Bei den Studentenprotesten in Südafrika kam es teilweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen

Schwarzes Bewusstsein im Regenbogen

Die Studierendenproteste in Südafrika weiten sich aus. Sie richten sich nicht nur gegen die Bildungspolitik und die Arbeitsbedingungen an den Universitäten, sondern auch gegen das Erbe von Kolonialismus und Apartheid, das in dem Land noch nicht völlig überwunden ist.

Die Probleme sind noch nicht gelöst. Im vergangenen Jahr hatten sich südafrikanische Studierende mit Protestmärschen und Besetzungen erfolgreich gegen die Erhöhung der Studiengebühren zur Wehr gesetzt. (Jungle World 45/2015) Doch nach ihrem überraschenden Erfolg ist die Bewegung nicht an ihrem Ende angekommen. In vielen Universitätsstädten wird seit einigen Wochen erneut demonstriert. Im Mittelpunkt der derzeitigen Proteste stehen soziale Forderungen, die den Zugang zu den Universitäten sowie den arbeitsrechtlichen Status ihrer Beschäftigten betreffen. Zudem werden die Zusammensetzung des mehrheitlich weißen Lehrkörpers sowie die Inhalte des Studiums kritisiert, die nach wie vor vielfach einen europäischen Blick auf Afrika reproduzieren. Auch das institutionelle Erbe von Kolonialismus und Apartheid, das sich in der Gestaltung und Benennung der Universitäten niederschlägt, ist derzeit ein Thema.
Von herausragender Bedeutung sind Fragen der Sprachpolitik. Der Aufstand von Soweto 1976, ein Meilenstein im Kampf gegen das Apartheid-Regime, hatte sich an der Einführung von Afrikaans als verpflichtender Unterrichtssprache entzündet. Auch heute kritisieren viele Studierende die überragende Stellung, die Afrikaans entgegen allen demographischen Verhältnissen an einigen Universitäten einnimmt. Unter dem Hashtag #Afrikaansmustfall wurde nun an ehemals rein afrikaanssprachigen Universitäten für die vollständige Ersetzung von Afrikaans durch Englisch beziehungsweise die Erteilung von Lehre in afrikanischen Sprachen agitiert. Englisch ist die südafrikanische Alltagssprache und gilt allgemein trotz der britischen Kolonialpolitik am Kap als historisch weniger belastet.
Vorfälle wie etwa der an der konservativen, ehemals afrikaanssprachigen Universität des Freistaats in Bloemfontein zeigen, wie sehr der Konflikt sich mittlerweile zugespitzt hat. Dort hatte es nach den Protesten des vergangenen Jahres von Seiten des Managements die Zusage gegeben, zuvor outgesourcte Beschäftigte auf dem Campus wieder direkt in der Universität anzustellen. Seitdem hatte sich aber wenig bewegt, der Rektor war für die Vertreter der erneut streikenden Beschäftigten und der mit ihnen solidarischen Studierenden nicht zu sprechen. So zogen sie Ende Februar in der Halbzeitpause eines Ausscheidungsspiels des universitären Rugbycups aufs Spielfeld, um dort ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Doch in Szenen, die nur allzu deutlich an Apartheid-Zeiten erinnerten, wurden die mehrheitlich schwarzen Protestierenden von einem Mob weißer Zuschauer vom Spielfeld geprügelt. Dem folgte eine Woche von Auseinandersetzungen und Protesten auf dem Campus, in deren Verlauf schwarze Protestierende von Polizei und privaten Sicherheitsdiensten mit Gummigeschossen und Tränengas traktiert und festgenommen wurden, ihre weißen Kommilitoninnen und Kommilitonen hingegen ungeschoren davonkamen.
Auch an anderen Universitäten kam es in den vergangenen Wochen zu immer mehr gewalttätigen Auseinandersetzungen; Gebäude wurden umbenannt, zum Teil aber auch in Brand gesteckt. Waren bereits die Proteste des vergangenen Jahres vielschichtiger, als das Hashtag #Feesmustfall suggerierte, so scheint es bei den derzeitigen Forderungen nach »Dekolonisierung« der Universitäten zuweilen, als ob sich die Protestierenden zum Teil selbst nicht ganz einig sind, was sie unter dem Begriff verstehen. Offenkundig bricht sich hier die Unzufriedenheit der Generation der nach Ende des Apartheid-Regimes Geborenen mit dem faulen Kompromiss Bahn, auf dem das neue Südafrika beruht. Denn jenseits der ihnen eingeräumten formalen politischen Rechte hat sich an der sozialen Realität der Mehrheit der schwarzen Südafrikaner wenig geändert.
An den Protestslogans wird deutlich, dass Theoretiker des black consciousness wie Steve Biko und antikoloniale Intellektuelle, allen voran Frantz Fanon, eine große Rolle für die Bewegung spielen. Zugleich haben die Protestierenden, das wird an Rhetorik und Medienstrategien deutlich, von der US-amerikanischen Bewegung Black Lives Matter gelernt und beziehen sich auf intersektionale Theorie, was von einer älteren Generation linker Gesellschaftskritiker zuweilen mit Argwohn betrachtet wird. Achille Mbembe etwa, einer der gegenwärtig einflussreichsten postkolonialen Theoretiker, der derzeit an der Wits-Universität in Johannesburg lehrt, warnte in einem vieldiskutierten Text vor der »libidinösen Aufladung von Schmerz und Leiden«, die mit einer solchen Identitätspolitik einhergehe. Der African National Congress (ANC) hingegen ist für die Generation der derzeit Protestierenden in erster Linie die Regierungspartei und kann mit seinem Erbe als Befreiungsbewegung nicht mehr punkten. Ob die Proteste langfristig irgendetwas ändern werden, ist derzeit noch nicht ausgemacht. Doch ohne Zweifel lassen sie die inneren Konflikte des »neuen Südafrika«, den immer schon faulen Mythos von der Regenbogennation, mit ungekannter Deutlichkeit hervortreten.