Die Postwachstumsideologie

Böses Wachstum

Die Umwelt ist zerstört, die Ressourcen sind verbraucht und viel zu viele Menschen leben auf der Erde. So sieht das Endzeit­szenario aus, das Postwachstumsideologen zeichnen. Ein Teil der Ökologiebewegung betrachtet ökonomisches Wachstum und individuelle Bedürfnisbefriedigung als Grund allen Übels.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorga­nisation (WHO) sterben jährlich mindestens 150 000 Menschen an den Folgen der globalen ­Erwärmung, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Durchfall, Malaria oder Mangelernährung. Die meisten Opfer stammen aus dem globalen Süden. In Afrika vertrocknet das Land, in Nordamerika fallen Ernten aus, weil es nicht regnet. In Bangladesh überspülen die Fluten regelmäßig ganze Landstriche, die Philippinen werden von Taifunen verwüstet. Küstengebiete und Inseln versinken im Meer, Wüsten breiten sich aus.
Immer mehr Rohstoffe, Energie und Land werden verbraucht, immer mehr Dreck, Giftstoffe und Müll bleiben zurück. In einer kapitalistischen Ökonomie ist solches Wachstum quasi ein Naturgesetz. Wer nicht von Konkurrenten überholt, aufgekauft oder ruiniert werden will, muss Gewinne maximieren und reinvestieren. Bei dieser Systemlogik ist es illusionär, auf Veranstaltungen wie den Weltklimagipfel zu hoffen. Bislang wurde nur dann weniger Kohlendioxid in die Luft geblasen, wenn, wie 2009, die Wirtschaft selbst kriselte.

Ein neuer Zweig der Ökologiebewegung will deshalb die Wirtschaft schrumpfen. Das Stichwort lautet Degrowth. In Deutschland hat sich der Begriff Postwachstumsökonomie eingebürgert. Die Bewegung kritisiert die gängige Umweltpolitik, die auf Nachhaltigkeit und Effizienzsteigerungen setze, was Schäden nicht verhindere, im Gegenteil. Weniger Ressourcen zu verbrauchen, liegt in der Logik der Marktwirtschaft, wenn es die Kosten senkt. Dafür wächst aber der Gesamtverbrauch. So benötigen neue Elektrogeräte weniger Strom als ältere Modelle, dafür sind mehr in Gebrauch.
Die Degrowth-Bewegung versteht sich mehrheitlich als links, die meisten Vertreter grenzen sich nach rechts ab, gegen Alain de Benoist, einen Vordenker der sogenannten Neuen Rechten, oder den konservativen Meinhard Miegel, der unter dem Deckmantel des Postwachstums den Sozialabbau vorantreiben will. Dennoch gibt es Positionen in der Bewegung, die nach rechts tendieren oder selbst rechts sind.
So predigt ein Teil der Bewegung, der jüngste Tag der sogenannten Industriegesellschaft sei nahe. Das Fördermaximum von wichtigen Rohstoffen, »Peak Everything«, insbesondere Erdöl »Peak Oil«, sei bereits oder würde demnächst überschritten. Die Preise stiegen rapide, Konflikte um Rohstoffe verschärften sich und am Ende gingen die stofflichen Grundlagen der bisherigen Wirtschaftsweise aus. In naher Zukunft drohe ein Zusammenbruch der Zivilisation.

Solche apokalyptischen Visionen sind in mehrfacher Hinsicht gefährlich. Zunächst sind sie falsch und ignorant. Einerseits wird es keinen Weltuntergang geben, sondern eine Kette von begrenzten Tragödien, dazu schleichende Prozesse, die die Situation vieler Menschen verschlechtern. Andererseits ist die Katastrophe für viele Menschen längst eingetroffen. Ein Teil der Flüchtlingsbewegungen ist letztlich auf ökologische Zerstörungen zurückzuführen. Obendrein lassen sich mit Untergangsvisionen einfache, autoritäre Lösungen rechtfertigen, von Ökodiktaturen bis zum Überleben mit der Waffe in der Hand gegen den Rest der Welt.
Die Idealisierung lokaler und regionaler Strukturen ist ein weiteres Einfallstor für rechte Ideen. Auch Benoist fordert »autonome Mikrogesellschaften« und eine »Relokalisierung der Produktion«. Manche Visionen von bioregionalen Gesellschaften und Subsistenzökonomien sind selbst rassistisch: Bereits Mitte der siebziger Jahre beschrieb Ernest Callenbach in dem Roman Ökotopia einen regionalistischen Separatstaat an der Westküste der USA mit eigenen Refugien für Afroamerikaner und Latinos, was an die Apartheid erinnert. Bald darauf plädierten Tiefenökologen und Erdbefreiungskrieger von Earth First für den Einwanderungsstopp. Sie zeichneten ein Überbevölkerungsszenario, ebenso wie heutzutage die 2003 gegründete »Initiative Ökosozialismus«, die auf der Klimabewegungskonferenz in Köln und dem Klimacamp im Rheinland präsent war. Die Überbevölkerung, vor der dort gewarnt wird, gibt es nicht, solche Propaganda lenkt von den Ursachen der Umweltzerstörung ab und ist menschenfeindlich.

Einen Mix aus obskuren, konservativen und kulturpessimistischen Ansichten bietet Niko Paech, der populärste Vertreter der Postwachstumsökonomie in Deutschland. Er ist außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaft an der Universität Oldenburg und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Paech wettert gegen eine »hedonistische Internationale«, das »entgrenzte Easy­jet-Weltbürgertum«, das zur coolen Party, zum Shoppen oder für billigen Sex um die Welt fliegt. Für ihn sind die Menschen im Westen eine Masse hemmungsloser Konsumidioten. Paech macht keinen Unterschied zwischen Großaktionären von Daimler-Benz, den Managern des Chemiekonzerns Bayer und deren Arbeitern oder Putzfrauen. Dabei belasten Reiche allein durch ihren höheren Konsum die Umwelt stärker als Arme.
Als weitere Ursache für Wirtschaftswachstum nennt Paech ein »Schuldgeldsystem in Verbindung mit dem Zinseszinseffekt«. Als Alternative schlägt er Regionalgeld mit Umlaufsicherung vor, gemeint ist Geld, das nur in bestimmten Regionen gültig ist und in regelmäßigen Abständen an Wert verliert. Solches Regionalgeld würde »die vom herrschenden Zinssystem induzierten Wachstumszwänge« mindern, behauptet er.
Damit übernimmt Paech zentrale Ideen der Freiwirtschaft von Silvio Gesell. Diese Heilslehre, die den Zins zur Ursache allen Übels aufbauscht, fußt auf zwei Annahmen: erstens dass Geld wertstabil sei und deshalb zweitens in Form von Bargeld gehortet würde, sobald Geldbesitzer nicht Zinsen in einer bestimmten Höhe kassieren. Schwundgeld würde das Horten unattraktiv machen und diese Erpressung verhindern. Nach Kritik an seinen Positionen hat Paech erklärt, er sei kein Gesellianer.
Zudem will Paech die Erwerbsarbeit auf 20 Stunden ohne Lohnausgleich verkürzen, um die Ökonomie zu schrumpfen. In der freien Zeit könne jeder in einer »modernen« Subsistenzökonomie selbst Nahrung herstellen, Gegenstände reparieren oder gemeinnützige Arbeit leisten. Er reflektiert nicht, dass selbst bei radikaler Arbeitszeitverkürzung die Produktion nicht proportional sinkt, sondern noch gesteigert werden kann. Denn es kommt auf die Produktivität und nicht auf die Arbeitszeit an. Im 19. Jahrhundert mussten Arbeiter täglich bis zu zwölf und mehr Stunden schuften und stellten doch viel weniger her als heute. Paech sympathisiert mit der konservativen Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), ließ sich von Ken Jebsen interviewen und hat ein Vorwort zu einem Werk von Serge Latouche beigesteuert. Der gilt als linker Vordenker des Degrowth in Frankreich, plädiert aber dafür auch mit Rechten wie Alain de Benoist zu kooperieren.

Aber auch jenseits rechter Spielarten ist der ­Ansatz der Degrowth-Bewegung fragwürdig. Der Begriff des Wachstums ist zu grobschlächtig und verschleiert die Verhältnisse eher. Mit Wachstum ist eine statistische monetäre Größe (Bruttoinlandsprodukt) gemeint, die Gesamtsumme der Verbraucherpreise aller Güter und Dienstleistungen in einem Jahr. Es ist durchaus denkbar, dass diese Summe größer wird, gleichzeitig aber weniger Güter und Dienstleistungen hergestellt werden, die Umwelt also weniger belastet wird. Außerdem gehen in diese Größe auch die Werte von Produkten aus ökologischer Landwirtschaft oder Fahrradfabriken ein. Deshalb ist der Begriff nur beschränkt geeignet, über ökologische Zerstörungen aufzuklären.
Verbildlicht wird das Wachstum oft mit Krebszellen, die im Körper wuchern, als Alternative wird oft ein gesundes oder organisches Wachstum angeführt. Die Sprache zeigt bereits einen Rückfall in biologistische Denkmuster an.

Das Verdienst der Degrowth-Bewegung ist, dass sie den Wachstumsfetisch angreift, dem Konservative, Liberale, Grüne und Sozialdemokraten anhängen. Für den Ökonomen Thomas Piketty ist Wachstum hingegen der Königsweg, um soziale Spannungen zu vermeiden und den Kapitalismus als Leistungsgesellschaft zu retten. Gleichwohl bleibt die Bewegung selbst negativ auf diesen Fetisch fixiert. Sie will dem Dilemma nicht ins Auge sehen, dass diese Gesellschaft auf dem Prinzip der unendlichen Verwertung und Akkumu­lation von Kapital basiert.