Ein Filmfestival in Wien ohne BDS-Beteiligung besucht

Im falschen Film

Das österreichische Filmfestival This Human World lief in diesem Jahr ohne Störungen durch Antizionisten ab – trotz der Tradition, auch in Wien Israel zu boykottieren.

Die Boykottaufrufe und Boykotte gegen israelische und jüdische Künstler und ihre Werke in Europa häufen sich: Im Sommer wurde der US-amerikanische jüdische Reggae-Musiker Matisyahu vom spanischen Festival Rototom Sunsplash als einziger Künstler aufgefordert, eine Erklärung für einen palästinensischen Staat abzugeben. Die spanische Sektion der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) hatte das Festival unter Druck gesetzt, ihn auszu­laden. Beim norwegischen Dokumentarfilmfestival Human Rights – Human Wrongs wurde Roy Zafranis »The Other Dreamers« abgelehnt, ein Film über Kinder mit Behinderung in Tel Aviv. Nicht etwa aus künstlerischen Gründen, sondern weil es ein israelischer Film ist, der die »illegale Besatzung« der palästinensischen Gebiete nicht thematisiert und sich damit zum Komplizen der israelischen »Apartheid« mache.
Das Festival unterstützt BDS. Auch das Schwei­zer Filmfestival Locarno benannte seine Sektion »Carte Blanche« 2015 um, weil in diesem Jahr dort Ausschnitte aus israelischen Filmen im Stadium der Postproduktion gezeigt wurden. Der Titel »Carte Blanche« ließe zu israelfreundliche Interpretationen zu, zumal das Festival mit dem israelischen Filmfonds kooperierte. Dem aber wollte man, nachdem einige Filmemacher mit dem Boykott des Festivals gedroht hatten, keine Blankovollmacht ausstellen, weil die Sektion, deren Sinn es ist, Finanzierung für die unfertigen Filme zu finden, »keine Plattform für den israelischen Staat« bilden sollte.
Auch This Human World, das Wiener Filmfestival für Menschenrechte, sah sich in der Vergangenheit mit Boykottaufrufen konfrontiert. 2010 gab es dort eine große Retrospek­tive zum Werk Claude Lanzmanns, spätestens ab da wandten sich Israel-Boykotteure gegen das Festival. Zora Bachmann, die langjährige künstlerische Leiterin, und auch einige Mitarbeiterinnen des Festivals wurden persönlich und teilweise mit Fotos denunziert (Jungle World 6/2015), als sie 2014 im Rahmenprogramm zu einem Vortrag lud, der Judith Butler politisch und philosophisch kritisierte. Butler ist eine der Gallionsfiguren der weltweiten Boykottbestrebungen gegen Israel und der BDS-Kam­pagne. Die Kritik an ihr hat in Wien auch Gruppen auf den Plan gerufen, die ansonsten nichts mit Butler und ihrer queer theory zu tun haben, sondern ganz essentialistisch einem antiimperialistischen Differenzfeminismus und eben der innigen Feindschaft gegen den jüdischen Staat huldigen.
Zora Bachmann zufolge ist This Human World das »einzige Filmfestival für Menschenrechte, auf dem darauf geachtet wird, dass keine antiamerikanischen und antiisraelischen Positionen bezogen werden«. In Reaktion auf ihre eigenen Erfahrungen mit den Anfeindungen der Antizionisten, die sich auch gegen sie und ihr Team gerichtet haben, und den Einfluss der Boykottkampagne im Kulturbetrieb allgemein, hat sie deshalb im diesjährigen Programm des Festivals eine Diskussion mit dem Autor und BDS-Kritiker Gerhard Scheit und dem Schriftsteller Robert Schindel angesetzt. Robert Schindel kommt aus einer jüdischen kommunistischen Familie und ist, wie er selbst sagt, mit dem Satz aufgewachsen, ein Kommunist könne kein Antisemit sein. In seiner marxistischen Jugend habe er auch selbst gegen Israel demonstriert, bis er in einem schmerzlichen Prozess zweierlei begriffen habe: Einerseits die israelische Besonderheit, die Notwendigkeit Israels für die Sicherheit aller Juden und Jüdinnen weltweit, andererseits, dass der Antizionismus nur der neue Hut ist, den die alten Antisemiten tragen.
Weil der Israel-Boykott bisher weniger auf ökonomischen als vielmehr auf symbolischen Erfolg setzt, bieten sich Kunst und Kultur für die antizionistische Agitation besonders an. Die Welt der Darstellung und Inszenierung ist sensibel für Symbolik, und viele der politisierten Angehörigen des Kulturbetriebs haben zudem das dringende Bedürfnis, auf der richtigen Seite zu stehen. Dort wähnt man sich, und wird darin vom eigenen künstlerischen Umfeld beständig bestätigt, wenn man gegen den Staat der Shoah-Überlebenden ist. Israel, der »Kettenhund des Imperialismus«, der vermeintliche »Apartheidstaat«, wird gehasst, weil er, wie der Jude kein echter Staatsbürger, kein »echter Staat« sei. Er wird gehasst, weil er der einzige Staat im Nahen Osten ist, in dem Kunst und Kultur florieren können, in dem bürgerliche und damit auch künstlerische Freiheiten geschützt sind – das darf nicht sein. Er ist Projektionsfläche nicht nur vieler Linker für alles, was allen anderen Staaten nicht angelastet wird. Er ist der Jude unter den Staaten.
Gleichzeitig genießt die Kunst einen besonderen Schutz. Das Missverständnis, Kunst- und Meinungsfreiheit deckten auch mehr oder weniger verkappt antisemitische Positionen, ist hier besonders verhängnisvoll. Der Künstler ist Freigeist qua Selbstverständnis, er glaubt, ganz wie der Kommunist, von vornherein kein Antisemit sein zu können. Sein Verlangen danach, sich stets dessen zu vergewissern, einer der Guten zu sein, ist dort billig zu befriedigen, wo er inmitten von lauter Israel-Kritikern Israel kritisiert.
Die Feindschaft zum jüdischen Staat kann so eine Rolle beim Eintritt in die internationale Kunstwelt spielen. Wer Israel nicht boykottiert, läuft Gefahr, des Rassismus bezichtigt zu werden oder sogar, wie den Eagles of Death Metal bei ihrem Konzert im Pariser Bataclan geschehen, Ziel islamistischer Terroranschläge zu werden. Antizionistische Gruppen sowie der BDS-Unterstützer haben in der Vergangenheit wiederholt gegen das Bataclan protestiert, das bis vor kurzem Juden gehörte und immer wieder proisraelische Veranstaltungen beherbergte. Die Band wiederum hatte sich bei einem Auftritt in Tel Aviv gegen den Israel-Boykott ausgesprochen.
Doch es muss keine Toten geben, um auch in Wien die Tradition linker und islamischer Zusammenarbeit gegen Israel zu sehen: Der österreichische BDS-Ableger ist eng verwoben mit Dar al-Janub, einem Wiener »Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative«. Dar al-Janub wurde im Oktober 2003 gegründet und ist aus der Gruppe Sedunia hervorgegangen. Aus deren Umfeld wurde 2003 eine Gedenkveranstaltung mit dem Shoah-Überlebenden Karl Pfeifer zu den Novemberpogromen von 1938 angegriffen. Sedunia schrieb hinterher in einem offenen Brief: »Wieder wollte sich der Zionismus hinter dem Judentum verstecken, glaubte sich vor einer Synagoge an einem 9. November verkleiden zu können, sich mit dem Judentum gleichsetzen zu können. Die arabische und islamische Antwort war klar und eindeutig: Ihr Mörder!«
This Human World konnte dieses Jahr erstmals ohne Störung und Bedrohung durch Antizionisten gleich welcher politischen Herkunft ablaufen. Offenbar trägt die Konfrontation Früchte: Dass die Kritik an BDS auf dem Festival explizit Thema war, hat die Antizionisten wohl davon abgehalten, es erneut zu attackieren.