Beate Zschäpe inszenierte sich als elftes Opfer des NSU

Von nix gewusst

Beate Zschäpe inszenierte sich in München als Opfer ihrer Liebe zu einem der beiden mutmaßlichen Komplizen. Diese Verteidigungsstrategie hat Tradition im rechtsextremen Milieu.

Während der 248 Verhandlungstage seit Beginn des NSU-Prozesses am 6. Mai 2013 war ein bestimmtes Bild von Beate Zschäpe allmählich verblasst. Am 9. Dezember, dem 249. Prozesstag, war es wieder gefragt, das »Nazi-Liebchen«, die »Nazi-Braut«, das »Anhängsel der Naziterroristen«, wie sie in den Medien genannt wurde. Im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München inszenierte sich Zschäpe vergangene Woche als ein Mädchen, das einfach nur dem einen Uwe, dem Böhnhardt, völlig verfallen war. Politische Meinung? Selbstbewusstes Handeln? Gleichberechtigtes Mitbestimmen? Keine Spur davon in der von Zschäpes Rechtsanwalt, Mathias Grasel, vorgetragenen Einlassung. Das Gegenteil stand darin: Zschäpe sei eine friedfertige, kommunikative Person gewesen, lange Zeit schmollend, wenn sie enttäuscht war, und eine tierliebe Katzennärrin, die sich schlicht in den falschen Mann verliebt habe.
In rund 90 Minuten versuchte Grasel, der vierte Pflichtverteidiger, der seit Sommer an Zschäpes Seite sitzt, die gesamte Anklage der Bundesanwaltschaft zu widerlegen. Eine Formulierung kehrte in der 53seitigen Einlassung zu den zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und 15 Banküberfällen immer wieder auf: Zschäpe sei »weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung« beteiligt gewesen. Sie fühle sich aber »moralisch schuldig«, nicht in der Lage gewesen zu sein, auf Mundlos und Böhnhardt dahingehend einzuwirken, »unschuldige Menschen nicht zu verletzen und nicht zu töten«. »Ich entschuldige mich aufrichtig bei allen Opfern und Angehörigen der Opfer«, trug Grasel vor.
»Sie lügt, sie tut so, als wäre sie nicht beteiligt gewesen und hätte von nichts gewusst. Wir glauben ihr nicht«, empörte sich Ismail Yozgat, der Vater des ermordeten Halit Yozgat, noch vor dem Gerichtsgebäude. »Nach dem ersten Mord sei sie angeblich so erschüttert gewesen, sie hätte zur Polizei gehen müssen und weitere neun Morde verhindern können«, so Yozgat weiter. Gamze Kubaşik, deren Vater ebenfalls dem NSU zu Opfer gefallen ist, pflichtete ihm bei: »Mit ihrer Erklärung versucht Frau Zschäpe, sich aus der Verantwortung zu ziehen.« Die Entschuldigung nehme sie nicht an. Ähnlich wie Abdulkerim Şimşek, Sohn des NSU-Opfers Enver Şimşek, der lapidar kommentierte: »Einfach nur lächerlich.«

Ganz entspannt wirkten bei der Einlassung alleine die Mitangeklagten Ralf Wohlleben und André Eminger. Fast schien es so, als wüssten sie, dass Zschäpe sich nicht bloß als unwissendes Frauchen inszenieren will, sondern auch ihre mutmaßlichen Unterstützer nicht belasten würde. Im Laufe der 248 Verhandlungstage mit mehr als 400 Zeugen wurde Zschäpe immer wieder als gleichberechtigtes Mitglied der rechtsextremen terroristischen Vereinigung beschrieben, die das Leben im Untergrund wesentlich organisiert und das Geld verwaltet habe. Am 249. Tag ließ sie jedoch vortragen, nur von den Banküberfällen gewusst zu haben, allerdings nicht im Detail. Nur dass sie davon während dreizehn Jahre des Lebens im Untergrund zumindest profitierte, räumte Zschäpe ein.
Je länger Grasel vorlas, desto mehr rückten Zschäpes politische Überzeugung und ihre Verstrickung in die Machenschaften des NSU in den Hintergrund. Stattdessen: zunächst die schwierige Kindheit, dann das angespannte Verhältnis zur Mutter samt eigener beruflicher Perspektivlosigkeit. 1989/1990 habe sie schließlich Uwe Mundlos in Jena kennengelernt: »Wir hörten gemeinsam Lieder mit nationalistischem Inhalt und sangen – manchmal könnte es auch als Grölen bezeichnet werden«, las Grasel vor. Zschäpe habe sich nicht alleine nach rechts bewegt, ihr Cousin, Stefan Apel, habe einen großen Einfluss auf sie gehabt. In dieser Phase habe sie Böhnhardt kennengelernt. Die 19jährige sei von ihm fasziniert gewesen. Mit Beginn dieser Freundschaft sei sie mehr bei Böhnhardts Freunden gewesen, und die »hatten eine intensivere nationalistische Einstellung«, erfährt man von Grasel. Und Zschäpe? Sie sei einfach Teil der Clique um Böhnhardt gewesen, die sich »Kameradschaft Jena« nannte, habe mitgemacht, ohne dabei zu sein. Im Wortlaut: »Ich war kein Mitglied dieser Kameradschaft (…) Ich hatte mich auch nicht zugehörig gefühlt.«
Erst durch Tino Brandt, den ehemaligen Leiter des »Thüringer Heimatschutzes« und V-Mann des Landesamts für Verfassungsschutz, habe man begonnen, die Aktivitäten zu koordinieren. »Brandt war diejenige Person, die Geld zur Verfügung stellte und somit unsere Aktivitäten erst ermöglichte.« Als Macher und Antreiber beschreibt Zschäpe ihn, der sie doch in der Verhandlung bereits als »ideologisch gefestigt« und »keine dumme Hausfrau« bezeichnet und somit die Anklage untermauert hatte.
Vor dem Abtauchen habe sie zwar an mehrere Aktionen mitgewirkt, alle seien jedoch von den »Uwes« initiiert worden. 1996 habe sich Böhnhardt von ihr getrennt, darunter habe sie sehr gelitten. Um weiter im engen Kontakt mit ihm zu bleiben, habe sie am 10. August 1996 die Garage Nummer fünf an der Kläranlage in Jena angemietet. Dort sollte Propagandamaterial deponiert werden. Dass in der Garage auch Sprengstoff gelagert wurde, will Zschäpe bis zu ihrem Untertauchen am 26. Januar 1998 nicht gewusst haben. Die Flucht und der häufige Wohnungswechsel waren schnell erzählt, nannte sie doch außer Thomas Starke, der bereits 2012 gestanden hatte, den Sprengstoff für Mundlos und Böhnhardt besorgt zu haben und Zschäpe als politisch bewusste Frau beschrieb, nur zwei bereits bekannte Helfer. Doch von wem, wo und wann sie aus dem Netzwerk »Blood&Honour« Wohnung, Geld und Papiere erhielten, blieb unerwähnt. Selbst die Hilfe des Mitangeklagten Holger Gerlach, der den drei laut eigener Aussage Führerscheine Personalausweise und Krankenkassenkarten besorgte, griff sie nicht auf – trotz dessen Eingeständnis der langjährigen Hilfe für das NSU-Trio. Auch der Mitbeschuldigte Carsten S., der durch die Schilderung einer Waffenübergabe Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und Wohlleben belastete, blieb unerwähnt.

Im Saal A 101 legte Grasel für Zschäpe weiter dar, nach dem ersten Mord an Enver Şimşek am 9. September 2000 völlig schockiert gewesen zu sein. Sie will sich gar mit Mundlos und Böhnhardt, die ihre Familie gewesen seien, heftig gestritten haben. Mit keinem Wort hätten die beiden gesagt, dass Şimşek sterben musste, »weil er Ausländer war«. »Ich bin daraufhin regelrecht ausgeflippt«, las Grasel vor und führte weiter aus: »Auf meine massiven Vorwürfe, wie man so etwas tun könne, reagierte Uwe Mundlos lediglich dahingehend, dass eh alles verkackt sei und dass er es zum knallenden Abschluss bringen wolle.« Erst später hätten die beiden rassistische Motive für die Morde und Bombenanschläge angeführt. Die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin A. seien von Mundlos und Böhnhardt am 25. April 2007 Zschäpe zufolge nur angegriffen worden, um funktionsfähige Waffen zu erbeuten.
Nach dem ersten Mord will sie Mundlos und Böhnhardt gesagt haben, sie wolle sich der Polizei stellen, doch die beiden hätten ihr eröffnet, im Falle einer Festnahme Selbstmord begehen zu wollen – in Zschäpes Worten »sich die Kugel zu geben«. Diese Last, für ihren Tod möglicherweise verantwortlich zu werden, die Angst, selbst eine hohe Haftstrafe zu erhalten, weil man ihr eine Tatbeteiligung oder ihre Unwissenheit nicht abnehmen würde, sowie die Angst, ihre »Uwes« zu verlieren, das alles habe Zschäpe daran gehindert, sich zu stellen. Die Kraft, sich zu trennen – »insbesondere von Uwe Böhnhardt« –, habe ihr gefehlt.
Die Taten der beiden hätten das Zusammenleben der drei belastet. Die beiden sollen sich später damit gebrüstet haben, »dass sie vier weitere Ausländer umgelegt hätten. Meine Reaktionen sind nur schwer zu beschreiben: Fassungslosigkeit, Entsetzen, das Gefühl der Machtlosigkeit. Ich war unglaublich enttäuscht darüber, dass sie erneut gemordet hatten. Auch hatten sie mich erneut hintergangen, obwohl sie mir zuvor versprochen hatten, keinen Menschen mehr zu töten«, ließ Zschäpe Grasel darlegen. An dieser Stelle wurde nicht mit Details gespart, so erfuhr man in München, dass sie die beiden angeschwiegen, drei bis vier Flaschen Sekt täglich getrunken und die Katzen vernachlässigt habe. Die Männer hätten sie immer mehr außen vor gelassen – sie hätten ihr irgendwann nicht mehr hundertprozentig vertraut. Eine Darstellung, die sich nicht mit anderen Aussagen im Verfahren deckt. Urlaubsbekanntschaften sprachen von einem harmonischen Verhältnis der drei zueinander, Zeugenaussagen zufolge soll Zschäpe das Geld verwaltet haben. Nach dem Mord an Kiesewetter habe sich Zschäpe eingestehen müssen, dass sie »mit zwei Menschen zusammengelebt habe, die einerseits im täglichen Leben zuvorkommend, tierlieb, hilfsbereit und liebevoll waren und andererseits mit unvorstellbarer Gefühlskälte Menschen getötet hatten«.

Nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt will sie auch bloß deren letzten Willen erfüllt haben. Mit dem Brand sollten die gemeinsame Wohnung in Zwickau und alle Spuren ihres gemeinsamen Lebens vernichtet werden. Den Bekennerfilm, den sie als DVD verschickt hat, will sie erst in der Verhandlung angesehen haben. Zschäpe bestreitet auch, durch die Brandlegung den Tod einer älteren Nachbarin und von Handwerkern in Kauf genommen zu haben. Das Kürzel NSU habe Mundlos erfunden, der 2002 im Namen der Gruppe dem von Thomas Richter, alias V-Mann »Corelli«, betriebenen rechten Fanzine Der Weiße Wolf 1 000 D-Mark spendete. Doch das sei es auch gewesen, in den vielen Jahren gemeinsamen Lebens im Untergrund sei der Name NSU nicht weiter aufgetaucht, niemals hätten die drei darüber gesprochen, »Mitglieder einer nationalsozialistischen Untergrundbewegung« zu sein. Wenn man den NSU als terroristische Vereinigung betrachte, habe dieser nur aus zwei Personen bestanden: Mundlos und Böhnhard.
»Die Aussage ist eine Frechheit«, kommentiert Alexander Hoffmann, ein Vertreter der Nebenklage. »Sie tut so, als wenn es keine Helfershelfer gegeben hätte, die Wohnungen, Geld, Waffen und Papiere besorgt hätten. Da schweigt sie, wie so viele rechtsextreme Zeugen.« Mit ihrer Verteidigungsstrategie verfährt Zschäpe wie viele Rechtsextremistinnen, wie Antonia von der Behrens, eine weitere Anwältin der Nebenklage, feststellt: »Zu dem Muster ›mauern und Gedächtnislücken vortäuschen‹ gibt es eine spezifisch weibliche Variante«, diese bestehe darin, dass Frauen ihre eigene Rolle kleinreden: »Ich bin da reingezogen worden, ich war naiv, schuld war mein Freund.« Inwieweit diese Verteidigungsstrategie, die sich um das Klischee des nichtsahnenden, emotional abhängigen Mädchens dreht, im NSU-Verfahren greifen wird, ist unklar. Zschäpes Einlassung empörte auch deshalb besonders die Angehörigen der Opfer, weil sie das Bild eines Mädchen zeichnete, das zum elften Opfer des NSU wurde, und das bloß aus Liebe.