Europäische Politiker setzen auf Protektionismus gegen die chinesische Konkurrenz

Chinesen-Bashing oder unverfälschter Wettbewerb

Im Umgang mit Konkurrenten und Investoren aus China besinnen sich Politiker in Europa und Deutschland derzeit auf einen aggressiven Protektionismus.

Konkurrenten sind selten beliebt. Solche aus China aber werden derzeit in der EU und in Deutschland offensichtlich regelrecht als Feinde wahrgenommen. So etwa vom EU-Parlament, das im vergangenen Monat mit großer Mehrheit der Volksrepublik den Status einer Marktwirtschaft verweigerte und so die bilateralen Handelsbeschränkungen noch über das Jahr 2016 hinaus verlängern will, die beim Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation WTO vor 15 Jahren für diesen Zeitraum vereinbart worden waren. Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gab auf dem G7-Gipfel im japanischen Ise-Shima die Richtung der europäischen Handelspolitik im Umgang mit dem Exportweltmeister aus Fernost für die nächste Zeit vor. »Wir haben klargemacht, dass wir unsere Schutzmechanismen im Handel ausweiten werden«, drohte er der chinesischen Regierung. Während sich der ehemalige luxemburgische Regierungschef vor allem wegen des Verlusts von Arbeitsplätzen beunruhigt zeigte – einer Studie des Washingtoner Economic Policy Institute aus dem vergangenen September zufolge könnten in der EU länder- und branchenübergreifend zwischen 1,7 und 3,5 Millionen Arbeitsplätze gefährdet sein, sollte China der Marktwirtschaftsstatus zuerkannt werden –, ging es dem Bundeswirtschaftsministerium in den vergangenen Wochen eher um industriepolitische Entwicklungen.
Den Anlass bildete die Ankündigung des chinesischen Haushaltsgerätekonzerns Midea, den Augsburger Roboterhersteller Kuka zu übernehmen. Mehr als 4,5 Milliarden Euro will sich Paul Fang, nach Angaben des Magazins Forbes der reichste Industrielle Chinas und Vorsitzender von Midea, das kosten lassen, um die »zwei hochgradig komple­mentären Unternehmen« zusammenzuführen, wie es in einem Schreiben an die Aktionäre von Kuka heißt. Die Intentionen des mit 100 000 Beschäftigten zu den größten privaten chinesischen Unternehmen gehörenden Konzerns sind wenig geheimnisvoll. Bereits seit 2011 arbeiet Midea an einer Modernisierung der eigenen Produktion durch den Einsatz von Industrierobotern. Zu diesem Zweck waren erst im März zwei Roboterfirmen im hauseigenen Innovationszentrum gegründet worden, die Industrie- und Serviceroboter vor allem für den chinesischen Markt herstellen sollen. Um sich einen der Weltmarktführer auf diesem Gebiet zu sichern, ist Midea bereit, Aktien mit einem 35prozentigen Aufschlag zu erwerben. Kein Wunder also, dass bisher kaum Kritik von Seiten des Vorstands oder der Aktionäre an den Übernahmeplänen geäußert wurde.
Die kam dafür zur Genüge aus der deutschen Politik. Als erster war der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger vorgeprescht. Kuka sei in einem strategischen Sektor tätig, der für die Digitalisierung der europäischen Indu­strie wichtig sei, und dürfe in keinem Fall nach China verkauft werden, hatte er der FAZ in einem Interview zum Thema Ende Mai mitgeteilt und für die Bildung eines Konsortiums verschiedener europäischer Hightech-­Unternehmen geworben. Ähnlich äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrer China-Reise. Die Konkretisierung war dem Bundeswirtschaftsminister vorbehalten. Zwar wolle er kein »Chinesen-Bashing« betreiben, würde sich aber »sehr darüber freuen, wenn es ein alternatives Angebot aus Deutschland oder Europa gibt, bei dem die Eigentümer die Wahl haben«, verkündete Sigmar Gabriel vor gut zwei Wochen. Pech nur, dass sich weder Siemens noch der größte innereuropäische Konkurrent von Kuka, die schweizerisch-schwedische Asea Brown Boveri Ltd. (ABB), oder die deutschen Automobilkonzerne überreden ließen.
So muss es weiterhin die Politik richten. In der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) beschlossenen Leitlinie einer »Indus­trie 4.0« spielen »Vorzeigeunternehmen« (Oettinger) beziehungsweise »Juwele« (Gabriel) wie Kuka mit seinen 12 000 Beschäftigten eine nicht unwesentliche Rolle. Dies gilt allerdings ebenso für die Volksrepublik China und ihr Programm »Made in China 2025«, das eine der wichtigsten Komponenten des gerade verabschiedeten Fünfjahresplans ist und zur Modernisierung der chinesischen Industrie beitragen soll. Als Schlüsselelemente werden darin unter anderem die »Digitalisierung der Produktion« und mit ihr die Robotik bezeichnet. Zwar kommen in China erst 36 Indus­trieroboter auf 100 000 Beschäftigte, während es in der Bundesrepublik 292 sind, aber die Automatisierung schreitet nirgendwo so schnell voran wie dort. Den Zahlen der Branchenorganisation International Federation of Robotics (IFR) zufolge wurden bereits 2014 etwa ein Viertel aller Industrieroboter nach China verkauft, im vergangenen Jahr könnten es fast 30 Prozent gewesen sein. Chinesische Unternehmen, die darin investieren, werden mit großzügigen staatliche Subventionen und Aufträgen bedacht. Chinas Präsident Xi Jinping hat für das kommende Jahrzehnt Auslandsinvestitionen in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar in strategischen Bereichen angekündigt. Es liegt auf der Hand, dass Midea unter anderem auch darauf spekuliert oder gar schon Zusagen für Gelder erhalten hat, die die teure Offerte erklären.
Diese hat zunächst die überwiegende Mehrheit der Aktionäre sowie Vorstand, Aufsichtsrat und Betriebsrat von Kuka positiv gegenüber der Übernahme durch Midea gestimmt. Selbst die Unterstützung aus der deutschen Industrie kann die Bundesregierung derzeit nicht zählen. Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), warnte zuletzt vielmehr davor, ausländische Investoren zu vertreiben: »Wenn die Chinesen hier etwas kaufen wollen, ist das ein gutes Zeichen. Das zeigt, dass wir gut unterwegs sind.« Natürlich, fügte er hinzu, müsse es für deutsche Firmen genauso leicht sein, in China Unternehmen zu erwerben wie umgekehrt. Daran mag zwar auch der Bundeswirtschaftsminister Gefallen finden, ansonsten bleibt ihm derzeit wenig anderes übrig als die Flucht in die Industriepolitik. Gabriel hat bereits mehrfach angekündigt, den Fall nach den Regeln des Außenwirtschaftsgesetzes »sehr sorgfältig« prüfen zu lassen. Das Gesetz gibt der Regierung bei sicherheitsrelevanten Firmen die Möglichkeit, einen Verkauf von mehr als einem Viertel der Unternehmensanteile ins außereuropäische Ausland zu untersagen. Dass der Verkauf aber »die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik« gefährden würde, wie es das Gesetz verlangt, wird kaum zu begründen sein.
Wenn die alten Geschütze aber nicht treffen, müssen neue her. Und so hat sich der SPD-Vorsitzende zuletzt in einem Beitrag in der Wirtschaftswoche für eine »industriepolitische Schutzklausel auf EU-Ebene« stark gemacht, die vergleichbare Offerten in Zukunft unterbinden könnte. Eine Vorabprüfung nur bei Investitionen in sicherheits- und verteidigungsrelevanten Bereichen, heißt es darin, reiche nicht aus. »Wir sollten klären, ob wir nicht auch für Branchen, die für die strategische Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft von existentieller Bedeutung sind oder werden können, die Möglichkeit schaffen, Interessen von Investoren gegen das industriepolitische Interesse der EU abzuwägen«, so der Minister weiter. »Die Felder, auf denen der Wohlstand und die Wertschöpfung von morgen gesät werden, sind andere geworden. Diesem Wandel müssen wir Rechnung tragen.« Die juristischen Hürden des deutschen Außenwirtschaftsrechts seien zu hoch und verstellten den Blick auf drängende wirtschaftspolitische Grundsatzfragen. »Es ist Zeit, diese Hürden aus dem Weg zu räumen«, fordert Gabriel in dem Gastbeitrag. Natürlich begrüßt er die Expansion deutschen Kapitals ausdrücklich, aber »wenn die Freiheit des Kapitalverkehrs als Garant unverfälschten Wettbewerbs von anderen dazu genutzt wird, europäische Unternehmen unter Ausnutzung unfairer Vorteile zu übernehmen«, dann dürfe die deutsche Wirtschaftspolitik nicht zur »Opferbereitschaft« verkommen. »Ich bin jedenfalls nicht bereit, Arbeitsplätze und Unternehmen auf dem Altar offener Märkte Europas zu opfern«, schließt Gabriel in protektionistischem Eifer.
»Die freie Konkurrenz ist die verwirklichte Entwicklung des Kapitals«, hatte Karl Marx einst in den »Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie« geschrieben. Dagegen sei die »Zügelung der freien Konkurrenz« der Ankündiger der Auflösung des Kapitals und der »Auflösung der auf ihm beruhenden Produktionsweisen«. Ganz so weit ist es, zum Schaden der Menschheit, nicht, aber die protektionistischen Regungen auch bei deutschen Politikern verraten, dass man trotz allen Erfolgs der Exportwalze im europäischen Bereich darum weiß, dass global die Spielregeln immer neu verhandelt werden. Und das Vertrauen in die eigene Kraft scheint zumindest im Bundeswirtschaftsministerium nicht mehr grenzenlos zu sein.