In Italien wird erneut über Oriana Fallaci und das Verhältnis zum Islam diskutiert

Das heilige Jahr kann beginnen

In Italien sahen nach den Pariser Anschlägen viele Menschen die Thesen der islamkritischen Autorin Oriana Fallaci bestätigt. Gegen den Jihadismus wird vor allem das Christentum in Stellung gebracht.

Valeria Solesin wurde im Konzertsaal Bataclan erschossen. In Italien verbinden sich Trauer und Entsetzen über die Pariser Terroranschläge mit ihrem Gesicht. Vergangene Woche geriet der Abschied von der 28jährigen in ihrer Heimatstadt Venedig zu einem medialen, staatstragenden Großereignis. Gondolieri fuhren den Sarg über den Canale Grande zur Piazza San Marco, wo auf Wunsch der Familie eine weltliche Trauerfeier stattfand. Vertreter der drei monotheistischen Religionen durften allerdings Beileidsbekundungen verlesen.
Im Kontrast zu dieser Geste interreligiöser Verständigung sind aus dem Nordosten Italiens vor allem die rassistischen Tiraden der Lega Nord zu vernehmen. Bereits in der Nacht der Anschläge rief ihr Vorsitzender Matteo Salvini zum Krieg gegen den »islamischen Terrorismus«. Diejenigen, die zu Schweigeminuten einluden, beschimpfte er als scheinheilige »Gutmenschen« und »Komplizen«. In seinem antimuslimischen Furor beruft sich Salvini auf Oriana Fallacis Pamphlet »Die Wut und der Stolz«. Unter diesem Titel hatte die 2006 verstorbene Journalistin wenige Tage nach den Anschlägen des 11. September 2001 in der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera die Gefahr eines »umgekehrten Kreuzzugs« beschworen. Der liberale Westen verleugne seine »christlichen Wurzeln« und verharmlose im Glauben an einen moderaten Islam die mörderische »Kultur der Bartträger in Rock und Turban«. Ihre These von der »demographischen Eroberung« Europas und der schleichenden Islamisierung des Westens wiederholte sie in den folgenden Jahren in zwei weiteren Büchern, die weltweit in Millionenauflage verkauft wurden.

Bekannt geworden war die Autorin in den siebziger Jahren durch ihre Kriegsreportagen aus Vietnam. Für ihren »Brief an ein nie geborenes Kind« und den autobiographischen Roman »Ein Mann« über ihren Lebensgefährten, den griechischen Widerstandskämpfer Alekos Panagoulis, wurde sie von einer linken, liberalen Leserschaft gefeiert. Erst mit ihrer antiislamischen Trilogie avancierte Fallaci zur Ikone jener religiösen, konservativen Rechten, die 2003 als »Koalition der Willigen« den US-geführten Angriff auf den Irak unterstützte. Ihrem ehemaligen Publikum, das damals unter der Pace-Flagge gegen den Krieg mobilisierte, galt Fallaci fortan als »Kriegstreiberin« und »Islamhasserin«. Dagegen reicht die Verehrung der Lega Nord weit über ihren Tod hinaus. Seit Jahren fordern Vertreter der rechtsextremen Partei, Fallacis Bücher in den italienischen Schulen zur Pflichtlektüre zu machen. Nach den islamistischen Morden in der Redaktion von Charlie Hebdo im Januar twitterte Salvini: »Oriana Fallaci hatte Recht.«
Mit Verweis auf die jüngsten Terroranschläge versprachen die Mailänder Postfaschisten der Partei Fratelli d’Italia, dafür zu kämpfen, dass keine weitere Moschee gebaut werde. Roberto Maroni, ehemaliger Innenminister der Lega Nord und heutiger Regionalpräsident der Lombardei, forderte, der Westen solle sich mit Wladimir Putin zu einer christlichen Allianz vereinen und zu einem »neuen Lepanto« rüsten. 1571 hatte eine von Papst Pius V. organisierte »Heilige Liga« aus der venezianischen und spanischen Flotte in der Seeschlacht von Lepanto die Flotte des Osmanischen Reichs vernichtend geschlagen. Schutzpatronin für die neue Allianz wäre für Maroni Oriana Fallaci, der er einstweilen in jeder Stadt der Lombardei eine Straße widmen möchte.
Dass Fallacis Anhängerschaft nach den islamistischen Massakern in den sozialen Medien Huldigungen an ihre »Prophetin« veröffentlichen würden, war zu erwarten. Überraschender war, dass auch liberale Medien titelten: »Vergib uns, Oriana«. Weil die Autorin geschrieben hatte, »Paris ist verloren, hier herrscht der Hass auf die Ungläubigen, die Imame möchten die laizistische Staatsordnung zugunsten der Sharia stürzen«, gilt sie neuerdings auch vielen ihrer ehemaligen Kritikerinnen und Kritiker als »Kassandra« des »11. September Frankreichs«. Mit Verweis auf eine jüngst veröffentlichte Sammlung ihrer Reportagen und Interviews aus dem Nahen und Mittleren Osten betonen sie, dass Fallacis Wut letztlich nie nur dem Islam, sondern mehr noch der Ignoranz des Westens gegolten habe. Nachzulesen ist in der Anthologie, dass Fallaci als bekennende »stolze Atheistin« von Beginn an die Theokratie des Ayatollah Khomeini kritisierte und nie emanzipatorische Hoffnungen mit der Iranischen Revolution verband. Als Kriegsreporterin im Libanon-Krieg verstand sie die frühen Selbstmordattentäter der achtziger Jahre als Terroristen, nicht als »Märtyrer oder Helden«, wie ihr Yassir Arafat in einem Interview zu erklären versuchte. Ihre Parteinahme für Israel gegen den Jihad der Hizbollah dürften ihr die italienischen Linken bis heute noch weniger verzeihen als ihre Anbiederung an Italiens religiös verbrämte, chauvinistische Rechte. In den einschlägigen Blogs radikaler Linker werden die islamistischen Massaker in Paris als Folge vergangener, nicht aufgearbeiteter und jüngerer, »fallacistischer« Kolonialkriege interpretiert. Der spezifische, offen antijüdische Vernichtungswahn der Jihadisten spielt in den Diskussionen der Linken keine Rolle.

Im Alltag sind dagegen bisher weder antiislamische Wut noch abendländischer Stolz vorherrschend, sondern pure Panik. Gleich mehrmals wurde in Rom in der ersten Woche nach den Pariser Terroranschlägen der U-Bahnverkehr auf den Linien A und C aufgrund vergessener Rucksäcke oder Pakete unterbrochen. Für Aufregung sorgte auch die Meldung, das FBI habe in einer Terrorwarnung an die italienischen Behörden den Petersdom in Rom sowie den Dom und das Opernhaus in Mailand als mögliche Anschlagsziele genannt. In Mailand beteuerten die Verantwortlichen, dass für die Premiere an der Scala, die jedes Jahr am 7. Dezember zum Feiertag des Stadtpatrons Sankt Ambrosius die Opernsaison eröffnet, alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen würden. In Rom ist die sicherheitspolitische Debatte angespannter. Dort soll einen Tag später, am 8. Dezember, zum Fest der Unbefleckten Empfängnis, das von Papst Franziskus im Frühjahr angekündigte außerordentliche Heilige Jahr beginnen. Forderungen, das katholische Jubeljahr abzusagen, wies der für die Organisation verantwortliche Rino Fisichella, Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Neuevangelisierung, umgehend zurück. Das Motto laute »Jubiläum der Barmherzigkeit«, nach den Pariser Anschlägen sei es umso wichtiger, dass diese von den Gläubigen gelebt und in die Gesellschaft getragen werde. Die weltlichen Verantwortlichen der Hauptstadt beeilten sich daraufhin zu versichern, für den Schutz der Pilgermassen werde gesorgt. Die Flugverbotszone über Rom wurde ausgeweitet.
Ob Ministerpräsident Matteo Renzi an das Heilige Jahr dachte, als er nach den Anschlägen erklärte, es bedürfe einer »kulturellen Offensive«, um der terroristischen Herausforderung zu begegnen, ist nicht bekannt. Er warnte jedenfalls vor übereilten militärischen Interventionen in Syrien, schließlich gelte es, »ein zweites Libyen« zu vermeiden. Bei seinem Kondolenzbesuch in Paris bot Renzi dem französischen Präsidenten François Hollande lediglich an, durch eine Aufstockung des italienischen Kontingents der UN-Mission im Libanon die französischen Streitkräfte zu entlasten. Für die Weigerung, an Kampfeinsätzen in Syrien teilzunehmen, wurde er von rechten Hardlinern als »Deserteur« beschimpft. Rechte wie linke Kommentatoren meinen dagegen, von Italien werde kein militärischer Beitrag erwartet, seine Aufgabe im Kampf gegen den »Islamischen Staat« bestehe darin, während des Heiligen Jahres das Zentrum der katholischen Christenheit zu sichern.