zukunft« inszeniert. »Nicht labern – machen«, so seine Devise.
Als Überbau für Rassismus, Hass auf Linke und Männlichkeitswahn dient Wilke dabei ein verschwörungstheoretisches Erklärungsmuster. Verantwortlich für »Umvolkung« und »Zinseszins« seien »sie« – mal ist die deutsche Regierung, mal eine diffuse politische Führungselite gemeint –, die »die ganze Welt in Schutt und Asche legen« werden. Man befinde sich bereits im Krieg, erklärt Wilke »BRD-Insassen« und »Schlafschafen«. Auch in der südniedersächsischen Provinz konnte Wilke schon die eine oder andere Verschwörung aufdecken: »Rote Schreiberlinge« stünden hinter einer Lokalzeitung und selbst die Polizei mache bisweilen gemeinsame Sache mit der Antifa.
Dass dem durchaus nicht so ist, ließ sich spätestens mit Beginn des Sommers beobachten. Bei drei rechten Kundgebungen in Göttingen fielen Polizeibeamte stellenweise durch Angriffe auf Gegendemonstranten auf. Daneben begab sich der Freundeskreis vermehrt unangekündigt in die Göttinger Innenstadt. Zudem treten Mitglieder des FKTN auf den Listen der NPD zu den kommenden Kommunalwahlen an. Am 10. September wollen sie ihren Wahlkampf mit einer Demonstration durch Göttingen beenden, wie Wilke großspurig ankündigte. Das Vorhaben könnte freilich an der Mobilisierungskraft der örtlichen Linken scheitern. Bisher jedenfalls dauerten die Besuche des FKTN in der Innenstadt nicht allzu lange. Nachdem sich Antifaschisten zum Protest zusammengefunden hatten, mussten Wilke und seine Anhänger stets unter Polizeischutz aus der Stadt eskortiert werden. Göttingen scheint noch immer kein gutes Pflaster für Neonazis zu sein.