Die Proteste gegen den Sparkurs der neuen argentinischen Regierung

Modern und widerspruchsfrei

Argentiniens neuer Präsident Mauricio Macri will angeblich den Staat modernisieren, faktisch aber politische Gegner loswerden. Er ent­lässt Staatsbedienstete und setzt gegen soziale Proteste auf Repression.

Der 29. des Monats ist in Argentinien día de los ñoquis – an diesem Tag isst man in vielen Haushalten nach der Tradition der italienischen Einwanderer Gnocchi mit Tomatensoße. Ñoquis sind im argentinischen Sprachgebrauch zugleich Personen, die nur am 29. des Monats zur Arbeit erscheinen, um ihren Lohn abzuholen. Korrupte Politiker jeglicher Couleur verschaffen politischen Vertrauten oder Familienmitgliedern so ein zusätzliches Einkommen. Seit seiner Amtseinführung im Dezember hat das neue konservative Staatsoberhaupt, Mauricio Macri, vermeintlichen ñoquis und Oppositionellen im Staatsdienst den Kampf angesagt. Unter dem Vorwand der Modernisierung des Staates wurden bis dato mehr als 26 000 Staatsbedienstete fristlos entlassen, viele weitere sollen folgen. Der Staat müsse endlich gut funktionieren und dürfe politisch Engagierten kein Unterschlupf bieten, sagte Macri.
Die Kündigungen kamen zumeist ohne Vorwarnung. In einem staatlichen Kulturzentrum etwa gab es eines Tages Einlasskontrollen, wer auf einer der schwarzen Listen stand, durfte nicht mehr zu seinem Arbeitsplatz. Es geht also eher um politische Säuberungen als um eine Modernisierung. Im Fokus stehen vor allem Personen, die keine Sympathie für die neue Regierung hegen oder die in Arbeitsbereichen tätig sind, die nun faktisch abgewickelt werden. So zum Beispiel die Forschungsstelle zu indigenen und afrikanischen Traditionen, wo vier von fünf Stellen gestrichen wurden.
Nachdem Ende Januar Hunderte bei einer »Demonstration der ñoquis« vor dem Kongressgebäude protestiert hatten, kam es am Mittwoch vergangener Woche zum ersten massenhaften Streik von Staatsbediensteten gegen die neue Regierung. Über 50 000 Menschen, darunter Mitglieder von Gewerkschaften, linken Parteien und Basisinitiativen, machten bei 37 Grad und strahlendem Sonnenschein im Stadtzentrum von Buenos Aires deutlich, dass die politische Sommerpause und damit die Schonzeit für die neue Regierung beendet ist. Hugo Godoy, Generalsekretär der Staatsangestelltengewerkschaft ATE, kritisierte auf der Kundgebung den Sozialkahlschlag der Regierung, die Entlassungswelle und die beginnende Repression gegen soziale Proteste. »Wir werden keine weiteren Entlassungen hinnehmen«, verkündete er kämpferisch und rief die Bevölkerung dazu auf, Macris unsoziale Politik zu stoppen.
Seit seinem Amtsantritt hat der Präsident das Land politisch und ökonomisch rasant umgekrempelt. So machte er Wahlgeschenke an die Oberschicht und revidiert fast alle Errungenschaften der linksperonistischen Regierung seiner Vorgängerin Cristina Fernández de Kirchner. Wenige Tage nach seiner Amtseinführung senkte Macri die Exportsteuer und entwertete den Peso, was eine Profitsteigerung in Höhe von schätzungsweise 70 Prozent bedeutete für Großgrundbesitzer, die Soja produzieren. Bislang regiert der ehemalige Bürgermeister von Buenos Aires auf Basis von Präsidialdekreten, denn der Kongress befand sich bis März in der Sommerpause – und im Kongress hat Macri keine Mehrheit.
Bei der anstehenden Tarifrunde geht es für die Gewerkschaften primär um einen Ausgleich für die rasant steigenden Preise. Die galoppierende Inflation wurde durch die Liberalisierungsmaßnahmen der neuen Regierung und die Peso-Abwertung weiter befeuert. Wirtschaftsminister Alfonso Prat-Gay war anfänglich von einer gleichbleibenden Inflation um die 40 Prozent ausgegangen, nun korrigierte die Regierung die Schätzung auf 25 Prozent. Diese wenig realistische Annahme gilt als Vorwand, um die Löhne nicht mehr als um ein Viertel anheben zu müssen. Prat-Gay drohte den Beschäftigten: »Jede Gewerkschaft sollte sich überlegen, inwieweit sie Arbeitsplätze zugunsten von Lohnerhöhungen aufs Spiel setzt.« Insgesamt steht die neue Regierung für einen radikalen Kurswechsel: Während die Kirchner-Regierungen durch Konsum die Konjunktur ankurbeln wollten, verfolgt Macri eine liberale Politik, die den Staat auf ein Minimum reduziert und der Wirtschaft größtmögliche Freiheiten verschafft.
Begleitet wird die arbeitspolitische und ökonomische Schockstrategie der vergangenen Wochen von staatlicher Repression. Das bekamen kurz vor Weihnachten gegen ihre Entlassung protestierende Arbeiter von Cresta Roja, einem der größten Hühnerfleischproduzenten des Landes, zu spüren. Die Gendarmerie räumte deren Autobahnblockade mit großer Härte, es kam zu zahlreichen Verletzungen. Anfang Januar griff die Polizei eine friedliche Kundgebung von entlassenen Stadtverwaltungsangestellten in La Plata ohne Vorwarnung mit Gasgranaten und Gummigeschossen an. Eine Teilnehmerin wurde von neun Geschossen in den Rücken getroffen, einige davon blieben stecken und die Bilder der Verletzungen sorgten für öffentliches Aufsehen. Die 48jährige wurde daraufhin wieder eingestellt, die übrigen 4 500 Entlassenen nicht.
Ein klarer Angriff auf soziale Bewegungen war die Verhaftung der Vorsitzenden der linksperonistischen Stadtteilorganisation Tupac Amaru, Milagro Sala. Die Abgeordnete des Parlaments des südamerikanischen Wirtschaftsbündnisses Mercosur, Parlasur, sitzt seit Mitte Januar in Präventivhaft. Zuvor hatten Mitglieder von Tupac Amaru ein mehrtägiges Protestcamp gegen den neuen Gouverneur der nördlichen Provinz Jujuy, Gerardo Morales, abgehalten. Dieser hatte der Organisation, die unter anderem Häuser für Obdachlose in Jujuy baut, den Vereinsstatus und damit staatliche Hilfe entzogen sowie ihre Konten einfrieren lassen. Nachdem Sala vorgeworfen wurde, für die vermeintlich illegale Besetzung öffentlichen Raums verantwortlich zu sein, beschuldigt die Justiz sie nun, Teil einer illegalen Vereinigung zu sein, die staatliche Mittel veruntreue.
Die Inhaftierung rief starke internationale Proteste hervor, sogar Papst Franziskus ließ Sala als Zeichen der Unterstützung einen Rosenkranz zukommen. Über regierungsnahe Medien wurden nun Videos bekannt, die zeigen, wie Mitglieder einer Tochterorganisation von Tupac Amaru wenige Tage vor dem Ende der Amtszeit Fernández de Kirchners Bargeld in Höhe von 14 Millionen Peso (etwa 820 000 Euro) von einem Konto abhoben. Die Hintergründe sind bislang noch nicht bekannt, aber Sala wird sich wohl auf eine längere Haft einrichten müssen. Anhänger von Tupac Amaru blockierten jüngst die Zufahrtsstraßen der Hauptstadt Buenos Aires, sie forderten die Freilassung der 52jährigen. Sicherheitsministerin Patricia Bullrich kündigte daraufhin an, die piquetes genannten Straßenblockaden in Zukunft nicht mehr zu dulden. »Wir geben ihnen fünf Minuten – entweder sie gehen von alleine oder wir räumen sie«, erläuterte sie die Polizeistrategie der neuen Regierung.